Joan Roca: "Es geht auch ohne Silbertablett"

El Celler de Can Roca
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Rocas Restaurant El Celler de Can Roca wurde kürzlich zum weltbesten Restaurant gekürt. Ein Gespräch mit dem Spitzenkoch über fotografierende Gäste und warum man mit Spitzengastronomie nicht reich wird.

Gratuliere zum ersten Platz in der San-Pellegrino-Liste der weltbesten Restaurants. Wie lange wurde die Reservierungsliste?

Joan Roca: Es dauert etwa elf Monate, bis man einen Tisch bekommt. Vor der Entscheidung waren es sechs Monate.

Braucht man da neue Mitarbeiter, um die Reservierungen entgegenzunehmen?

Nein, da ist alles gleich geblieben. Auf der Liste von London waren wir zwei Jahre hintereinander auf Platz zwei, einmal Vierter, einmal Fünfter, da ist man schon richtig trainiert. Und langsam, aber sicher bin ich so weit, dass ich sage: Egal, was kommt, ich bin vorbereitet. Aber zwischen zweitem und erstem Platz ist natürlich ein großer Unterschied. Vor allem, was die Medien anbelangt, hat der erste Platz viel ausgelöst. Aber ich selbst fühle mich wie in der Zeit vor dem ersten Platz. Und wir möchten auch intern, dass sich nichts verändert. Wir möchten normal und natürlich bleiben. Es ist nur sehr schwer geworden, einen Tisch zu bekommen. Am Donnerstag hatte ich ungefähr 3800Mails, die ich nicht beantworten konnte.

Besteht nicht die Gefahr, dass man dann ausschließlich Foodies als Gäste hat, aber keine lokalen Gäste mehr? Im Noma sind zum Beispiel fast nur mehr Foodies.

Nein, das Restaurant ist mittlerweile etwa 27 Jahre alt. Und wir suchen weiter die Nähe zu den Leuten und den Kunden – auch zu denen aus Girona.

Ist das eine Zeiterscheinung, dass man dieses Kurzfeuerwerk am Beginn eines Essens hat, vier, fünf kleine Gänge, die die ganze Kreativität zeigen müssen?

Das möchten wir weiterhin machen. Es ist eine Art Vorspiel, eine Deklarierung.

Vielleicht, weil die Gäste immer das Falsche bestellen?

Nein, es gibt nur zwei Menüs. Ein neues, das auf Kreativität setzt. Und ein zweites mit klassisch katalanischer Küche. Das sind diese Speisen, die wirklich bei den Leuten angekommen sind.

Ist es nach Molekularküche, nordischer Küche etc. das neue, heiße Ding, sich wieder auf traditionelle Küche zu besinnen? Etwas, auf das sich alle verständigen können?

Die El-Bulli-Generation hat die neue Technik, die Generation Noma ist so etwas wie eine grüne Etappe. Unsere Küche ist dagegen sehr emotional, ich möchte das Gedächtnis der Menschen wiedererwecken.

Aber sich zwangsläufig nur auf regionale Küche zu besinnen bedeutet das nicht?

Alles wird sich öffnen, und alles wird von überall kommen. Es gibt ja auch sehr gute Restaurants in Asien und Südamerika.

Brasilien steht ja kommendes Jahr wegen der Fußball-WM als Land sehr im Fokus. Hat das auch Auswirkungen auf die Küche?

Die Südamerikaner wachsen in jeder Hinsicht. Was die Gastronomie betrifft, wird Brasilien wirklich näher kommen. Dort gibt es spezielle Dinge, die eine große Kraft haben. Talent ist auch vorhanden, und viele Köche haben in Europa neue Techniken gelernt. Das bringt die Küche dort natürlich auch weiter.

Wie sehr beeinflusst die aktuelle Krise in Spanien Ihren Umgang mit der Küche, mit Gästen, mit Mitarbeitern?

Die Krise hat viele Dinge verändert. Aber das hat sie überall auf der Welt. Die sogenannte Luxuswelt ändert sich, auch in der guten Küche. Die Authentizität ist wichtig, dass der Chef immer präsent ist, nicht die ganze Zeit auf Weltreise. Es soll komfortabel sein, aber nicht unbedingt luxuriös – der Gast muss sich nur wohlfühlen. Es ist nicht wichtig, ob Silber auf dem Tisch liegt oder irgendein Stoff, man ist wieder ein bisschen heruntergekommen. Und viele Köche machen heute Lokale auf ohne viel Geld, so kleine Bistros. Aber dort isst man wirklich sehr gut. Das hat die Krise auch mit sich gebracht. Man will das Essen genießen, aber es muss nicht immer auf dem Silbertablett serviert werden.

Gibt es in Spanien eine enge Kooperation mit anderen Lokalen?

Wir haben sehr gute Beziehungen. Und wir sind zum Teil sehr gute Freunde.

Wie oft begegnet man da einander? Und kocht man da ganz einfache Dinge wie Paella oder grillt nur einen Fisch?

Bei Gastronomiekongressen trifft man sich, in New York, Lima, Tokio, vor allem außerhalb Spaniens. Aber natürlich gibt es Privateinladungen, und dort essen wir ganz normale Dinge – nicht das, was wir sonst kochen.

Geht Ihnen das auf die Nerven, wenn Menschen in Ihr Restaurant kommen und statt zu essen ständig Fotos machen oder schreiben, aber nicht das Essen genießen?

Nein, das stört mich nicht. Der Gast soll es einfach so erleben, wie er es erleben will.

Aber Sie machen keine Fotos?

Nein. Ich genieße lieber.

Wie groß ist der Druck, immer wieder neue Dinge zu kreieren und zu servieren? Wie hoch ist der Anspruch der Gäste, immer etwas Neues haben zu wollen?

Es gibt zwei Arten von Druck: einen, dass etwa ein Gast aus Chicago oder Hongkong speziell meinetwegen kommt – den darf man nicht enttäuschen. Der zweite Druck ist, dass man ununterbrochen nachdenken muss, was man jetzt alles Neues machen kann. Ich möchte persönlich nicht darunter leiden, ich möchte auf eine natürliche Weise darüber nachdenken, dass eine Kreativität entsteht. Ich habe das große Glück, zwei Brüder zu haben. Mein Bruder Jordi ist wirklich sehr kreativ. Mein anderer Bruder, Josep, kennt sich sehr gut mit Weinen aus. Und er hat eine poetische Sensibilität. Dann ist es leicht, kreativ zu sein.

Haben Sie auch Ideen, neue Geschäftszweige zu erschließen?

Ich selbst habe nicht vor, etwas außerhalb meines Restaurants zu machen. Aber neue Konzepte möchte ich schon kreieren. Wir haben etwa Eisgeschäfte aufgemacht. Jordi hat das entwickelt. Und er macht wirkliche Desserts, die man auf der Straße essen kann. Die haben nichts mehr mit meinem Restaurant zu tun, aber mit unserem Know-how. Wir haben auch eine Tapas-Bar in Barcelona gemacht, die Roca-Bar. Das könnte man schon weiterverfolgen an einem zweiten Standort.

Es heißt oft, dass Spitzengastronomie nicht kostendeckend gemacht werden kann.

Das stimmt.

Man braucht also Zusatzgeschäfte, um finanziell überleben zu können.

Das auf jeden Fall. Wir haben etwa eine eigene Cateringfirma, die bei Konzerten an der Costa Brava das Essen liefert, dann auch noch das Eisgeschäft und die Tapas-Bar. All diese Dinge helfen uns in finanzieller Hinsicht. Es kommt nicht viel herein, aber es kommt. Ein Restaurant wie das El Celler de Can Roca ist jedenfalls kein großes Geschäft. Wenn ich mit dem Lokal in London wäre, könnte ich dreimal so hohe Preise verlangen – 160 Euro für ein Menü. In meinem Lokal arbeiten 35 Köche, wir haben 20 Kellner, das bedeutet schon sehr große Ausgaben. Aber würde ich die Preise erhöhen, würden nur diese Foodies kommen – und das will ich nicht. Ich möchte auch, dass ein Hochzeitspaar zum Essen kommen kann. Genau solche Gäste will ich haben.

Die Nummer Eins

Das Lokal: Im Top-50-Ranking der besten Restaurants der Welt hat das El Celler de Can Roca in Girona Ende April das Noma vom Thron gestoßen. Betrieben wird es von den Brüdern Joan, Josep und Jordi Roca. Eröffnet wurde das Restaurant, das auf klassische katalanische Küche setzt, 1986 – zunächst in der Nähe des Restaurants der Eltern, ehe es 2007 an seinen aktuellen Standort übersiedelte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2013)

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