Gastronomie: Knusprige Raupe mit Roter Rübe

(c) Reuters (CHARLES PLATIAU)
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Frankreich entdeckt Menüs aus kleinen Tierchen: Ein Pariser Restaurant serviert Gerichte aus Insekten und Raupen, im Supermarkt gibt es proteinreiches Insektenpulver.

Paris. Ein Festmenü der speziellen Art serviert seit Oktober das Restaurant Le Festin nu im 18. Bezirk der französischen Hauptstadt. Neben ganz traditionellen Gerichten gibt es da zum Beispiel auch die mit eingemachten Peperoni und Granatapfelsamen dekorierte Riesenwasserwanze oder eine sehr ästhetisch angerichtete knusprige Seidenraupe auf einer Scheibe Roter Rübe mit Estragon. „Bon appétit!“, wünscht der Wirt, der 26-jährige Elie Daviron.

Die Nahrung der Zukunft

Der Insektenkoch hat bereits seine Stammgäste. Sein Konzept lautet allerdings: „Ich will nicht ein Insektenrestaurant werden, sondern ich will einfach meinen Gästen eine exklusive und überraschende kulinarische Erfahrung bieten“, sagt er. Seit Jahren habe er sich für diese Proteine interessiert, die zwar für den europäischen Durchschnittsverbraucher noch „tabu“, in Wirklichkeit aber sehr schmackhaft seien. Zudem sei die Herstellung ökologischer und ökonomischer als Fleisch und Fisch. Die Insekten seien „die Nahrung der Zukunft“.

Keiner in Frankreich ist von den Vorteilen der Insektenküche so überzeugt wie der 31-jährige Jungunternehmer Cédric Auriol. Er hat 2011 im südfranzösischen Toulouse mit einem Entomologen und einem Agronomen – sowie 250.000 Euro Eigenkapital – die Firma Micronutis gegründet. Das Unternehmen züchtet erstmals in großem Stil Insekten, die als Delikatessen oder als Ersatz für andere tierische Proteine auf den Teller kommen.

Noch kann man angesichts der eher dürftigen Nachfrage in Frankreich noch nicht wirklich von industrieller Produktion sprechen. Aber immerhin kann Unternehmer Auriol heute bereits eine Tonne Grillen und Mehlwürmer (die Larve des Mehlkäfers) an seine Kundschaft liefern.

Insekten beim Chocolatier

Voller Optimismus hat sich das Unternehmen Micronutis für das Jahr 2014 eine Vervierfachung der Produktionskapazität zum Ziel gesetzt. Denn in diesen Tagen sollen Auriols Insekten nicht nur bei vereinzelten Küchenchefs in Toulouse oder auch beim renommierten und preisgekrönten Chocolatier Guy Roux zur innovativen Gaumenfreude vorgesetzt werden. Insekten sollen künftig auch in Supermärkten in Pulverform angeboten werden. Bisher konnte man nur per Internet für 12,50 € pro Packung bei Auriol „essbare Insekten“ bestellen.

Die „Gebrauchsanweisung“ für den Verzehr dieser Delikatessen – samt ihrer Vorzüge – liefert der Unternehmer mit: „40 Grillen oder 160 Mehlwürmer ersetzen eine Portion Fleisch. Man kann sie entweder ganz oder in Pulverform kosten“, steht da etwa. Er versichert, er sei bereits ein überzeugter Entomophage (Insektenesser) und verzehre selbst drei Kilo Insekten im Monat.

Natürlich weiß auch Auriol, dass die meisten Franzosen nur beim Anblick seiner schmackhaften Tierchen Ekel empfinden. Diese Hemmschwelle soll jedoch leicht zu überwinden sein, und jegliche Angst vor der unbekannten Kost sei völlig unbegründet. Denn in vielen Weltgegenden essen die Menschen seit jeher kleine sechsbeinige Tiere mit Flügeln, Fühlern oder knackigen Panzern. Wie er sieht auch die Welternährungsorganisation FAO in den Insekten den Schlüssel zum Problem der Ernährung einer Weltbevölkerung, die bis 2050 auf neun Milliarden anwachsen und so die Nachfrage nach Proteinen praktisch verdoppeln dürfte.

In Frankreich ist alles erlaubt

Bleibt die Frage der europäischen Gesetzgebung. Im derzeitigen Reglement „Novel food“ sind solche kulinarische Innovationen nicht vorgesehen, das heißt weder verboten noch erlaubt – und sie werden entsprechend kontrolliert.

In Frankreich wird der Verkauf von Insekten vorerst stillschweigend toleriert. Belgien hat als erstes EU-Land offiziell zunächst zehn Sorten als menschliche Nahrung zugelassen. Denn bis eine neue EU-Regelung in Kraft treten kann, wird es mindestens bis 2016 dauern. Bis dahin können sich die kühnsten Konsumenten und die kulinarischen Tester vom „Guide Michelin“ schon einmal an den neuen Trend der französischen Gastronomie gewöhnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2014)

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