Fastenspeisen: "Ich taufe dich auf den Namen Karpfen"

Üppige Speisen
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Aaltorte, Oberssuppe, Fischotter in Burgundersauce: Fastenspeisen waren früher alles andere als asketisch. Dank vieler Tricks.

Es soll Zeiten gegeben haben, da wurde die Fastenzeit so streng eingehalten, dass man das Wort Fleisch nicht aussprechen durfte. Und es scheint Zeiten zu geben, da darf man nicht einmal das Wort Biber in den Mund nehmen, weil schon das bloße Zitieren von Biberrezepten Tierschützer auf den Plan ruft. „Die Presse am Sonntag“ wagte es dennoch, in der Wienbibliothek im Rathaus nach alten Fastenrezepten zu stöbern und entdeckte Biberleberknödel, Fischotter mit Burgunderwein oder diverse Biberbraten (siehe „Kochhistorie“). Wer am Nachkochen interessiert ist: Das dürfte derzeit an der Verfügbarkeit scheitern. Biber ist in Österreich nicht zum Verzehr zugelassen – aber eine Gegenbewegung ist bereits im Gang.

Die kirchlichen Fastengebote, von Papst Gregor dem Großen 590 eingeführt, untersagten vor allem während der vierzigtägigen Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern den Genuss von warmblütigen Tieren. „Warmblütige Tiere sind uns näher, Fische fremder“, begründet das der Theologe Karl-Heinz Steinmetz vom Institut für Historische Theologie an der Uni Wien. Aber auch Milch, Butter und Käse waren lange verboten. „Erst im Biedermeier war zum Beispiel Schmalz wieder erlaubt“, sagt Isabella Wasner-Peter, die in der Wienbibliothek die historischen Kochbücher betreut. Und es war nur eine Mahlzeit am Tag erlaubt.


Dispens per Butterbrief.
Die zahlreichen Fastentage – abgesehen von der Fastenzeit jeder Freitag, der Advent und für manche sogar jeder Mittwoch, in Erinnerung an den Aschermittwoch– waren für Küche und auch für Gastronomie verpflichtend. So besagte eine Verordnung der administrativen Polizei Niederösterreich von 1829, dass „Gastwirte, Traiteurs verpflichtet sind, an Fasttagen für ihre Gäste Fastenspeisen zuzubereiten, und nur mit Ausnahmen ist es ihnen gestattet – jedoch in einem abgesonderten Zimmer, auch Fleischspeisen zu verabreichen“. Wer dagegen verstieß, dem drohte die Gewerbesperre. Ausnahmen gab es mit dem sogenannten Butterbrief: Wer Geld hatte, konnte bei Bischöfen und Pfarrern um Fastendispens bitten. Der Butterbrief erlaubte dann Privilegierten den Genuss von Fleisch und Butter während der Fastenzeit.

Mit dem Fleischverbot war das bekanntlich eine eigene Sache. Man erklärte, um den erlaubten Speiseplan zu erweitern, einfach alles zum Fisch, was irgendwie mit Wasser zu tun hatte, etwa mit dem Wortlaut „weil der Aufenthalt und hauptsächlich die Nahrung ihr Fleisch in Verwandtschaft mit jenem wirklicher Fische bringt“. Mit solchen Argumenten wurden Fischreiher, Fischotter, Schildkröten, Duckenten, Stockenten, Biber, Schwäne, Schnecken, Frösche und sogar Meerschweinchen zu Fisch umfunktioniert. Beim Meerschweinchen geriet man etwas in Erklärungsnotstand, aber schließlich sprach ja der Name dagegen, dass es sich um ein Landtier handelte – logisch. Der Biberschwanz sah genauso aus wie ein Fisch, also konnte er doch keine fleischlichen Gelüste bieten. Mit der Zoologie nahm man es aber auch im Buddhismus nicht so ernst, erzählt Theologe Karl-Heinz Steinmetz: „Das Wildschwein hat man Bergwal genannt.“ Steinmetz, der sich mit seiner Firma Arcanime um das Erbe des traditionellen Heilwissens Europas kümmert und in Originalschriften forscht, weiß auch von einem Kardinal zu berichten, der aus dem Fleisch auf einer üppigen Tafel kraft seines Amtes kurzerhand Fisch machte: „Ich taufe dich auf den Namen Karpfen.“

In den Kochbüchern vergangener Jahrhunderte wurden Fleischrezepte ziemlich ungerührt im Kapitel „Fische“ angeführt. Da steht dann etwa „Rohrhühnel in einer braunen Soß“, und unmittelbar darüber ist zu lesen: „Von unterschiedlichen Fischen“. Fischotter wurde in Wein gedünstet und mit Sardellennudeln serviert, Biberschlegel mit Zitronenschale, Essig und Kapern gewürzt oder mit Brotsauce angerichtet. Würstel machte man aus Krebsen, aus Hecht, aus Karpfen, falsche Kalbsschnitzel aus gebratenen Fischen, um möglichst nicht auf den gewohnten Genuss verzichten zu müssen.


Bloße Konvention. Angesichts all dieser Schlupflöcher und Täuschmanöver ist klar: Fasten war in gewissen Kreisen irgendwann nur mehr Konvention. „So wie Leute in die Oper gehen, weil man in gewissen Schichten eben in die Oper geht“, meint Steinmetz. „Das ist ein Fasten, bei dem es gar nicht mehr ums Fasten geht.“ Während das Fastenkonzept laut dem Alten Testament immer aus den drei Säulen Fasten, Almosengeben und Beten bestehen sollte, uferte es tatsächlich aus. Die Fastenküche war alles andere als eine Anleitung zur Askese.

Und eine Mahlzeit am Tag, das hieß in vielen Fällen bald nicht mehr „eine Speise“ – eine Menüfolge aus sechs bis acht Gängen war keine Seltenheit. Zeitgenössischen Berichten zufolge wurde ziemlich genussvoll gefastet: mit Schildkrötensuppe, Karpfen in Biersauce, Schneckensalat, Aaltorte. Und nicht zu vergessen: die vielen süßen Suppen, die es gab. Schokoladesuppe, Obers-, Mandel-, Biersuppe...

Was in Klöstern tatsächlich konsumiert wurde, legte mit einer simplen, aber genialen Idee Susanne Fritsch offen: Statt sich auf geschönte Darstellungen von angeblich fastenbeflissenen Mönchen zu verlassen, ging sie für ihr Buch „Das Refektorium im Jahreskreis“ kurzerhand die Rechnungsbücher von Klöstern im 14.Jahrhundert durch. „Hier war die Wahrheit zu finden“, meint dazu Karl-Heinz Steinmetz. Susanne Fritsch entdeckte etwa, dass während der Fastenzeit der Bedarf an Safran, Muskat und Galgant deutlich höher war, ebenso wie der Olivenölbedarf – Butter war nicht erlaubt.


Modernisiert.
Die Fülle an historischen, gänzlich unasketischen Fastenrezepten inspiriert immer wieder auch heutige Köche: etwa die Teilnehmer der Wiener Schneckenwochen. Oder Max Stiegl vom Gut Purbach, der derzeit ein Fastenmenü anbietet. Dazu hat er in alten Kochbüchern recherchiert und Fastenspeisen mit Froschschenkeln und Muscheln gefunden, mit Schnecken und – „erst ab dem 1. April“– Krebsen. Herrgottsb'scheißerle – Maultaschen, mit deren Teig man die Fleischfülle vor Gott zu verstecken pflegte – und die vegetarische Mühlviertler Fastenspeise Oafisch stehen zurzeit in modernisierter Form ebenfalls auf Stiegls Speisekarte. Aber kein Biber – auch wenn es dafür genügend historische Rezepte gäbe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2014)

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