Die Wiederentdeckung des Urgetreides

Die Wiederentdeckung des Urgetreides
Die Wiederentdeckung des UrgetreidesStiegl
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Im Gut Wildshut in Oberösterreich werden alte Getreidesorten wie Vögelers Gold, Alpine Pfauengerste oder Schwarzer Hafer kultiviert– um daraus Bier zu brauen.

Lenz Widmann ist ein Tüftler. Derzeit beschäftigt sich der Bayer mit dem Säen, Ernten und Vermehren von Urgetreide auf den Feldern des Gutes Wildshut an der Grenze zwischen Salzburg und Oberösterreich. Schwarze Nacktgerste, Emmer, Alpine Pfauengerste, Vögelers Gold oder Schwarzer Hafer heißen die Sorten, deren kräftige Körner Widmann wie einen Schatz in seinen Händen hält. Der Experte für Biolandwirtschaft, Braumeister und Heilpraktiker berät die Salzburger Privatbrauerei Stiegl, die auf den Feldern ihrer Biolandwirtschaft in Wildshut alte Getreidesorten wieder aufleben lassen will.

Mitte März wurden die in Vergessenheit geratenen Gerste-, Weizen- und Hafersorten auf den Feldern ausgesät. Die ersten zarten Spitzen schauen schon aus dem humusreichen Boden. Noch erkennt der Laie nicht, dass hier Urgetreide wächst. Erst wenn die Pflanzen größer werden, fällt der Unterschied deutlicher auf: Die Halme der alten Sorten sind länger als bei heute üblichem Saatgut. Und es ist bunt: Zwischen Gerste, Hafer oder Dinkel wachsen Kräuter und Blumen. Sie gelten in Wildshut nicht als Unkraut, sondern als wichtiges Beikraut, das Insekten anzieht und die Getreidepflanzen vor Krankheiten schützt.

Verlorenes Wissen. Während bei den Paradeisern alte Sorten wie Ochsenherz, Mühls Mini oder Gelbe Dattelwein in den vergangenen Jahren längst Eingang in die Töpfe und Beete vieler Hobbygärtner gefunden haben, ist das Urgetreide noch ein recht unbekanntes Terrain.

Das Wissen um den Anbau und die Vermehrung der alten Sorten ist verloren gegangen. Dabei hatte früher jeder Bauer sein eigenes, auf die jeweiligen Standorte perfekt angepasstes Getreide, erzählt Widmann. Und er belegt den Rückgang der Vielfalt mit Zahlen: Beim Bierbrauen finden heute in Europa rund zwölf Gerstensorten Verwendung. Vor rund 100 Jahren schöpften die Brauer aus einer heute unvorstellbaren Zahl von rund 4000 Sorten.

Als Widmann sich vor vielen Jahren für die alte Vielfalt beim Getreide zu interessieren begann, nahm er Kontakt mit der Kulturpflanzenbank in Gatersleben in Deutschland auf. Dort wurde in den 1940er-Jahren begonnen, Saatgut zu sammeln und zu erhalten. Zehntausende Sorten Gerste, Weizen, Roggen, Hafer, Dinkel oder Emmer lagern in Gatersleben. Ein kostbarer Schatz genetischer Vielfalt. Mit ein paar Körnern im Gepäck kam Widmann zurück. Er hatte gezielt nach altem Getreide gesucht, das für die Böden und das Klima der Gegend passte und zum Brauen geeignet sein könnte.

Experimente aus dem Amazonas. Vor fünf Jahren wurde in Wildshut begonnen, mit Urgetreide zu arbeiten. „Am Anfang hatten wir nur ein paar Körner“, erinnert sich Franz Zehentner, der als Gutsverwalter in Wildshut über den gesamten Betrieb wacht. Jedes Jahr wieder wird getestet und genau dokumentiert, wie sich auf welchem Standort Qualität und Ertrag verändern. Auch Zehentner beklagt, dass das Wissen um den Anbau der alten Sorten längst verloren gegangen ist. „Die Überlieferung ist weg, es wurde zu sehr auf die Industrie vertraut“, meint Widmann. „Jetzt müssen wir uns das Wissen, das frühere Generationen ganz selbstverständlich hatten, wieder mühsam erarbeiten.“

Eines dieser Wissensfelder ist der Aufbau von humusreichen, fruchtbaren Böden. Eine gut überlegte Fruchtfolge ist in Wildshut selbstverständlich. Außerdem wird darauf geachtet, dass auch im Winter etwas auf den Feldern wächst, damit die Humusschicht vor Windverfrachtungen besser geschützt ist. Widmann und Zehentner experimentieren auch mit Schwarzerde aus dem Amazonasgebiet und Pflanzen, die die Humusbildung anregen. Von Monokulturen halten sie wenig. „Jede Monokultur laugt den Boden einseitig aus“, sagt der Gutsverwalter. Der Nährstoffmangel macht die Pflanzen anfällig für Krankheiten. Auf den Feldern in Wildshut wachsen deshalb Schwarzer Hafer und Schwarze Nacktgerste munter zwischen Leindotter und Kornblumen. Die Leinsamen, die wertvolle Omega-3-Fettsäuren enthalten, können später gemeinsam mit den Ähren von Gerste, Hafer und Weizen geerntet und ausgesiebt werden. Die Vielfalt auf dem Acker schützt vor Pilzen, unterdrückt Unkraut, lockt Insekten an und verbessert die Bodenstruktur – was wiederum positive Auswirkungen auf den Ertrag hat.

Tiefere Wurzeln. Urgetreide hat breitere und tiefer in die Erde gehende Wurzeln als die modernen Sorten. Damit können die Pflanzen mehr Nährstoffe aus dem Boden aufnehmen, sind gut versorgt und bilden kräftige Ähren. Die heute üblichen Sorten – egal, ob bio oder konventionell – haben flache Wurzeln und brauchen dadurch zusätzlich Dünger, erläutert Widmann. Noch ein Vorteil: Die tiefen Wurzeln verleihen dem Urgetreide trotz langer Halme eine hohe Standfestigkeit, die es relativ unempfindlich gegenüber Stürmen und anderen Wetterkapriolen macht.

Ein interessanter Nebenaspekt: Urgetreide wird auch von Menschen, die unter einer Glutenintoleranz leiden, meist gut vertragen. In Wildshut denkt man deshalb schon über neue Produkte nach. So könnte man das vermälzte Urgetreide nicht nur zum Bierbrauen verwenden, sondern auch zu Brot, Müsli, Getreidekaffee oder Essig verarbeiten.

Mittlerweile haben die Wildshuter auch schon Lieblingssorten: Mit Alpiner Pfauengerste haben sie gute Erfahrungen gemacht. Sie ist sehr gut an den Boden angepasst, hat tiefe Wurzeln und ist sehr resistent gegenüber Krankheiten und Pilzen. Noch wichtiger: Sie schmeckt gut. Auch der Schwarze Hafer und die Schwarze Nacktgerste gehören durch ihren intensiven Geschmack zu den Favoriten von Widmann und Zehentner. Heuer probieren die beiden erstmals den Anbau von Bordeauxweizen aus. Der Name dürfte vom leicht rötlichen Farbton kommen, den die kräftigen Körner haben. Auch bei dieser Sorte geht es darum, ein paar Säckchen davon so lange anzubauen und zu vermehren, dass die Menge ausreicht, um damit vom Experimentierfeld Acker in die Experimentierküche Mälzerei zu wechseln.

Urgetreide

Mit dem Interesse an alten Sorten steigt auch jenes am Urgetreide. Während jahrzehntelang in erster Linie Weizen, Roggen, Gerste und Hafer kultiviert wurden, kommen nun nach Dinkel und Emmer auch Raritäten wie Schwarze Nacktgerste, Alpine Pfauengerste, Vögelers Gold oder Schwarzer Hafer auf. Im Gut Wildshut in Oberösterreich werden diese Sorten kultiviert (www.biergut.at).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2014)

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