"Food-Fundamentalismus"

Hanni Rützler
Hanni RützlerNicole Heiling
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Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler über vegane Fundamentalisten und verängstigte Esser.

Sie schreiben in Ihrem Buch von fanatischen Veganern, narzisstischen Foodies und verunsicherten Essern. Natürlich gibt es die auch, aber ist das nicht eine Randgruppe?

Hanni Rützler: Als ich Ernährungswissenschaften studiert habe, da waren wir fünf bis zehn Ernährungswissenschaftler, in der Zwischenzeit sind es 3000. Vor 20, 30 Jahren hat es die Ernährung ein-, zweimal im Jahr auf ein Titelblatt gebracht, heute ist das Thema omnipräsent. Ähnlich ist es auf dem Büchermarkt. Wir sind beim Thema Essen im Überfluss gelandet. Da ist eine alte Sehnsucht erfüllt worden, nach einer Art Schlaraffenland. Aber eigentlich steht ganz stark die Kritik am Essen im Zentrum. Ich erlebe es mehr als Stellvertreterdebatte statt einer Debatte über das richtige, gute Leben.

Woran machen Sie das fest?

Es werden viele Debatten darüber geführt, was man noch essen darf. Ein anderes Beispiel sind Märkte. Ich war vor Kurzem in Berlin auf einem Markt. Mir kam das wie eine Ausstellungseröffnung vor. Statt über die Kunst wird über Essen und Trinken geredet. Das Thema ist gerade ganz hervorragend geeignet, sich selbst darzustellen.

Warum ist das so?

Jede Zeit hat ihre Themen. Wir leben jetzt seit wenigen Generationen im Lebensmittelüberfluss, dazu kommt die Orientierungslosigkeit angesichts der Vielfalt. Natürlich stellen sich viele Fragen und auch Probleme, aber mir erscheinen manche Antworten zu fundamentalistisch. Der Food-Fundamentalismus bietet keine Lösungen, sondern schafft neue Probleme.

Woher kommt diese Verkrampftheit?

Die Suche nach individuellen Esslösungen führt dazu, dass sich viele nach einfachen Ernährungsideologien sehnen. Sie erklären, was richtig und was falsch ist. Aber mit dem Schwarz-Weiß-Denken wird nur auf Probleme geschaut. Der Fokus liegt auf Gesundheitsproblemen oder moralischen, ethischen Problemen. Da bleibt kaum Platz für das bewusste Genießen.

Sind wir überfordert mit dem Überfluss?

Ich würde eher den Umkehrschluss wagen und sagen, der Alarmismus hilft hier nicht weiter, und nur der Blick auf die Probleme verstellt uns den Blick auf die Lösungen. Eigentlich bietet dieser Überfluss viele Chancen. Ich versuche mit dem Buch ein bisschen Gelassenheit in die Debatte zu bringen, auch in der Hoffnung, sich lustvoller und bewusster in diesem Schlaraffenland bewegen zu können. Selbst zu kochen ist dafür eine gute Möglichkeit, aber es ist kontraproduktiv, daraus einen moralischen Druck abzuleiten. Man ist keine Rabenmutter, wenn man nicht täglich für sein Kind kocht. Und man muss auch nicht zum Veganer werden, um ein guter Mensch zu sein.

Muss denn Essen Sünde sein?
Muss denn Essen Sünde sein? Brandstätter Verlag

Wer ist davon besonders betroffen?

In der Gesundheitsdebatte sind die Frauen präsenter. Die Männer holen aber auf. Es gibt einen enormen Druck zum Perfektionismus. Nach der Gesundheitsdebatte kommt der nächste Schub, es geht stark um Unverträglichkeiten. Mit dem Veganismus kommt der moralische Aspekt ins Spiel.

Ist es nicht schon schicker, Unverträglichkeiten zu kritisieren als welche zu haben?

Ich habe nicht den Eindruck. Wer sagt, dass er etwas nicht verträgt, gilt als sensibler, reflektierter Mensch, der sich viele Gedanken über das Essen macht. Er ist sozial anerkannter, als jemand der sagt: „Ich schluck eh alles.“ Es zeigt sich zwar auch eine neue Art von Pragmatismus, aber das ist noch nicht der allgemeine Tenor.

Das heißt, nach der Gesundheit kommt jetzt die Moral?

Die Diätdebatte ist abgeflaut. Sie wurde abgelöst von der Debatte über Zusatzstoffe, Allergien und Unverträglichkeiten und über fundamentalistische Ernährungsweisen wie Veganismus.

Warum? Kann Essen nicht einfach auch eine private Vorliebe sein?

Natürlich, aber gerade beim Veganismus spielt auch die Einstellung eine große Rolle. Geschmack wird gelernt und geübt. Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen kein Fleisch isst, wird es ihm nach wie vor schmecken. Wenn jemand kein Fleisch isst, weil er nicht will, dass Tiere getötet werden, dann lernt er, den Geschmack von Fleisch abzulehnen. Hier spielt Ideologie ganz massiv hinein. Um sich gesund zu ernähren, muss man nicht Veganer sein, im Gegenteil. Das heißt aber auch nicht, dass man viel Fleisch essen muss. Auch wenn man das Wohl der Tiere im Kopf hat, muss man achtgeben, dass man es nicht über das Wohl der Menschen stellt.

Ist jeder Veganer ein Fundamentalist?

Nein, es hängt eben davon ab, mit welcher Motivation man an die Sache herangeht. Ich verstehe gut, wenn man hinterfragt, wie man Tiere halten soll. Diese Debatte ist extrem wichtig. Die Frage ist nur, wie schaffe ich es, dass die Tiere so gehalten werden, dass es ihren Ansprüchen gerecht wird. Das schaffe ich nicht, indem ich sage, das interessiert mich nicht, ich esse kein Fleisch.

Wenn ich Ihr Buch lese, habe ich das Gefühl, es ist mittlerweile schlecht, sich darüber Gedanken zu machen, was man isst.

Nein. Ein gutes Leben braucht auch ein gutes Essen. Aber über Moral und Ethik wird nur mehr in Bezug auf Essen diskutiert und nicht mehr bei anderen Themen. Im Moment kommt die Debatte sehr schnell moralisch daher und sagt, wir müssen wieder kochen, selbst Gemüse anbauen. Das hat etwas Dogmatisches.

Befürchten Sie, dass dadurch auch Frauen zurück an den Herd gedrängt werden?

Natürlich schwingt das immer mit. Die Karriere der Kochbücher kann man auf zwei Arten lesen. Das eine ist: Uns geht es so gut, wir brauchen das Versorgungskochen nicht mehr, wir können essen gehen und wenn wir kochen, darf es Spaß machen. Das ist eine schöne Entwicklung. Aber wenn wir sagen, wir müssen kochen, damit wir uns gesund ernähren und damit wir die böse Industrie anhalten, die uns vergiften will, dann ist natürlich das Argument naheliegend, dass Frauen wieder zurück an den Herd sollen. Das sind ganz konservative Weltbilder. Aber man kann durchaus auf intelligente Convenience-Produkte zurückgreifen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Ich habe das Gefühl, dass die Genussapostel jetzt die Gesundheitsapostel ablösen.

Mit den Genussaposteln habe ich weniger Probleme. Wir Österreicher verstehen uns gern als Genießer, aber dann kommt gleich ein großes Aber. Wir sagen: Ich wär gern Genießer, aber ich hab keine Zeit, es ist so teuer, es ist zu kompliziert. Und dieses Aber würde ich gern ein bisschen kleiner machen. Erlauben wir uns doch, im Alltag Kleinigkeiten zu genießen und nicht immer nur die Konsequenz und den Verzicht zu pflegen. Es braucht einen liebevolleren Umgang mit uns selbst ohne diesen perfektionistischen Anspruch, immer korrekt zu essen. Wenn man vor lauter Kontrolle am Genuss vorbeischlingt, kann man auch am Leben vorbeileben.

Zu Person und Buch

Hanni Rützler
ist Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin und Food-Trend-Expertin (futurefoodstudio.at).

„Muss denn Essen Sünde sein?“
Orientierung im Dschungel der Ernährungsideologien. Hanni Rützler, Wolfgang Reiter, Brandstätter Verlag, 192 Seiten, 19,90 Euro. Nicole Heiling

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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