Brüssels Küche: Speck mit Schwanz

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Schon mancher EU-Abgeordnete hat seine Waage
entsorgt. Schuld daran ist die opulente Küche Brüssels und Belgiens. Und so steigen auf dem
Kalorienparcours der EU-Metropole denn auch
jährlich die Diäten. Im doppelten Wortsinn

TIPPS

Schon die Straßennamen in Brüssel verheißen Gutes und verkünden gastrointestinale Herausforderungen: Marché aux Fromages oder flämisch Kaasmarkt, Rue Bouchers, Rue du Marché aux Poulets oder Kiekenmarkt etc. Etwas delikater und frugaler geht es in der Heringstraße oder Johannisbeergasse zu. Für die Unersättlichen wartet noch die Butterstraße – einfach deliziös! Kein Wunder, dass es da auch einen Place des Martyrs geben muss.

Bezeichnender­weise gibt es hier auch ein Theater, an dem zuweilen schwer Verdauliches gespielt wird.
All diese Gassen und Straßen befinden sich in der ­Nähe von Brüssels Grand Place, der zahlreiche gemütliche Restaurants und Cafés aufweist. Die Innungshäuser am Grand Place sind teils aus dem 12. Jahrhundert, schaffen ein mittelalterliches Flair und veranschaulichen eindrucksvoll, wie bedeutend einst die Handwerksberufe waren. Besondere kulinarische Erwähnung verdient das Belga Queen in der Rue Fossé-aux-Loups 32 – ein Muss ist hier die mächtige Fischplatte. Als belgische Spezialität gelten zu Recht auch Muscheln mit Pommes, hier als Fritten bekannt – am besten in der Rue Jourdan im wunderbaren Viertel Saint-Gilles sowie im Grand Café direkt an der Börse (Boulevard Anspach), wo es mehr als zehn ­verschiedene Muschelsude gibt. Fabulöse Fischgerichte servieren außerdem gut zehn Lokale am Place Sainte Catherine, hervorgehoben sei hier das Restaurant Vismet.

Die Bruderschaft des Ardennenschinkens. Nach ­einer längeren Verkostungstour könnten Sie alt aussehen. Macht nichts, dann passen Sie gut zur Atmosphäre, denn generell wirken belgische, vor allem flämische Altstädte wie Freilichtmuseen. Ob Brügge, Gent, Mechelen, Antwerpen oder eben Brüssel: Überall schaffen Beginenhöfe, die Klöster für Frauen, Zunfthäuser, heimelige Wirts­stuben, verwinkelte Kanäle oder Grachten, wie es hier heißt, sowie imposante Gildehäuser, Belfriede, in denen die Handelswaren aufbewahrt wurden, und gotische Kirchen eine ideale Kulisse für Zeitreisen.

Den Hang zur gastronomischen Lebensweise pflegte Flandern schon seit dem Ende des Mittelalters. Und zwar streng seriös. Spezielle Bruderschaften, zum Beispiel der Ordre des Agathopédes, gaben schon im 16. Jahrhundert die Losung „Der gute Geschmack natürlicher Gerichte“ aus. ­Eine Vielzahl von gastronomischen Bruderschaften verfocht – und verficht – die Qualität von Lebensmitteln. Den hohen Stellenwert der Ernährung in Belgien bezeugen auch zahlreiche Gemälde der flämischen Meister, egal, ob sie Jan van Eyck oder Hieronymus Bosch heißen. Die ­Leibesfülle verrät aber auch: Oft steckt in so manchem Gourmet schlicht ein Gourmand.
Schon in den 1920er-Jahren haben Bauern in der Provinz Antwerpen auf kleinstem Raum Sommergemüse angebaut. Dies trug der Region den Ruf „Europäischer Garten der Suppenkräuter“ ein.

Des ersten Gemüseanbaus unter Glas darf sich Mechelen rühmen, etwa 70 Kilometer nördlich von Brüssel. Besonders der Spargel hat es den Belgiern angetan: Mitte April bis Ende Juni wird wie wild gestochen – die ­Ernte beträgt etwa 10.000 Tonnen, nur die Hälfte davon geht in den Export.

Kalorienbolzen. Großer Beliebtheit erfreut sich auch der Hering, der hier „spek met staarten“ heißt: Speck mit Schwanz. Mit Zwiebeln, Knoblauch oder Thymian, Lorbeer und Zitronenkraut zubereitet, schmeckt er tatsächlich ausgezeichnet. Dazu werden für gewöhnlich grüne Bohnen serviert. Wesentlich schwerer hat der Magen an den „boekweitkoek“ zu schaffen, Buchweizengerichten, für die vor allem die Provinz Limburg berühmt ist.
Wer es so richtig deftig mag, ist in der Gegend um Namur gut aufgehoben. In der Stadt in den Ardennen hatte man ja bisweilen wenig zu lachen, wer sich aber ein Matoufèt zu ­Gemüte führt, der muss einiges aushalten: Vier Eier, vier Esslöffel Milch, ¼ Liter Milch, Salz und Speckwürfel sind die Ingredienzien dieser Bombe.

Nicht zu Unrecht populär wurde der Spruch „Que matoufèt m’fêt?“ – das heißt so viel wie „Welches Matoufèt haben Sie mir da bereitet?“ und bedeutet, dass man sich über eine Zumutung beschwert. Ein Matoufèt bekommt man beispielsweise in der Cuisine du Terroir.

Mild, halbscharf, scharf. In Battice, unweit der deutschen Grenze, stößt man auf ein Museum für fermentierte Milch: Käse. Nur Kenner wissen, dass nur Frankreich mehr Käsesorten herstellt als Belgien – insofern ist ein Museum ­natürlich angebracht. Belgien ist mit 30.500 km² aber auch ­wesentlich kleiner als der große Bruder.

Es gibt Käseexperten, die behaupten, dass der beste Käse ­Europas aus Herve kommt. Er wird in drei Reifegraden ­erzeugt: mild, halbscharf und scharf. Der scharfe heißt ­Remoudou. Die Käserei hat hier schon 300 Jahre Tradition. Einer Legende nach soll ein englischer Dichter nach der Schlacht von Waterloo durch den Ort Herve gekommen sein und zu Hause die mit Käse parfümierten Straßen geschildert haben.

Gut möglich, dass der gute Mann ein Bier zu viel getrunken hat. Dazu bestehen nämlich ausgezeichnete Chancen: Rund 50.000 Bierverkaufsstellen zählt das Land. Das braucht es auch, trinken die Belgier doch gut 90 Liter im Jahr. Bierbrauen ist in Belgien eine fast überirdische Angelegenheit. Schon im frühen Mittelalter hat es mächtig gegoren hinter den Klostermauern. Der Grund dafür ist recht pragmatisch: Da das Trinkwasser häufig zu Epidemien wie Cholera führte, sah man im Bier eine gesunde Alternative. So hat auch der Schutzheilige der belgischen Bierbrauer, der Abt Sankt ­Arnold von Tiegen, dem Gerstensaft medizinische Qualitäten zugesprochen.

Mit ein Anlass für seine Beliebtheit und rasche Heiligsprechung, die schon 1120, bescheidene 33 Jahre nach seinem Tod, erfolgte. Ferner sah ­eine Ordensregel vor, dass Mönche das Getränk der Region zu trinken hätten. Man will ja dem Volk nahe sein. Allen voran sind heute die Trappisten- und Abteibiere, ­etwa Grimbergen oder Floreffe, bekannt und beliebt. Trappistenbiere wie Orval oder Westmalle sind freilich im strengen Sinn nur solche, die aus den Zisterzienserklöstern stammen. Den Alkoholgehalt des Gerstensafts entnimmt man übrigens der Bezeichnung: Bière simple, double und triple, ergo ansteigende Promilleherausforderung. Ein wenig irreführend ist jedoch, dass jede Kategorie ein Starkbier aufweist.

Marke Delirium tremens.
Wer wenig Geld in der Tasche hat, sollte sich an Marken wie Quadruple, l’Optimo Bruno, Radieuse oder Vieille Cuvée halten, hier stellt sich die seligmachende Gelassenheit, die jeder Biertrinker zu schätzen weiß, bald ein. Vorsicht ist jedoch geboten: Es gibt etwa 400 Biersorten, und nicht selten haben Namen wie „Delirium tremens“ mehr als nur ironische Bedeutung. Der Belgier braucht anscheinend sein Kilo Zucker pro Tag. Das lässt jedenfalls die Existenz unzähliger (ungefähr 300) Pralinenhersteller vermuten. Gewiss, es wird ein großer Teil exportiert. Die Praline ist im Übrigen auf Herrn Jean Neuhaus zurückzuführen. Zahlreiche Herz- und Kreislauferkrankungen hat der Mann zu verschulden. Im Jahr 1912 entwickelte er den ersten Schokoladeüberzug für flüssige Füllungen.

Neben Neuhaus sind die Marken Godiva und Léonidas weltweit bekannt. Doch Pralinen allein machen nicht glücklich, deswegen gibt es auch massenweise Schokoladetafeln. Hier ließe sich leicht ein Seminar mit dem ­Titel „Diabetes in drei Tagen“ veranstalten: Allein Neuhaus stellt 70 verschiedene Sorten her. Den Österreichern muss man da ja nichts erklären, sie kennen ihren Demel und wissen, was verspielte Köche alles so anstellen.

Käsestraße: Aux Pavés de Bruxelles
Rue du Marché au Fromage 1–3
Fleischerstraße: Aux Armes de Bruxelles
Rue des Bouchers 13
Rue du Marché aux Poulets oder Kiekenmarkt: Celtica
tolles Pub, Kiekenmarkt 55
Butterstraße: Manneken
Rue au Beurre 42
Théâtre de la Place des Martyrs
22
Restaurant-Bar Martinique
Korenmarkt 31, 2800 Mechelen – etwas futuristisch, aber gut
Herberg Moeder de Gans
Dorpstraat 6, 3793 Voeren, rustikal und gemütlich
La Cuisine du Terroir
8 Rue Rompré 28, 6980 La Roche-en-Ardenne
Le Petit Marais
Namur, Rue Lambaitienne 7

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