Sizilianisches Weinwunder: Ungeschminkte Wahrheiten

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Siziliens Weinbau hat eine längere Tradition als irgendwo sonst in Italien. Die Weine wurden aber kaum geschätzt. Nun wird die Geschichte neu geschrieben – mit weiblicher Handschrift.

Ein Blick in die Runde bei der Sicilia en Primeur bestätigt: Das sizilianische Weinwunder ist zu einem guten Teil weiblich. Der Verein Assovini hat auch heuer wieder die Sicilia en Primeur organisiert, anwesend waren die Winzer der 72 Mitgliedsbetriebe. Und eben Winzerinnen – was auf den ersten Blick so gar nicht zum Klischee der traditionellen Macho-Kulturen Südeuropas passen will. „Die Rolle der Frau war in der sizilianischen Gesellschaft seit jeher sehr stark, nur war das für Außenstehende nicht immer ersichtlich, weil in der Öffentlichkeit nur Männer agiert haben. Aber auch wir leben hier im 21. Jahrhundert“, erklärt Arianna Occhipinti, die vor über zehn Jahren ihr eigenes Weingut eröffnet hat.

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Konsequent. Sie vertritt ihre Weine nicht nur auf Präsentationen, sie ist als studierte Önologin auch für den Ausbau der Weine im Keller verantwortlich und fast täglich in ihren Weingärten in Vittoria anzutreffen. Dass große Weine nicht im Keller, sondern im Weingarten entstehen, ist ein Stehsatz, den viele Weinmacher wie ein Mantra wiederholen. Bei Occhipinti hat er jedoch besonderes Gewicht, weil sie trotz der heißen sizilianischen Sommer konsequent auf Bewässerung verzichtet und von Anfang an biologisch arbeitet. „Ich will, dass meine Weine nach Sizilien schmecken. Deshalb arbeite ich ausschließlich mit sizilianischen Rebsorten wie Nero d’Avola und Frappato. Aber mindestens genauso wichtig wie die Sorte ist der Boden. Nur wenn man auf Bewässerung verzichtet und die Wurzeln der Rebstöcke in die Tiefe zwingt, können die Trauben das Terroir zum Ausdruck bringen“, meint Occhipinti. Anfangs wurde die Bürgerstochter von den Nachbarn kritisch beäugt, doch als sie sahen, dass Occhipinti selbst anpackt, sich die Hände schmutzig macht und nicht mit dem Cabrio, sondern mit dem Traktor durchs Dorf fährt, fingen sie an, sie zu respektieren. So ungewöhnlich wie diese Frau sind auch ihre Weine. Vor allem der Frappato, der vielfach nur zu einem fruchtbetonten Powerwein mit zu viel Alkohol gerät, ist bei Occhipinti elegant und komplex mit einem fast schon burgundischen Charakter. Zeigt sich hier gar die zarte Handschrift einer Frau? Occhipinti widerspricht vehement: „Es gibt keine weiblichen oder männlichen Weine, sondern nur gute und weniger gute.“

Arianna Occhipinti ist ein Sonderfall, weil sie sämtliche wichtige Rollen – Önologin, Repräsentantin und Besitzerin – in einer Person verkörpert. Bei größeren Weingütern sind diese Aufgaben zumeist auf mehrere Schultern verteilt. Vor allem bei Familienbetrieben wie Baglio di Pianetto, Cottanera, Donnafugata, Cottanera, Masseria del Feudo oder Planeta sind es Frauen, die das Weingut nach außen vertreten. Aber auch in diesen Betrieben findet man Frauen, die tatsächlich für die Qualität der Weine verantwortlich sind.

Keine festgefahrenen Rollenbilder. Bereits seit zehn Jahren ist die gebürtige Ungarin Patricia Tóth als Önologin für Planeta im Einsatz. Vergangenes Jahr übernahm sie die Leitung des prestigeträchtigen Planeta-Weinguts Feudo di Mezzo am Ätna, wo sie in knapp 1000 Metern Höhe äußerst elegante Rot- und Weißweine keltert, die zum Besten zählen, was von diesem beeindruckenden Vulkan kommt. Mit ihren männlichen Kollegen hat sie keinerlei Probleme. „Dass die meisten Sizilianer galanter sind als die ungarischen Männer, schätze ich sehr. Was die Arbeit selbst betrifft, habe ich hier noch nie eine unpassende Bemerkung gehört. Den beruflichen Respekt bekommt man nicht aufgrund seines Aussehens oder des Geschlechts, sondern einzig und allein wegen der Qualität der Weine“, berichtet Tóth.

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Nicht minder beeindruckend ist die Karriere von Milena Rizzo, die nach Studienaufenthalten in Neuseeland, Kalifornien und im Gebiet des Chianti Classico vor zwei Jahren nach Sizilien zurückgekehrt ist, um als Önologin für die größte Kellerei der Insel namens Settesoli zu arbeiten. Trotz ihrer Jugend ist sie als Junior Enologist für das Wohlergehen von über 2000 Familien, die als Genossenschafter der Cantina Settesoli in Menfi leben, mitverantwortlich. Auch bei der Kelterung des Mandrarossa, der regelmäßig der günstigste Tre-Bicchieri-Wein (prämiert vom Gastroführer „Gambero Rosso“) Italiens ist, hat sie ihre Finger entscheidend im Spiel. Sizilien hat eine Vielzahl von Klischees, von denen manche richtig, viele jedoch falsch sind. Das gilt auch für die Weine. So wird auf Sizilien mehr Weiß- als Rotwein produziert. Insbesondere die Weißweine vom Ätna können sehr knackig und hoch mineralisch ausfallen. Am besten schmecken die aus der Carricante-Traube gekelterten Etna-Biancos nach zwei, drei Jahren Flaschenreifung.

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Bei den Rotweinen überzeugen nicht nur die Weine aus der Boomregion Etna (Rebsorten Nerello Mascalese, Nerello Cappuccio) mit zarter Würze und kühler Stilistik. Auch Nero d’Avola und Frappato liefern tiefgründige, komplexe Weine, sofern sie mit strengen Ertragsbeschränkungen angebaut werden. Die Zeiten, als möglichst dichte, dunkelfarbige Weine aus Sizilien tankzügeweise nach Norditalien gebracht wurden, um den dortigen Weinen mehr Kraft zu verleihen, sind jedenfalls vorbei. Klar ist es hier im Sommer heiß, doch das bedeutet nicht, dass man nur eindimensionale Marmeladeweine keltern kann. „Unsere Weinbautradition ist die älteste von ganz Italien und das hat einen Grund. Boden und Klima sind einfach ideal, wenn man sich darauf besinnt, mit traditionellen Rebsorten und ohne künstliche Bewässerung zu arbeiten. Mir reicht es nicht zu zeigen, dass man auch in Sizilien ordentliche Weine keltern kann“, sagt Adriana Occhipinti. „Ich will urtypische sizilianische Weine schaffen, die nirgendwo sonst auf der Welt entstehen können.“

Tipp

Weinkauf. Planeta Carricante, um 15,90 bei Wagners Weinshop, Occhipinti Frappato, um 25 Euro bei Weinskandal,
Settesoli Mandrarossa Carthago um 13,99 Euro bei Interspar.

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