Wild: Rehtee und Harzherz

(c) Johannes Fink
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Vom Horn zum Huf. Die Wald- und Wildwerkstatt zeigt, wie weit man das Thema Wild fassen kann: Hirschfilet ist noch lange nicht alles.

Fred und Wilma Feuerstein hätte es vermutlich bei der Wald- und Wildwerkstatt am Hubertussee, einem Sommerprojekt des Kollektivs Feldküche und der Bundesforste, sehr gut gefallen. Schließlich wussten die quasiurbanen Feuersteins wie auch ihre Freunde Betty und Barney Geröllheimer schon früh, dass Felle als Lampenschirme der letzte Schrei sind, wie man einen hölzernen Drehgrill für ein Riesentrumm Wild baut und dass die Knochen von Wildtieren nicht nur als Hundespielzeug taugen, sondern auch als Verschluss einer Aktentasche, als Zahnstocher für Partyoliven oder als Cocktailglas. Die einfallsreiche Nutzung des gesamten Tiers samt Fell und Knochen, also das Motto „Vom Huf zum Horn“, war den Feuersteins genauso ein Anliegen wie dem Team der heutigen Feld­küche (das mit Christian Feurstein sogar einen Namensvetter der steinzeitlichen Zeichentrickfiguren vorzuweisen hat).

Das Kollektiv hatte in den vergangenen Sommern schon mit seinen Tafeln an ungewöhnlichen Plätzen, meist unter freiem Himmel, für reges Interesse unter Essbegeisterten gesorgt. Der jeweilige Ort – jedes Mal ein anderer, quer durch Österreich – spielte eine zentrale Rolle. Es wurden nicht nur teils wilde Zutaten aus dem engeren Einzugsgebiet verarbeitet – Wildkräuter, Wildbret, Fisch aus Wildfang –, auch Waldspaziergänge mit dem örtlichen Förster vor dem Abendessen waren Teil des Konzepts. Die diesjährige Ausgabe legte man stationär an, kooperierte dafür erneut mit den Österreichischen Bundesforsten und organisierte eine zweiwöchige Wald- und Wildwerkstatt in einer historischen Jagdvilla am Hubertussee in der Walstern im Mariazellerland, einem sehr wald- und wildreichen entlegenen Gebiet.

(c) Johannes Fink

Interdisziplinär. Für den Artists-in-Residence-Gedanken bot die imposante Jagdvilla samt umgebendem Gelände genug Platz. Arbeitsmaterial für Künstler und Köche war die Wildnis. Die Grafikerinnen Elke Bauer und Teresa Kettner bemalten Wildschweinfelle. Designer Christopher Rhomberg goss ein Rehherz in Fichtenharz, Tonkünstler Richard Eigner nahm die Geräusche eines Ameisenhaufens auf, Barkeeper Hubert Peter setzte einen Wermut mit den Waldzutaten aus der Walstern an. Und natürlich wurde Wild und wild gekocht, sowohl für die Verpflegung der künstlerisch werkenden Bewohner auf Zeit als auch für die Gäste der Feldküche-Abende in der Wiese vor dem Haus. Gastköche waren diesmal unter anderem Thorsten Probost, Alain Weissgerber und Christoph Fink.

Den Bundesforsten sind innovative Zugänge zum Wald ein Anliegen, um neue Beziehungen zwischen Wald und Menschen zu schaffen, und das Feldküche-Team wollte, wie Philipp Haufler sagt, „das Thema Jagd und Wild einmal anders besetzen“, weg vom Trophäengedanken und Assoziationen des Elitären hin zu einem zeitgemäßen Image. Mit diesem Ansinnen ist die Wald- und Wildwerkstatt als Teil jenes Aufbruchsgedanken zu sehen, der in den letzten Jahren in Sachen Wild zu bemerken ist: Immer mehr junge Städter, mitunter sogar fleischlos essende, machen den Jagdschein. Wildbret wird immer mehr als nachhaltigste Möglichkeit des Fleischkonsums gesehen. Wild, das tatsächlich wild lebt, ernährt sich selbst völlig zusatzfrei, hat größtmögliche Bewegungsfreiheit in seinem natürlichen Lebensraum und stirbt, einen exakten Schuss vorausgesetzt, schnell und schmerzlos. Unter Jägern zeichnet sich, nicht zuletzt dank vehement Qualität fordernder Köche wie dem wildaffinen Steirereck-Chef Heinz Reitbauer, schon länger ein ­Be­wusstseinswandel ab, was die Tierauswahl, den Schuss und die damit verbundene Fleischgüte be­trifft. Und der Kochnachwuchs lernt vermehrt wieder das Zerlegen ganzer Tiere.

(c) Johannes Fink

Geübt im Zerlegen. Bei der Waldwerkstatt 2015 ist es Thorsten Probost, Küchenchef der Griggeler Stuba in Lech, der den Teilnehmern eines Workshops das Rehzerlegen vorführt. Die Rehe kommen von einem Bundesforste-Jäger, durften fünf Tage in der Kühlkammer im nahen Ort Gusswerk abhängen, bevor Martin Fetz vom Feldküche-Kollektiv es in die Jagdvilla holte. Probost verarbeitet in seiner Küche immer das ganze Tier. Pro Jahr zerteilt der gebürtige Schwabe acht Ochsen, 25 Kälber, 18 Hirsche und viele Tiere mehr. „Im Sommer macht Wild“ – ein unbeabsichtiger Wortwitz – „sogar den Löwenanteil aus, weil wir sonst nichts haben. Die Ochsen sind da gar nicht gut, die Kalbinnen tragen aus oder geben Milch.“

Während des Zerlegens zittert Thorsten Probost ein bisschen, ob die zwei Haken in der Decke der alten Jagdvilla halten – das Reh hängt kopfüber. Zuerst schneidet Probost die Schultern herunter, dann den Hals, in der Jägersprache Träger genannt. „Da sagen viele, damit kann man ja gar nichts machen, aber weit gefehlt, das ist das beste Ragoutfleisch.“ Irgendwann hängen nur mehr die zwei Schlögel an den zwei Haken. Aus einem alleine kann man, meint der Koch, nach fachgerechtem Zerlegen ein mehrgängiges Menü für sechs Leute machen: Carpaccio, Ragout, Fleischlaberl, rosa Braten. Und Probost plädiert nicht nur für ein Bewusstsein für das Verwenden des ganzen Tiers, sondern auch für ein Bewusstsein hinsichtlich der Bedürfnisse von Wild: „Ich habe ja nichts gegen Downhillbiken. Aber abends, mit Stirnlampe, das geht halt nicht, da muss das Wild doch austreten können!“

Die Recherche erfolgte auf Einladung der Österreichischen Bundesforste.

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