Chmara.Rosinke: „Wir geben schon viel vor“

(c) Klaus Pichler
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Betonsockel, Glaskugeln, Spiegelplatten: Die Designer
Chmara.Rosinke haben die Nespresso Design Scholarship gewonnen und die Tafel Cucina Futurista 2.0 entworfen.

„Obwohl jeder Regionalität predigt, sieht es in so vielen Restaurants weltweit gleich aus. Da herrscht ein internationaler Stil des Regionalen“, sagt der Designer Maciej Chmara und zitiert den deutschen Liedermacher Funny van Dannen: „Die Menschen sehen alle gleich aus, irgendwie individuell.“ Maciej Chmara hat gemeinsam mit Partnerin Ania Rosinke die Jury der Nespresso Design Scholarship 2014 überzeugen können und für die Umsetzung des Projekts Cucina Futurista 2.0 ein Budget von 15.000 Euro erhalten. Nach einem Jahr Entwicklungsarbeit ist im Rahmen der Vienna Design Week nun das Ergebnis zu sehen: Ein Set aus Möbeln, Besteck, Geschirr und Gläsern für eine Tafel für zwölf Personen, inspiriert von Filippo Marinettis „Manifest der futuristischen Küche“ von 1930, das von internationalen Köchen mit Essen zum Leben erweckt werden soll.

(c) Cucina Futurista

Für Marinetti und die Futuristen war Essen ein performatives Gesamtkunstwerk, „da wurden Parfums versprüht, die Menschen trugen extra angefertigte Kleidung, sollten sich berühren, Flugzeuggeräusche wurden abgespielt, Wände mit Alufolie ausgekleidet“, fasst das Designerpaar den Inhalt des vergriffenen Manifests zusammen. „Die Futuristen haben generell geglaubt, dass wir dank vieler neuer Maschinen irgendwann nur mehr drei Stunden am Tag arbeiten müssen, dass wir zum Sattwerden Pillen und Radiowellen haben und Essen umso mehr mit Genuss und Kunst verbinden können“, sagt Ania Rosinke. „Deswegen haben sie so extreme Abende gestaltet.“

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„Überall dieselben Sessel.“ Chmara.Rosinke thematisieren mit ihrem Projekt auch den fehlenden Individualismus in der Restaurantszene: „Wie haben heute einen Riesen-Foodhype einerseits, andererseits aber immer weniger Radikalität in den Restaurants“, meint Maciej Chmara. „Sternerestaurants in Skandinavien haben dieselben Sessel wie Lokale in Österreich. Es herrscht heute so ein Universalismus, alle schauen voneinander ab, schauen in Medien nach, wie Gerichte präsentiert werden. Das muss nicht nur negativ sein, hat aber jedenfalls damit zu tun, dass Ein- bis Zwei-Sterne-Restaurants ökonomisch nicht tragfähig sind. Drei-Sterne-Restaurants hatten oft Mäzene, waren Vorzeigeprojekte. Das schwindet langsam, auch hier wird rationalisiert.“ Und man setzt in der Ausstattung eben sehr oft auf das, was sich schon anderswo bewährt hat. „Im 19. Jahrhundert hatten Restaurants eigenes Besteck, eigene Teller, eigene Möbel. Durchs Rationalisieren werden Restaurants immer gleicher.“ Denn selbst, wenn Restaurants, wie in den vergangenen Jahren immer häufiger zu beobachten, von lokalen Keramikern ihr eigenes Geschirr anfertigen lassen, sieht dieses oft gleich aus, folgt international bewährten Mustern. „Wir wollten eine Ode an die goldene Zeit schaffen, ein Gesamtkunstwerk in der Küche anstreben, indem wir alles entwerfen. Die Küche, die Tische, die Sessel, das Geschirr, das Besteck und auch, was auf den Tisch kommt.“

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Beschränkung bewirkt Kreativität. Dafür arbeitete man etwa mit dem heimischen Gläserproduzenten Zalto zusammen oder auch mit kleinen Schlossereien und Tischlereien. Und für die kulinarischen Entwürfe holten sich die Designer den jungen Koch Harald Irka an Bord. Er hatte die Aufgabe, als erster Koch mit dem vorgegebenen Geschirr zu arbeiten, sich dazu passende Gerichte auszudenken. „Harald war sehr unkompliziert, hat nicht gefragt, ob er etwas größer oder kleiner haben kann“, sagt Maciej Chmara. Das wäre auch nicht im Sinne der Erfinder gewesen. Chmara.Rosinke sind schließlich der Überzeugung: Je mehr man eingeschränkt ist, desto kreativer wird man. Harald Irka musste also mit den Schüsseln, Kugeln, Brettern, Pyramiden oder Kegeln aus Beton, Stahl, Glas und Holz arbeiten, die ihm das Designerpaar vorlegte. „Ein weißer Teller ist ja eine Art große weiße Leinwand, man kann damit alles machen“, sagt Chmara. „Was wir als Designer in Projekten sehen, ist: Je mehr formale Beschränkung wir haben, desto interessanter wird das Projekt, weil man zum Nachdenken gezwungen wird. Einfamilienhäuser auf einem grünen Rechteck sind meist langweilig, aber wenn es ein großes Gefälle gibt, entstehen interessante Projekte. Deswegen haben wir Formen entworfen, die nicht unbedingt die praktisch-sten sind, zum Beispiel, weil man sie hochheben muss. Wir wollten, dass die Köche nachdenken müssen, was kann daraus werden, wie kann ich das benützen.“ Ania Rosinke nennt es „mehr als kochen für einen weißen Teller. Wir geben schon viel vor.“ Auch in haptischer Hinsicht: Beim Dessertgeschirr etwa paaren sich Glaskugeln mit einem rau-gerillten Betonsockel aus einer 3-D-Druckergussform.

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Übertragbar. Und Harald Irka fügte sich bereitwillig dem Geschirr. Richtete auf einer runden Spiegelplatte, auf Kegeln und Halbkugeln in Ringen Kleinstgerichte wie eine Fake-Olive aus Schafkäse und Ahornzucker an, ein Röllchen aus Schildampfer, Artischocke und Erdnuss oder Topaz-Apfel mit Malzcookies. Versteckte unter zwei Glaskugeln ein süßes Tacoröllchen mit Himbeere und Frischkäse. Und dachte sich für die speziellen Zalto-Gläser, die variabel einsetzbar sind, Drinks aus, etwa aus Apfelmost, Artischockenlikör und Majoranöl oder aus vergorenem Wassermelonensaft, Cassiscreme und Verjus. Der Verzicht auf Wein zugunsten von Cocktails ist ganz im Sinne der Futuristen, erklärt Designer Maciej Chmara: „Die Futuristen waren große Freunde von Dingen, die übertragbar sind. Cocktails zum Beispiel sind reproduzierbar in einem anderen Land.“ In anderen Ländern soll nach der Vienna Design Week auch das Projekt Cucina Futurista 2.0. weitergedacht werden: Chmara.Rosinke planen Kooperationen mit weiteren Köchen und Köchinnen, die rund um ihr Geschirr Gerichte entwerfen. „Das soll einmal eine schöne Sammlung an Ideen werden.“

Tipp

Projektarbeit. Chmara.Rosinke gewannen die Nespresso Design Scholarship 2014 und entwickelten mit dem Preisgeld von 15.000 Euro das Projekt Cucina Futurista 2.0. Im Rahmen der Vienna Design Week finden zwei (ausverkaufte) Dinner statt.

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