Wenn der Koch zum Foodscout wird

Roland Huber
Roland Huber(c) Grand Hotel Wien
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Österreich ist gut versorgt mit Spitzenköchen, wie ein Vorabblick in den "A la Carte Guide 2016" zeigt. Diese wiederum schätzen ihre Produzenten.

Das R-Wort will wirklich niemand mehr in den Mund nehmen. Abgedroschen sei der ewige Fokus auf die Regionalität, ein Modewort, das man nicht mehr hören könne, lautet der Tenor unter den heimischen Spitzenköchen. Kein Wunder, denn spätestens seit auch die Lebensmittelindustrie die Regionalität überstrapaziert, kann man sich damit nicht mehr abheben.

Allerdings hindert das die heimischen Spitzenköche – und nicht nur diese – nicht daran, Regionalität zu leben. Wer heute ganz oben mitspielen will, muss nicht nur gute Zutaten haben – was ja seit jeher Grundvoraussetzung für eine gute Küche ist. Es sollte ein bisschen darüber hinaus gehen. Sehr gut statt gut muss der Produzent sein und im Idealfall auch eine Geschichte zu erzählen haben. „Man muss ein besonderes Produkt haben und das möglichst exklusiv. Die Köche werden restriktiver bei der Darlegung ihrer Lieferanten, das hat natürlich mit Spionage zu tun“, sagt Christian Grünwald, gemeinsam mit Hans Schmid Herausgeber des am Donnerstag erscheinenden „A la Carte Guide 2016“.

Er hat mit der heurigen Testsaison neben einer wachsenden Spitze – 19 Restaurants wurden mit der Höchstwertung von fünf Sternen ausgezeichnet, im Vorjahr waren es noch 16 – gleich mehrere Trends ausgemacht: Neben der akribischen Suche nach dem perfekten Produzenten sind das die Themen Orange Wine bzw. Naturweine – die in Österreich vergleichsweise stark angeboten werden – sowie Zweitlokale, die eine einfachere und günstigere Linie fahre.


Logistik aufbauen. Aber zurück zum Kult um Lebensmittelproduzenten. Ein Rundruf bei heimischen Spitzenköchen macht deutlich: Die Beziehungspflege zu guten Produzenten wird immer wichtiger und intensiver. Das geht weit über das normale Einkaufen hinaus. „Das ist ein jahrelanger Aufbau. Da steckt viel Arbeit dahinter, deshalb gibt man die Produzenten auch nicht so gern preis“, sagt etwa Alain Weissgerber vom Taubenkobel, der im aktuellen „A la Carte Guide“ übrigens mit fünf Sternen und 97 Punkten bewertet wurde (im Vorjahr waren es 96 Punkte). Auch wenn er nicht von Exklusivverträgen sprechen will, meint er dennoch: „Ich muss mich auf meine Produzenten schon verlassen können.“ Dafür drücke er auch nicht den Preis und nimmt auch dann etwas ab, wenn er es nicht brauchen kann bzw. nicht eingeplant hat. Dann wird eben aus einem Überschuss an Pfirsichen Marmelade gemacht.

„Man muss mit den kleinen Produzenten anders umgehen als mit großen Lieferanten, ihnen entgegenkommen und eben auch selbst hinfahren, wenn sie keine Zeit haben“, so Weissgerber. Seine Fahrerin ist zwei Vormittage pro Woche damit beschäftigt, die Produzenten abzuklappern.

Auch wenn es unter den Kollegen mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander gibt, sind gute Produzenten heiß begehrt. Gefunden werden sie meist zufällig, über Mundpropaganda oder Gäste. „Wenn man es irgendwo liest, ist es eigentlich schon zu spät“, sagt Weissgerber, der mit zehn kleinen Produzenten sehr intensiv zusammenarbeitet. Der Rest ergebe sich saisonal, wie etwa durch Privatpersonen, die für ihn Wildfrüchte oder Kräuter sammeln.


Sortiment umstellen. Sein Kollege Thorsten Probost, der in der Griggeler Stuba im Burg-Vital-Resort in Lech am Arlberg kocht (fünf Sterne, 96 Punkte; 2015: 97 Punkte), hat gemeinsam mit seinen Produzenten teilweise deren Sortiment umgestellt. „Wir arbeiten nur mit laktosefreier Milch, ich wollte aber mit keiner großen Molkerei zusammenarbeiten, sondern mit einem Hof.“ Also hat er den Familienbetrieb Metzler gefragt, ob sie sich das vorstellen könnten. Ein Jahr hat es gedauert, bis diese ihr komplettes Sortiment von Milch über Topfen bis zu Käse auf laktosefrei umgestellt hat.

Probost hat bei seinen Produzenten anfangs oft Skepsis gespürt. Das funktioniere nicht, sei zu teuer und der Aufwand sei zu groß, habe er meist als Erstes gehört. „Dann sage ich ihnen immer: Ja, aber den Aufwand will ich zahlen. Wir reden ja zuerst über die Qualität und erst dann über den Preis. Wenn sie dann merken, dass man den Preis zahlt, den sie sich vorstellen, funktioniert es.“ Mittlerweile hat er sich einen treuen Stamm von Produzenten aufgebaut.

Von Exklusivrechten hält er nicht viel. „Den Exklusiv-Hype mach ich nicht mit, ich schicke auch meine Kollegen hin, wenn sie etwas suchen.“ Dass auch er sich auf seine neun Höfe, mit denen er eng zusammenarbeitet, verlassen will, versteht sich von selbst.

Richard Rauch, vom Steira Wirt in Trautmannsdorf, meint auf die Frage nach (international üblichen) Exklusivverträgen nur: „Exklusivrechte? Bei uns gilt Handschlagqualität.“ Rauch konnte sich im aktuellen Guide übrigens von 91 auf 96 Punkte steigern (fünf Sterne). Er fordert von seinen Produzenten ein gewisses Umdenken. „Das ist ein langer Prozess, aber man muss gewisse alte Strukturen in der Landwirtschaft durchbrechen“, sagt er. Viele Bauern waren es schon zu sehr gewohnt, an Großlieferanten zu liefern und daher eher auf Masse zu setzen. Die Jungen hingegen seien bereit, anderes auszuprobieren.

Er würde sich wünschen, dass auch die Produzenten beim Gastronomen anklopfen und ihre Produkte vorstellen. „Da fehlt das Selbstbewusstsein. Bei 80 Prozent muss der Wirt auf den Landwirt zugehen“, sagt Rauch. Foodscouts, die ein Bindeglied zwischen Produzenten und Köchen sind, würden seine Arbeit erleichtern. „In Paris gibt es das schon. Da gibt es kleine Agraragenturen, die vermitteln.“ Dennoch weiß auch er: „Man muss eine Beziehung und Vertrauen aufbauen.“

Das gilt selbst für Roland Huber, der in Wien im Le Ciel by Toni Mörwald im Grand Hotel kocht. Huber gilt mit der aktuellen Bewertung von vier Sternen und 95 Punkten als große Hoffnung. „Der könnte einer der Fixpunkte in Wien sein, die dann ganz oben landen“, sagt Christian Grünwald über ihn.

„Die Foodscouts sind wir selbst“, meint Huber, der mittlerweile Gemüsebauern hat, bei denen er die Ware nach dem Blattdurchmesser geordnet bestellen kann. Huber bezieht auch einen Teil seines Gemüses aus Mörwalds Gemüsegarten in Niederösterreich, der mit Pflanzen aus dem Arche-Noah- Fundus bepflanzt wird.

Die Wertschätzung gegenüber den kleinen Produzenten wird in allen Betrieben auch vom Gast geteilt. „Dem Gast wäre es am liebsten, die Kuh steht im Restaurant“, sagt dazu Richard Rauch. Und genau da kommen viele Köche in die Zwickmühle. Denn wer für den Gast transparent ist, ist das natürlich auch für die Konkurrenz. Da hilft es nur, seine Produzenten zu hegen und zu pflegen. Genau wie das Produkt.

DIE WERTUNG

Die Besten
• Döllerer's Genießerrestaurant, Andreas Döllerer, Martin Schmid, Golling (S): 99 Punkte, 5 Sterne
• Restaurant Simon Taxacher, Kirchberg in Tirol: 99 Punkte, 5 Sterne
• Steirereck, Heinz Reitbauer, Wien: 99 Punkte, 5 Sterne

Die Aufsteiger
• Johanns –Die Essensmanufaktur, Mike Johann, Bruck a. d. Mur (ST): von 71 auf 89 Punkte (4 Sterne)
• Wachter-Wieslers Ratschen, Stefan Csar, Deutsch Schützen (B): von 63 auf 80 Punkte (3 Sterne)
• Mörwald – Schloss Grafenegg, Patrick Fürst, Grafenegg (NÖ): 61 auf 75 Punkte (2 Sterne)

Die Neueinsteiger
• Die Weinbank, Gerhard Fuchs, Ehrenhausen (ST): 92 Pkt., 4 Sterne
Shiki, Takumi Murase, Wien: 86 Pkt., 4 Sterne
• Wunderkammer, Patrick Wohlfarter,Lech a. Arlberg (V): 85 Pkt., 3 Sterne

Guide 2016

»A la Carte Österreichs Gourmet-Führer 2016 «
Herausgegeben von Hans Schmid und Christian Grünwald, D+R Verlag, Wien, 468 Seiten, 25 Euro, inklusive „A la Carte“-Weinführer und „A la Carte“-Delikatessenführer. Ab 15. Oktober im Handel.

Für den Gourmet-Guide wurden 909 Restaurants von knapp 60 Privatpersonen anonym getestet. Bewertet werden die Kategorien Service, Tischkultur, Ambiente, Getränke und Küche. Letztere macht in der Gesamtrechnung mehr als 50 Prozent aus. Vergeben werden maximal 100 Punkte sowie maximal fünf Sterne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

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