Fischmarkt in Tokio: Sayonara Tsukiji

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Es ist das letzte Jahr für Tokios legendären Fischmarkt, auf dem die teuersten Thunfische gehandelt werden. Er muss einer Autobahn weichen.

Der Countdown läuft. Und damit beginnt auch die Wehmut und Panik, dieses quirlig-charmante Chaos inmitten von Tokio bald vermissen zu müssen. Nach jahrelangen erbitterten Kontroversen ist es mittlerweile beschlossene Sache: Tokios berühmter Fischmarkt Tsukiji zieht innerhalb der Megacity um. Damit wird der weltgrößte Umschlagplatz für Meeresprodukte, der seit 80 Jahren in der Tokioter Innenstadt für Einkäufer und Touristen eine feste Adresse hatte, sein angestammtes Areal nahe der Prachtmeile Ginza verlassen.

Mit exotischen Fischen, feinen Hummern und riesigen Thunfischen, geschäftigen Händlern mit gelben Nummernschildern, Bambuskörben und Gummistiefeln, seinen Sushi-Kneipen und Nudelshops bietet der Tsukiji jetzt nicht nur jede Menge Folklore, sondern auch Nos talgie. Wer das einmalige Spektakel als Gesamtkunstwerk noch einmal sehen will, hat nur mehr ein Jahr Zeit für einen Tokio-Trip: Anfang November 2016 wird die letzte Thunfischauktion eingeläutet, fünf Tage später soll der neue Markt für Großhändler im Stadtbezirk Toyoso, gut zwei Kilometer südöstlich vom jetzigen Standort entfernt, seine Tore öffnen. Auf dem aufgeschütteten Land in der Bucht von Tokio haben die Akteure auf einer Fläche von 40 Hektar doppelt so viel Platz. Vor allem aber zeitgemäße Verkaufsflächen mit modernen sanitären Einrichtungen, durchgehenden Kühlketten sowie einer ausgeklügelten Infrastruktur. Und nicht zuletzt mit direktem Anschluss an das Autobahnnetz für die vielen Lastkraftwagen, die Waren bringen und abholen und heute die Straßen um die Shin-ohashi-Magistrale hoffnungslos verstopfen.

Gefrorener Thunfisch am Tsukiji
Gefrorener Thunfisch am TsukijiReuters

Der alte Fischmarkt, 1935 in Form eines Viertelkreises aus damaliger Sicht großzügig gebaut, platzt aus allen Nähten. Im Inneren des Komplexes wird nicht nur Fisch gehandelt, der Tsukiji hat sich auch zum Zentrum der Obst- und Gemüsehändler entwickelt, die teilweise in abenteuerlichen bis unzumutbaren Buden und Abteilen einer Großhalle ihre Waren anbieten. 1000 registrierte Groß- und Zwischenhändler regieren diesen Hochbetrieb, der ab drei Uhr morgens bis in die Mittagsstunden andauert. Rund 60.000 Mitarbeiter schwirren für sie in einem schwer zu durchschauenden Gewusel durcheinander, Gabelstapler, Kleinstlaster und Karren schieben sich durch unglaubliches Gedränge.

Und die Touristen zu allem Überfluss, wie die Handelsakteure klagen. Seit Sterneköche aus aller Welt vom Tsukiji als Pilgerort für das frischste und seltenste Seafood schwärmen, ist der Markt eine Top-Destination für Ausländer, ziehen Busladungen über das Gelände, die vor allem die berühmte Thunfischauktion am frühen Morgen sehen wollen. Das ging den Händlern zeitweise so auf die Nerven, dass die Attraktion zwischenzeitlich ganz unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand oder die Zahl der Zuschauer begrenzt wurde.

Tsukiji Fischmarkt in Tokio
Tsukiji Fischmarkt in TokioReuters

Umstrittene Entscheidung. Trotz aller Widrigkeiten ist der Umzug der "Küche der Metropole" mehr als umstritten. Es ging damit los, dass auf dem neuen Standort zuvor eine Gasfabrik betrieben wurde, Experten fanden schädliche Substanzen auf dem Gelände, das daraufhin teuer dekontaminiert werden musste. Die ursprüngliche Planung sah vor, dass um den Fischmarkt ein großer Shopping-Komplex mit Restaurants, Einkaufspassagen sowie einem Wellnesshotel Besucher anziehen sollte. In der Zwischenzeit sprangen jedoch die verschiedenen Betreiber aus unterschiedlichen Gründen wieder ab. Das ist vermutlich schlecht für das Flair. Jetzt fürchten die Fischleute, dass der neue Markt zwar modern und hygienisch ist, sich aber auf den Großhandel beschränken wird, weil die Schaulustigen ausbleiben. "Die Entscheidung überhaupt war sehr umstritten", resümiert Hiroyasu Ito, der 80-jährige Chef der Vereinigung der Großhändler, und fasst damit die Stimmung seiner Kollegen in Worte. Die meisten möchten am alten Ort bleiben und hadern mit ihrem Schicksal. Was aus dem alten Tsukiji wird, ist vielen noch unklar.

Tsukiji Fischmarkt in Tokio
Tsukiji Fischmarkt in TokioReuters

Auf dem bisherigen Gelände hat sich in den vielen Jahren um den Kern des großen Fischbetriebs ein Außenmarkt gebildet mit unzähligen Sushi-, Nudel- und anderen Spezialitäten-Restaurants, mit Kleinhändlern, die alle Sorten Algen oder eingelegtes Gemüse, typisch japanische Küchenutensilien, Geschirr, Tee und natürlich auch einzeln Fisch verkaufen.

Diesen Ring, der mit seinen engen Gassen, nostalgischen Shops und Buden den Charme des alten Japans versprüht, betrachten viele Touristen ohnehin als "den Fischmarkt". So fand man einen etwas seltsamen Kompromiss: Old Tsukiji wird vorerst im Prinzip wohl bleiben, nur die Großhändler werden nach Toyosu "vertrieben", wie sie es nennen. Auf ihrem Gelände soll eine Autobahnanbindung, die Loop Line 2, gebaut werden, die für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio als unerlässlich gilt. Anstelle von munterem Handelstreiben nun pausenloser Großstadtverkehr. Da werden auch viele Tokioter nostalgisch. Sayonara Tsukiji, Abschied tut weh.

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