Gereifte Schokolade, Salz und Rohkost

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Schokoladentester Georg Bernardini über Trends in der Schokoladenwelt.

„Die USA hat Europa um Längen überholt, was die Experimentierfreudigkeit und Innovation betrifft“, sagt der deutsche Schokoladentester Georg Bernardini über neue Entwicklungen auf dem Schokolademarkt. In Belgien sehe es hingegen „ganz traurig“ aus. Kein einziges Unternehmen produziere bean-to-bar. Das bedeutet, dass eine Manufaktur (fermentierte und getrocknete) Kakaobohnen zukauft, diese aber selbst röstet und anschließend zu Schokolade verarbeitet.

Ein bisschen lässt sich die bean-to-bar-Entwicklung mit Craft Beer vergleichen. Auch bei den handwerklich gebrauten Bieren sind die USA vorn. Und ähnlich wie die Brauer bei Craft Beer auf neue Kreationen, Geschmacksvielfalt, Handwerk und ethisch vertretbare Produktionsweisen setzen, gibt es auch bei der Schokolade immer mehr kleine Hersteller, die sich auf das Gute in der Schokolade – in mehrfacher Hinsicht – konzentrieren. „In den USA gibt es 150 bean-to-bar-Hersteller, vor zehn Jahren waren es gerade einmal fünf. Europa hat das ein bisschen verschlafen, es kommt aber langsam“, sagt Bernardini, dessen Buch „Schokolade – Das Standardwerk. Der Schokoladentester 2015“ kürzlich erschienen ist. Bernardini hat darin an die 4000 Schokoladenprodukte aus 70 Ländern getestet. Der gelernte Konditor hat also einen recht guten Überblick über den aktuellen Markt.

Langsam, aber doch beobachtet er auch auf dem europäischen Markt Bewegung. So gäbe es heuer fünf Neugründungen in Deutschland, die ausschließlich auf bean-to-bar setzen. Auch in Schweden, Finnland, Tschechien, Ungarn, Polen, Lettland, Estland und Frankreich tue sich einiges. In Österreich war Zotter der erste und bislang einzige (siehe oben) bean-to-bar-Hersteller. Nur Belgien dürfte sich nach Bernardinis Befund ein bisschen auf seinem Ruf als Schokoladenland ausruhen. „Die leben von ihrem Ruhm vor 40, 50 Jahren.“

Weltweit habe sich aber in den letzten fünf Jahren viel getan hinsichtlich der Experimentierfreude der Schokoladenhersteller. „In den letzten drei Jahren ist es explodiert.“ So gab es 2012, als er sein erstes Schokoladentester-Buch herausgebracht hat, weltweit 120 bean-to-bar-Manufakturen. Drei Jahre später sind es schon 350.

Sorte, Herkunft, Jahrgang.

Dass Schokolade immer mehr geschätzt wird, machen auch andere Trends auf diesem Sektor deutlich. Auch wenn das noch nicht die große Masse betrifft, wird für viele Hersteller und Kunden die Herkunft der Kakaobohnen immer wichtiger. Auch neue und in Vergessenheit geratene Sorten werden (wieder)entdeckt. Heftig diskutiert wird unter Schokoladenexperten der Jahrgang der Bohne beziehungsweise das Thema gereifte Schokolade oder aged chocolate, wie es im Fachjargon heißt. Dabei wird die Schokolade zu fünf bis zehn Kilogramm schweren Blöcken verarbeitet und mindestens sechs Monate gelagert. „Danach wird sie aufgeschmolzen und zu Tafeln verarbeitet. Das ist ähnlich wie beim Wein, der zuerst in Fässern reift“, sagt Bernardini.

Und noch etwas beherrscht momentan die Schokoladenwelt: Rohkostschokolade. Immerhin gilt die Kakaobohne aufgrund ihrer gesundheitlichen Wirkung bei Rohkostanhängern als Superfood, sprich besonders nahrhaftes Lebensmittel. „Ich halte das für einen großen Blödsinn. Einerseits gibt es keine gesetzliche Regelung für Rohkostschokolade. Jeder kann das machen, wie er will.“ Andererseits – und das dürfte ihn viel mehr stören – kann Rohkostschokolade nicht funktionieren. Denn unter Rohkostanhängern werden Lebensmittel nicht über eine bestimmte Temperatur erhitzt, meist liegt die Grenze bei 42 oder 45 Grad Celsius. „Dabei gibt es zwei Probleme. Die Fermentation beginnt bei 45 Grad, und Röstaromen entwickeln sich erst bei 85 Grad. Wer keine Bohnen fermentiert und röstet, hat keine Aromaentwicklung, das kann nicht nach Schokolade schmecken.“ Hinzu komme, dass durch die hohe Temperatur beim Fermentieren auch Bakterien abgetötet werden. (Die Fermentation erfolgt übrigens direkt nach der Ernte, indem die Bohnen und das Fruchtfleisch mehrere Tage meist auf Bananenblätter gelegt werden.)

Geschmacklich wird derzeit viel mit Schokolade und Salz experimentiert. Oder mit ganz neuen Kombinationen. Bernardinis jüngste Kreation: eine weiße Brokkoli-Schokolade mit gesalzenen Mandeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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