Wenn Kinder vegan ernährt werden

Vegane Ernährung wird spätestens dann hitzig diskutiert, wenn es um Kinder geht.
Vegane Ernährung wird spätestens dann hitzig diskutiert, wenn es um Kinder geht.Hans-Bernhard Huber / laif / picturedesk.com
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Die Frage, ob man Kinder rein pflanzlich ernähren darf, beantworten Experten mit einem "Nein, aber". Problematisch ist es, auf den Trend aufzuspringen und wenig Wissen um die spezielle Ernährungsweise zu haben.

Essen ist Emotion. Und zwar nicht nur der Akt des Essens an sich, sondern auch der Umgang damit. Versuchen Sie einmal am Stammtisch des Schnitzelwirts, eine vegane Speise zu bestellen. Oder aber einem Veganer zu erklären, dass Blutwurst Ihre Leibspeise ist. Nicht so einfach. Es wird meist hitzig diskutiert, sehr oft sehr emotional, und es entsteht schnell der Eindruck, dass es um viel mehr als nur um Essen geht. Es geht um eine Weltanschauung.

Das betrifft nicht nur Veganer, denen gern unterstellt wird, dass sie sich für etwas Besseres, zumindest aber etwas Besonderes halten. Wer sie allerdings verurteilt, muss sich den Vorwurf der Intoleranz gefallen lassen. Denn was jemand isst, sollte doch zu den persönlichen Entscheidungen gehören, die jeder für sich selbst trifft.

Problematisch wird es, wenn Kinder im Spiel sind. Und zwar Kleinkinder, die eben noch nicht selbst entscheiden können, was sie essen und wie sie leben wollen. Dann wird die Emotionalität bei Diskussionen verständlicherweise noch etwas heftiger. Wie zuletzt, bei jenem tragischen Fall eines einjährigen italienischen Kindes, das wegen einer einseitigen veganen Ernährung mit einem Herzdefekt in einem Spital operiert werden musste. Das Kind war stark unterernährt. Der Richter entzog den Eltern das Sorgerecht und übergab es seinen Großeltern.

Ein tragischer Fall, der zeigt, dass man Kinder – selbst wenn es gut gemeint ist – auch mit der falschen Ernährung verwahrlosen lassen kann. Und auf den das Gesetz entsprechend reagierte. Das hinderte allerdings die Politik nicht daran, sich des emotional stark aufgeladenen Themas anzunehmen. Die oppositionelle Partei Forza Italia hat als Reaktion auf den Fall einen Gesetzesentwurf eingebracht, der Haftstrafen für Eltern vorsieht, die Kinder unter 16 Jahren zu veganer Ernährung zwingen. Ohne näher auf die italienische Rechtslage eingehen zu wollen, stellt sich hier die Frage, ob eine Gesetzesänderung überhaupt notwendig ist – immerhin wird Verwahrlosung auch jetzt schon geahndet. Vielmehr macht das Beispiel deutlich, wie nahe uns das Thema geht.


Kindesmisshandlung. „Die politische Diskussion ist nicht notwendig. In solchen Fällen, wie jenem in Italien, handelt es sich ganz klar um Kindesmisshandlung“, sagt dazu Karl Zwiauer, Leiter der Fachabteilung für Kinder- und Jugendheilkunde des Universitätsklinikums St. Pölten, der vegane Ernährung bei Schwangeren, stillenden Müttern, Säuglingen und Kleinkindern für problematisch hält. „Völlig absurd“, findet hingegen die Veganerin Susanne Richter die Forderung nach Haftstrafen. „Was ist dann mit den Eltern, die ihren Kindern nur Fast Food geben?“, sagt die Grazerin, die auch ihre drei Kinder sowie ihre Haustiere vegan ernährt.

Fakt ist, dass Mediziner und Ernährungswissenschaftler vegane Ernährung für Stillende, Säuglinge und (Klein-)Kinder nicht empfehlen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) spricht sich klar gegen eine vegane Ernährung bei Schwangeren, Stillenden, Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und gar Jugendlichen aus. Die Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde arbeitet gerade an einem Positionspapier, das zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Schon jetzt wird auch in Österreich von offizieller Seite eine vegane Ernährung für Kinder und Schwangere nicht empfohlen. Begründet wird das mit einer mangelnden Versorgung von Vitamin B12, Protein bzw. essenziellen Aminosäuren, Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D und Mineralstoffen wie Kalzium, Eisen oder Jod.

Für die Ernährungswissenschaftlerin Petra Rust von der Universität Wien ist eine vegane Ernährung bei Kindern zwar möglich, erfordert aber „sehr, sehr viel Wissen“. Eltern müssen nicht nur um die richtige Kombination von Lebensmittelgruppen Bescheid wissen, sondern auch, dass etwa Vitamin B12 ergänzt werden muss. Ein Mangel an Vitamin B12 kann zu schweren neurologischen Schäden und kognitiven Defiziten führen. Vitamin D wird hingegen ohnehin allen Säuglingen zusätzlich gegeben. Die Versorgung mit anderen wichtigen Nährstoffen können Veganer zwar mit einem ausgewogenen Speiseplan und Supplementen ausgleichen, allerdings weißt Rust daraufhin, dass man Kinder mit einer auf diese Art eingeschränkten Ernährung doch auch um Geschmackserfahrungen bringt. „Essen sollte ja auch ein Genuss sein. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder, deren Mütter sich schon in der Schwangerschaft besonders abwechslungsreich ernährt haben, eher bereit sind, verschiedene Lebensmittel auszuprobieren, und auch mehr Obst und Gemüse essen“, sagt Rust.

Dass man offenbar schon im Mutterleib an Geschmäcker gewöhnt wird, kann die 39-jährige Veganerin Susanne Richter bestätigen. Sie ist aus ethischen Gründen seit 16 Jahren Veganerin. Ihr Mann, den sie auf einem Tierrechtskongress kennengelernt hat, ernährt sich noch länger vegan. Da viele in ihrem Umfeld das auch so machen, war für beide von Anfang an klar, dass die drei Kinder (die heute zehn, acht und vier Jahre alt sind) auch vegan ernährt werden. Vitamin B12 wird bei der Familie mit einem Pulver zugeführt. „Da ich unsere Kinder sehr lang gestillt habe, haben sie das Pulver erst mit zwei, drei Jahren bekommen“, sagt Richter. Ein Bluttest habe bei ihr auch keinen Eisenmangel attestiert – „obwohl ich seit zehn Jahren durchgehend stille.“

Ihr Sohn wollte einmal zu Ostern ein Ei probieren – „er hat es ausgespuckt.“ Auch diverse Fleischersatzprodukte, wie vegane Bratwurst, schmecke ihren Kindern nicht. „Mein Mann und ich kochen uns das manchmal, weil wir den Geschmack mögen, wir haben ja doch lang Fleisch gegessen. Unsere Kinder finden das aber grauslich.“


Enormes Wissen. Richter dürfte zu jenen Veganern zählen, um die sich Ernährungswissenschaftlerin Rust weniger Sorgen macht. „Ich glaube, dass Menschen, die sich bisher vegan ernährt haben, ein sehr großes Wissen haben und sich bewusst ernähren. Ich bin mir nicht sicher, ob das auch bei jenen der Fall ist, die sich jetzt vegan ernähren, weil es gesund oder modern ist“, sagt Richter. Das sieht auch der Mediziner Zwiauer so. „Viele glauben, was ihnen selbst guttut, tut auch einem Säugling gut. Das ist aber nicht so. Ein Säugling hat einen völlig anderen Stoffwechsel und gravierend andere Nährstoffbedürfnisse.“

Diätologin Verena Heu weist daraufhin, dass es noch nicht viele Studien zu dem Thema gibt – und dass sich etwaige Mängel auch erst später, teilweise zu spät, zeigen. „Die Knochendichte entwickelt sich bis zum 25. Lebensjahr, was danach nicht da ist, erreicht man nicht mehr. Manche Mängel kann man später nicht mehr aufholen.“

Auffällig ist, dass jene ihre Kinder vegan ernährenden Eltern, die über die rein pflanzlichen Essgewohnheiten bereitwillig Auskunft geben, auch sehr gut über die – nennen wir es besonderen – Bedürfnisse dieser Ernährungsform Bescheid wissen.

Die Amerikanerin Raina Saul-Ganev, die seit drei Jahren in Österreich lebt und sich sowie ihren Mann und den gemeinsamen zweijährigen Sohn vegan ernährt, kann ebenfalls nur Positives darüber berichten. Ihr Sohn sei selten krank, fast nie erkältet. Und: Man gehe hierzulande recht offen mit dem Thema um. Viel offener, als es sich die New Yorkerin erwartet hätte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2016)

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