Bier: Überlegen überlagern

Ins Regal. Manche Biere kann man für Jahre ins Regal räumen. Nur kühl muss es sein. (Symbolbild)
Ins Regal. Manche Biere kann man für Jahre ins Regal räumen. Nur kühl muss es sein. (Symbolbild)(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sherrynoten und Dörrfruchtanklänge: Das Mindesthaltbarkeitsdatum zu ignorieren kann sich bei Bier auszahlen. Einblicke ins Lagern von Bockbieren, Stouts und Barley Wine.

Kunden, die gezielt nach Bieren fragen, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Freaks, die für Trappistenbiere mit einigen Jahren auf dem Buckel viel Geld zu zahlen bereit sind, die ein Waldbier Tanne von 2011 gegen Schwarzkiefer von 2013 tauschen, die Biere einer Charge auf fünf Jahre aufgeteilt verkosten: Das Wort Lager ist in Sachen Bier nicht nur als Bierstil von Bedeutung; von Vintage-Bier, wie etwa Brauer Axel Kiesby es nennt, wird noch öfter zu lesen sein. „Die Nachfrage wird immer größer“, sagt Markus Betz von BeerLovers. In dem Geschäft in der Wiener Gumpendorferstraße, wo man über 1300 verschiedene Biere führt, habe man einen eigenen Bereich für Biere eingerichtet, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben: „Und es gibt sogar Kunden, die nur in dieser Ecke einkaufen, weil sie sich auskennen.“ Markus Betz, der als Biersommelier nicht nur Verkostungen hält, sondern auch im BeerLovers-Shop teils sehr, teils weniger kompetente Kunden berät, wird immer öfter um Tipps für das richtige Lagern von Bieren gefragt. „Kühl, konstante Temperatur, kein Lichteinfall“, antwortet er dann. Grundsätzlich eignen sich vor allem Biere ab acht Volumsprozent Alkohol für das längere Lagern, meint er. Also Bockbiere, Stouts, Imperial Porters, Trappistenbiere, Barley Wines (besonders starke Ales). Oder aber jene spontan vergorenen belgischen Biere, die eher für Freaks geeignet sind. Immer mehr Hersteller geben zwar ein Mindesthaltbarkeitsdatum an, notieren aber auf den Etiketten auch gleich die Aufforderung, sich nicht sklavisch daran zu halten: „Zur Überlagerung geeignet“, heißt es etwa auf dem neuen holzfassgereiften Wild Affairs von Zwettler.

Versuchsanordnungen. „Die geschmackliche Entwicklung beim Lagern geht generell in Richtung weich. Die Kohlensäure schwindet, bei einem Bockbier etwa kommen noch mehr Röstaromen zum Vorschein, es wird karamelliger.“ Kunden, die sich für die Aromaentwicklung eines Bieres über die Zeit interessieren, empfiehlt Markus Betz, sich drei Flaschen zu kaufen. „Eine trinkt man sofort, macht sich vielleicht Notizen. Eine nach einem Jahr, eine nach drei oder vier Jahren.“ Wichtig sei beim Lagern von Bieren allerdings immer der Faktor „vielleicht“. „Es kann sein, dass sich gar nichts tut. Dass ein Bier nur abbaut“, meint Betz. Als Beispiel für die nicht vorhersagbare Entwicklung von Bieren nennt er das Hofstettner Honigbock, das er auch gleich für eine kleine Versuchsanordnung zuhause empfiehlt.

„Zur Eröffnung des BeerLovers-Geschäfts im vergangenen Dezember haben wir eines von 2011 bekommen, mit Bügelverschluss, wo natürlich immer Sauerstoff dazukommen kann. Das war nur schal. Das von 2012 hingegen war hochinteressant, fast ein Likör.“ Biersommelierstaatsmeister Clemens Kainradl empfiehlt Interessierten, sich eine Kiste mit dem Samichlaus der Brauerei Eggenberg zu besorgen und über zehn Jahre zu trinken. Mit seinen 14 Volumsprozent sei dieses Starkbier ein Paradebeispiel für Reifepotenzial. Denn der Alkoholgehalt ist entscheidend. „Ab sechs Prozent wird ein Bier nicht fader und schlechter, sondern kann sich auch positiv entwickeln.“ Ein filtriertes Bier mit 4,9 Volumsprozent sei eher der Kandidat für schalen Kartongeschmack. Eine Ausnahme sind Sauerbiere, die auch bei niedrigem Alkoholgehalt überaus lagertauglich seien und durch das Liegenlassen „runder, weniger kantig“ würden. Barley Wines wie das L’Ultima Luna von Del Ducato indes entwickeln sich, machte Kainradl die Erfahrung, „auch geöffnet noch über Monate positiv“ – auf den Flaschen von L’Ultima Luna sind als Mindesthaltbarkeit sogar einige Jahrzehnte angegeben.

Sherrynoten. Wie schnell ein Bier reift, hängt auch davon ab, wo es gelagert wird. „Wenn man es neben dem Kühlschrank stehen hat, wo es warm ist und vielleicht leicht vibriert, hat man eine Schnellreifung.“ Eine solche wird zu Testzwecken übrigens auch von großen Brauereien durchgeführt. Über ein paar Wochen hinweg wird abgefülltes Bier immer wieder aufgeheizt und heruntergekühlt, „um ein, zwei Jahre Reifung zu simulieren“. Die Entwicklung des Aromaprofils beschreibt Kainradl, der auch Bierhändler ist (Bierfracht.at), anhand eines Double IPA (India Pale Ale) so: „Am Anfang ist da eine deutliche Hopfenbittere. Die geht langsam zurück, dafür spielt sich allmählich das Malz in den Vordergrund, es kommen Anklänge an Dörrfrüchte dazu, zarte Sherrynoten.“ Die Sherrynoten erwähnt Kainradl auch bei Bockbieren: „Mir sind Bockbiere oft zu süß. Mit dem Lagern geht die Süße zurück, und es entwickeln sich Sherrynoten. Ein Bockbier will auch nicht mit Hopfen punkten, das heißt, der Rückzug des Hopfens stört da nicht.“ Der Biersommelier empfiehlt generell, Bockbiere „wie den typischen Weihnachtsbock einer Großbrauerei“ erst nach mindestens einem Jahr zu trinken. Noch viel weiter geht da der Piemonteser Teo Musso, Bierbrauerikone und Craftbeer-Vorreiter Italiens: Auf seinem Xyauyù, einem kohlensäurefreien, fast likör­artigen Barley Wine mit 14 Volumsprozent Alkohol, ist als Haltbarkeitsangabe zu lesen: „La fine del mondo“ – Das Ende der Welt.

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