Surfen auf der dritten Welle

Das Bewusstsein für den Rohstoff steigt
Das Bewusstsein für den Rohstoff steigtClemens Fabry
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Kaffeeliebhaber achten mittlerweile auf jeden Aspekt des Getränks: Geschmack, Nachhaltigkeit, Vielfalt und Transparenz rücken in den Vordergrund – die großen Marken müssen sich anpassen, kleine Betriebe profitieren.

Die „Third Wave“, die dritte Kaffee-Welle-Bewegung, hat in den USA schon in den 1990er-Jahren eingesetzt. Jetzt schwappt sie auf Europa über. Charakteristisch für sie ist, dass der Genuss in den Mittelpunkt rückt und jeder Schritt der Bohne, vom Anbau über den Handel und das Rösten bis hin zur Zubereitung verfolgt und transparent gemacht wird. Grundsätzlich verändert sich das komplette Verhalten des typischen Kaffeetrinkers.

„Vor einigen Jahren bediente sich der Österreicher an der Kaffeetankstelle, um munter zu bleiben“, sagt Tchibo/Eduscho-Geschäftsführer Harald J. Mayer und spielt auf die Filtermethode an. Inzwischen ist Kaffee ein Genussmittel für die verschiedensten Bedürfnisse. Bestätigt sieht Mayer diese Entwicklung angesichts der Tatsache, dass innerhalb des Röstkaffeemarkts die Segmente Espresso und Einzelportionierer Steigerungen verzeichnen. Der Konsument brüht jede Tasse extra und der jeweiligen Situation angepasst. Für den Filtermarkt bedeutet diese Entwicklung einen steten Rückgang. Lag er vor zehn Jahren noch bei einem Marktanteil von 80 Prozent, sind es aktuell nur noch 50 – Tendenz: schrumpfend.

Aber es gibt Hoffnung für Filter-Fans. „Mahlkaffee ist wieder im Kommen, und es gibt viele Facetten und Brühmethoden sowie entsprechende Röstungen und Mahlgrade“, sagt Renata Petovska, Geschäftsführerin Julius Meinl Österreich. „Weltweit, aber speziell in den USA und England, erleben Filter, Cold Drip und French Press ein Revival.“ Julius Meinl springt auf diesen Trend auf und bietet mit seiner PremBreak den weltweit ersten Filterkaffee on demand.

Neugierde und Anspruch

Für Kaffee-Aficionados kommen nur noch Sorten besonderer Qualität, also speziell Arabica-Sorten, infrage. „Die Kaffee-Expertise der Konsumenten nimmt weltweit und auch in Österreich zu“, sagt Petovska. „Das macht Kaffeetrinker anspruchsvoller und neugieriger. Das Qualitätsbewusstsein steigt.“

Ähnlich wie beim Wein vor rund 15 Jahren entsteht beim Kaffee ein Expertentum, über das nicht nur professionelle Baristas, sondern auch immer mehr private Kaffeegenießer verfügen. Die aktuelle Entwicklung sei ganz im Sinn von Julius Meinl, sagt Petovska; Das Familienunternehmen, das mittlerweile in fünfter Generation geführt wird, gilt seit über 150 Jahren als Inbegriff gelebter Wiener Kaffeehauskultur. Auch J. Hornig, die Kaffeehausrösterei mit Hauptsitz in Graz, beobachtet die neue Genusskultur. „So stark wie nie zuvor achten die Menschen darauf, was in ihrem Lieblingsgetränk steckt. Das wirkt sich auf den gesamten Markt aus“, sagt Johannes Hornig, Geschäftsführer von J. Hornig. „Zum einen möchte man wissen, woher das Produkt kommt, aber auch, wie er geröstet wurde.“

Davon profitieren besonders kleine Röstereien, in den Cafés werden verstärkt alternative Brühmethoden angeboten. Bestes Beispiel ist Wiens erster „3rd wave coffee shop & Rösterei“, die Coffee Pirates. „Die letzten fünf Jahre waren so spannend wie die Erfindung der Espressomaschine selbst“, sagt Evelyn Priesch, die gemeinsam mit Werner Savernik die Coffee Pirates in Wien eröffnet hat. „Der Weg vom verbrannten, bitteren Industriekaffee hin zu Kaffeespezialitäten mit beeindruckenden Geschmacksprofilen ist eine tolle und notwendige Weiterentwicklung, die von uns kleinen Röstereien und Coffeeshops ins Rollen gebracht wurde. Und jetzt treiben wir die großen der Branche vor uns her. Es ist lustig, wenn die Millionenkonzerne plötzlich Respekt vor den Coffee Pirates und anderen innovativen Röstereien haben.“

Kaufargument Nachhaltigkeit

Mit der dritten Kaffee-Welle hält auch das Thema Nachhaltigkeit verstärkt Einzug in Österreich. J. Hornig setzte diesbezüglich 2015 mit der Spezialitätenlinie Joho's ein Zeichen: „Die Bohnen dafür sind nämlich direkt gehandelt“, so Hornig. „Sie werden ohne Zwischenhändler direkt von den Produzenten in den Ursprungsländern bezogen.“

Werner Savernik von Coffee Pirates prophezeit: „Die Gäste werden schon bald nicht einfach mehr einen Cappuccino oder Espresso bestellen, sondern zwischen verschiedenen Kaffeesorten und Herkunftsländern auswählen können.“ Ähnlich wie bei einer Weinkarte werde es in Zukunft auch verschiedene Kaffeesorten mit unterschiedlichsten Charakteristiken zur Auswahl geben. Ein Trend, der heuer bereits hohe Wellen geschlagen hat, ist kalt gebrühter Kaffee als Alternative zu Eiskaffee und zuckerhaltigen Energydrinks – der sogenannte Cold Brew. „Aus asiatischen Cafés ist Cold Brew nicht mehr wegzudenken“, sagt Hornig. „Einen richtigen Hype gibt es gerade in den USA. Dort wird in vielen Coffeeshops schon mehr kalt als heiß gebrühter Kaffee verkauft – selbst im Winter.“ Mit dem J. Hornig Cold Brew hat die Österreichische Spezialitätenrösterei hierzulande erstmals einen kalt gebrühten Kaffee, haltbar in der Flasche, auf den Markt gebracht. Für die Zubereitung verwendet J. Hornig ausschließlich Wasser mit Raumtemperatur.

Auf einen Blick

Letztlich stecken auch in den neuen Technologien Potenziale, den Kaffeekult voranzutreiben. Tchibo/Eduschos Qbo-Kaffeemaschine lässt sich per Smartphone bedienen. Die Geschmacksrichtungen des Kaffees kann man hier selbst zusammenstellen. Julius Meindls Pendant für die Gastronomie ist die 1862 Premium mit intelligenten Bestandteilen. In Technologie investiert man auch bei Nespresso: Die Maschine Expert bestellt automatisch Kapseln nach.Drei Tipps für Kaffeeliebhaber

Inspiration aus New York. Kalter Kaffee aus handverlesenen und individuell gerösteten Bohnen ohne Zucker und andere Zusätze, das ist Kaffeetschi. „In meiner Zeit in New York habe ich Cold Brew entdeckt. Das Produkt und die Qualität haben mich fasziniert, also habe ich es sozusagen mit nach Wien genommen“, sagt Amar Cavic, der auch eine Barista-Schule in Wien betreibt (siehe S. F3). „Wir haben viel experimentiert, bis das Produkt fertig war. Da ich schon seit einigen Jahren gemeinsam mit meinem Vater die Rösterei Koffeinschmiede führe, konnten wir das Produkt im eigenen Haus entwickeln“, erzählt Cavic über die Anfänge des Projekts. Der kalte Koffeinkick kommt in kleinen braunen Vintageflaschen und findet in immer mehr Kühlregalen seinen Platz, beispielsweise in Filialen von Spar Gourmet und Merkur.

Genussfestival. Am 8. Oktober findet das Standart Festival im 25 Hours Hotel Wien statt und bietet Kennern und Kaffeeneulingen die Möglichkeit, in die Welt des Kaffees einzutauchen. Bei Verkostungen kann man dort Variationen aus der ganzen Welt ausprobieren. Dazu gibt es Workshops und Vorträge, die voll und ganz dem Kaffee gewidmet sind. Zehn innovative heimische wie internationale Kaffeeröstereien, zum Beispiel die Coffee Pirates und Per Nordby, gewähren Einblicke in die Hintergründe und Geheimnisse ihrer Kunst. Verschiedene Röstungen und Kaffeegetränke können ebenso getestet werden. Die Messekarte kostet 17 Euro – daneben kann man auch Cocktails von experimentierfreudigen Mixern genießen, Designarbeiten werden ebenfalls gezeigt. Eine Veranstaltung also nicht für Freunde des Kaffees, sondern generell des Genusses und der schönen Dinge.

Vintage-Maschinen. Eine Espressomaschine im Retrostil, Dosen für die Kaffeebohnen, bunte Tassen: Kaffee macht nicht nur munter, er verschönert auch Küchen und Regale. Gerade alte Einzelstücke, ob Maschinen, Mühlen oder Kaffeeservices, sind ein Blickfang; im Besonderen sind manche ältere Kaffeemaschinenmodelle auch echte Wertanlagen und machen, erst einmal wieder in Schuss gebracht, exzellenten Kaffee. Mario Sciurti restauriert in seinem Laden Wakeup im dritten Wiener Gemeindebezirk solche Maschinen. Defekte Teile werden ausgetauscht, Filter entkalkt und verstaubte Maschinen wieder auf Hochglanz gebracht. Daneben verkauft Sciurti ebenso Bohnen, Mühlen und Maschinen (auch in seinem Onlineshop), ob für Private oder Gastronomen. Im Vintagecorner vertreibt Sciurti auch echte Raritäten aus der Welt der Espressomaschinen.

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