"Kein weicher, breiter Wein"

Weingärten in der Bergwelt haben eine lange Tradition. Eine Initiative will das Bewusstsein für diese "heroischen" Reben schärfen. Doch welche Kriterien gelten für alpinen Wein?

Alpen und Wein scheinen ein Gegensatz zu sein. "Sind es aber ganz und gar nicht", sagt der Kulturgeograf Werner Bätzing und verweist auf eine Weinbautradition, die bis vor die Römerzeit zurückreichen dürfte. Bis auf 800 Meter Höhe sei Wein kultiviert worden, sagt der Autor des Standardwerks "Die Alpen: Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft". Der deutsche Professor ist einer der Experten, mit denen die Initiative Die Erben genauer gesagt: Kulinarische Erben der Alpen die Rolle des Weinbaus im Gebirge thematisiert.

Zurückgedrängt haben den weit verbreiteten Berglandwein, der an Flurnamen immer noch ablesbar ist, drei Faktoren, sagt Bätzing: die Zwischeneiszeit (1645 bis 1715), die Reblauskatastrophe und die Modernisierung der kleinteiligen Landwirtschaft ab 1880. Nur zwei Regionen, Südtirol und das Wallis, hätten im 20. Jahrhundert an Bedeutung gewonnen, "beide setzten aber auf Massen-Weinproduktion". Ein Image, das im Falle Südtirols (Stichwort: Kalterer See) teils bis heute das Bild beim Konsumenten beeinträchtigt. Ist der alpine Weinbau nur eine Schwundstufe und seine Geschichte die eines permanenten Verlusts? "Nein", meint Bätzing dazu, "ich sehe da viel Aufwertungspotential." Die in die Felsen gebauten Terrassen bedürften in Zeiten der Sehnsucht nach authentischen Produkten nur der Förderung. Dementsprechend stellt auch das Interesse der Initiative Die Erben keinen Selbstzweck der aus bäuerlichen Produzenten und Spitzenköchen bestehenden Vereinigung dar. Via Webshop sollen die alpinen Weine ein breiteres Publikum finden.

"Alpines" Australien. Verblüffenderweise in Zeiten zunehmender Markenbildung hat die verbindende Klammer vom französischen Jura bis zum burgenländischen Leithaberg nämlich noch niemand genutzt. Zwar findet sich im maßgeblichen Oxford-Weinlexikon von Jancis Robinson ein "alpiner" Eintrag. Der allerdings führt ans andere Ende der Welt das Alpine Valley ist ein Weinbaugebiet in Australien. Und auch den Bergwein als rechtliche Kategorie gibt es; die in der Steiermark gebrauchte Bezeichnung gilt für Reben von Steillagen mit mindestens 26 Prozent Neigung. Der aktuelle Höhenrekord für Rebanlagen liegt bei rund 1300 Metern, die im schweizerischen Visperterminen oder dem Susa-Tal in der italienischen Region Aosta erreicht werden. Auch in Österreich gibt es Höhenweinbau. Etwa bei Werner Holzfeind, einem Kärntner, dessen Gemischter Satz in Kötschach-Mauthen auf 750 Metern wächst. Hanni und Claus Aniballi von Terra Austriacus im Tiroler Prutz bewirtschaften auf 866 Metern den höchsten Weinberg im wahrsten Sinne des Wortes. Die wirtschaftliche Bedeutung ist aber überschaubar, Holzfeind etwa kommt "mit 300 Rebstöcken gerade einmal auf 75 Liter Wein". Konkrete Unterstützung für die Wein-Bergbauern gibt es nur wenige Kilometer von seiner Rebanlage entfernt. Das italienische Finanzierungsprogramm Vino eroico (etwa: heldenhafter Wein) fördert nicht nur die Weingärten auf Inseln wie Pantelleria, sondern generell die Raritäten aus benachteiligten Gebieten. Clemens Lageder vom bekannten Südtiroler Weingut Alois Lageder tut sich dennoch schwer mit dem Begriff: "Sind das nur die autochthonen Sorten? Oder woran macht man alpinen Wein fest?"

Geo- statt Biowein? "Wenn man eine Grundlage finden will, dann kann das nur der Boden sein", meint Gernot Heinrich, der mit dem Leithaberg den äußersten Ausläufer der Ostalpen bearbeitet. Die Berg-Definition, mit den Augen eines Golsers betrachtet, funktioniert dabei ex negativo: "Das kann kein humoser, tiefgründiger Boden sein." Wie schwer sich der Weinbau mit einem so unbestreitbaren wie im wahrsten Sinne massiven Terroir-Begriff tut, zeigt sich mit einem vergleichenden Blick auf die Gerichte, die während einer Diskussion beim Symposium der Erben im Fuxbau in Stuben am Arlberg gereicht werden. Hier bekennt sich Tobias Schöpf zu lokalen Lebensmitteln, was Gemüse aus dem Rheintal, Fisch aus dem Zuger Teich oder Wild aus den Wäldern um Klosters auf der Speisekarte bedeutet. Aber auch das gefleckte Alpenschwein kommt bei ihm nose to tail verkocht auf den Tisch. Die Schweinehälfte stammt von Josef Andreas Holzers Krameterhof.

Der Sohn von Permakultur-Rebell Sepp Holzer bewahrt im Lungau die Rasse vor dem Aussterben, die letzten Tiere wurden aber in Italien entdeckt und durch Züchtung vermehrt. Ein solcher Grenzgang ist im Fuxbau bei den Weinen weniger üblich. Tanja Gohrke serviert den Gästen des Hotels dafür naturnahe Weine aus Österreich. Diese Kategorie hat sich mittlerweile so bewährt, dass man die Flaschen von Johannes Zillinger, Christian Tschida oder Michael Gindl nicht unter einer eigenen Rubrik führt. Biowein gibt es hier so selbstverständlich, wie zum Frühstück Sig, das Vorarlberger Molkekaramell, auf den Tischen steht.

Dabei wäre die Geologie als verbindendes Element des Weinbaus über Landesgrenzen eigentlich aufgelegt, meint Christian Zündel, biodynamischer Produzent aus dem Tessin ("die kühlste und feuchteste Weinregion der Alpen"). Wie der Biodynamie-Begründer Rudolf Steiner spricht auch er dabei nicht nur vom steinigen Untergrund, sondern von Energien: "Dieses aufgestülpte Gebirge ist ja relativ jung und wächst heute noch. In der gewaltigen Oberfläche werden laufend neue Mineralien freigesetzt, da steckt viel Energie drinnen." Die folgende Definition Zündels legt sich aber bei aller Wein-Esoterik ziemlich fest: "Diese Energie und Dynamik muss ein alpiner Wein wiedergeben: Das kann kein weicher und breiter Wein sein."

Wein der Senner. Emilio Foradori stimmt nicht nur zu, der ehemalige Philosophie-Student aus dem Trentino hat auch ein Paradebeispiel eines alpinen Weins zu bieten. Konkret stellt das Weingut seiner Mutter, Elisabetta Foradori, den Keller für den Gemeinschaftswein "Per Ciso" zur Verfügung, für den neun Produzenten zusammenarbeiten. Die seltene Rebsorte Lambrusco a foglia frastagliata, heute wegen der Verwechslungsgefahr mit dem Lambrusco (mit dem er nichts zu tun hat) Enantio genannt, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Almwirtschaft. "Diese Rebe isolierte einzelne Beeren, wenn sie vom Mehltau befallen waren", sagt Foradori. "Deshalb war er ideal für die Bauern, die sich in der Zeit des Almauftriebs nicht um den Weingarten kümmern konnten". Mit den gemischten Landwirtschaften unter dem Rebdach des Enantios wurde auch Gemüse gezogen verschwand auch der Trentiner Lambrusco. Einen halben Hektar mit uralten Weinstöcken gab es noch; nach dem Tod ihres Besitzers sollte hier "wie überall im Trentino Pinot Grigio angepflanzt werden", so Foradori. Die eigens gegründete Vereinigung I Dolomitici übernahm die Pflege des wurzelechten, aus dem Jahr 1901 stammenden Weingartens. 3.000 Flaschen konnten im Jahrgang 2012, der aktuell im Handel ist, gefüllt werden. Die als Hommage an den letzten Besitzer Narcisco benannte Rarität schmeckt wie ein kühler, würziger Pinot Noir. Oder ist das einfach der Geschmack alpinen Weins?

TIPP

Der Gemeinschaftswein "Per Ciso" ist in Österreich nicht leicht zu finden; den Jahrgang 2012 bietet www.vinaturel.de um 20,50 Euro an. Geplant ist auch eine Listung im Webshop der Erben, www.dieerben.org

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