Künstlerbars: Anstoßen auf die Kunst

Los-Bar. In Los Angeles gastierte eine Nachbildung der Wiener Loos-Bar.
Los-Bar. In Los Angeles gastierte eine Nachbildung der Wiener Loos-Bar.Los Bar 2015
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In der Kunstszene wurde schon immer viel getrunken. Kein Wunder, dass Künstler selbst gern Bars bauen. Über die vielleicht leidenschaftlichste Form der Sozialskulptur.

Durchs Reden kommen d' Leut' zsamm, heißt es. Und da Alkohol bekanntlich die Zunge lockert, kommen sie durch das Trinken wohl noch enger zusammen. Oder auseinander, so wie Tristan Tzara und Andr Breton, die sich 1922 in der Pariser Brasserie La Closerie des Lilas bis zum Ende des Dadaismus stritten. Zehn Jahre zuvor waren die Kubisten dort Stammgäste, und im 19. Jahrhundert hatten sich dort Paul Cézanne und Èmile Zola besprochen. Währenddessen vernebelte oder erweiterte der Absinth in den Bars von Montmartre nicht nur Toulouse-Lautrecs Absinth-Trinkerin, wie er ein berühmtes Gemälde nannte, die Sinne, sondern auch vielen Bohemiens.

Avantgarde-Gelage. Die Avantgardisten machten Cafés und (oft zwielichtige) Bars zu Dreh- und Angelpunkten ihres Soziallebens und später zu Fixpunkten in Reiseführern. Welcher Tourist besucht nicht das Wiener Café Central, in dem die Kaffeehausliteraten Schach spielten und debattierten? Und wer will nicht einen (oder zehn) Drinks in der als Loos-Bar bekannten American Bar nehmen? Die Bar an sich ist ein eigener Kosmos, in dem so manch soziale Regel außer Kraft tritt. Liebe, Exzess, Freundschaft, Streit die Katharsis des Subjekts, das sonst immer funktionieren muss, hat hier ihre Bühne. Zugleich ist das ein Feld, das Künstler ohnehin beackern, was wohl ihre Liebe zum Nachtleben erklärt, in dem auch die poetische Möglichkeit im Raum hängt, Unterschiede zwischen Menschen aufzuheben. Traditionell war das eine Männerdomäne, denn exzessiv sollte die Dame von Welt nicht sein. So war es denn anfangs Frauen gar verboten, die Loos-Bar zu betreten. Doch schon wenige Wochen nach ihrer Eröffnung 1908 hatten sie sich den Zutritt erobert.

Dass österreichische Künstler 2015 auf die Idee kommen, den legendären Wurf von Adolf Loos in die USA zu verpflanzen, hat seine eigene Poesie. Passenderweise entstand die Idee in einer "besoffenen Nacht", wie Christoph Meier erzählt. Er, Andreas Bauer, Robert Schwarz und Lukas Stopczynski nutzen ihre Stipendien in Los Angeles dafür, die Bar in der Garage der dortigen Mackey Apartments die in den Dreißigerjahren vom Loos-Schüler R. M. Schindler errichtet wurden nachzubauen. Mit Wänden aus Sperrholz und Klimaanlagenfiltern als Sitzpolstern. Als "Los-Bar" geriet das Projekt zum lokalen Highlight. Jeden Freitag versammelten sich bis zu 400 Leute, um zu feiern, Performances zu sehen und Konzerte zu hören.

Und: um zu rauchen, was in den USA als besonders verrucht gilt. "Es sprach sich so schnell herum, es ist richtig ausgeartet. Es kam auch nicht nur Kunstpublikum", erzählt Christoph Meier. Die "hedonistischen Europäer" erklärten das feucht-fröhliche Beisammensein also zum Kunstwerk, der Nachbar beschwerte sich, aber sonst waren alle glücklich sogar die "New York Times", die begeistert berichtete. "Die Garage hatte dieselbe Länge wie die Loos-Bar in Wien, nur Höhe und Breite waren 0,65 Prozent kleiner. Wir haben das Kuratieren der Events also auch um 0,65 Prozent weniger ernst genommen", erklärt Christoph Meier. Die Beschwerde-E-Mails des Nachbarn etwa wurden mit Helium-Stimme vorgelesen. Am Ende versammelten sich alle in der Wüste, wo die Bar in Flammen aufging. So feurig wie die Leidenschaften im Alkoholtempel.

Sozialskulptur. Ein weniger radikales Schicksal ereilt die jüngste Arbeit der Baer Group. Das Kollektiv siedelt seine Arbeit zwischen sozialer Skulptur, Begegnungsraum und Experiment an, was dazu geführt hat, dass das Bauen von Bars in den Mittelpunkt der Tätigkeit gerückt ist. Das Motto erläutert Arthur Summereder: "Mit gesellschaftlichen Beziehungen und Geselligkeit arbeiten wir dagegen." Im Freien Theater Innsbruck inszenierte die Gruppe einen "Bar-Abend" mit schlichtem Holztresen in der Mitte des Raumes. Im ersten Akt wurde die Konsumlogik umgedreht, das überraschte Publikum bekam fürs Trinken Geld. "Die Leute redeten alle davon, dass sie das jetzt ausnützen werden, aber sie trauten sich nicht. Es bekam eine unheimliche Dimension", erzählt Summereder. Als nach der Pause klar wurde, dass man nunmehr für die Getränke bezahlen müsste, raunten alle: "Ach, hätten wir doch..."

Trinken im Kunstsektor gehört zwar seit jeher zur Normalität, angesichts immer größer werdender Events stellen viele heute aber die Frage, ob die Kunst bei derlei nicht zu kurz komme. Ist es doch bei Biennalen und Art Fairs oft das Wichtigste, die beste Party zu finden, und Vernissagen sind ohnehin eher zum Networking als zum Betrachten der Kunst gedacht. Die Zuspitzung der Sozialskulptur zur Bar kann man als künstlerische Verarbeitung dieses Phänomens sehen, aber auch mit einer Zunahme des Partizipativen in den Künsten generell zusammenbringen. Schon vor 20 Jahren ließ Kurator und Kunstkritiker Nicolas Bourriaud mit seinem Konzept der relationalen Ästhetik aufhorchen, derzufolge er die sozialen Beziehungen statt die Repräsentation in den Mittelpunkt der Kunst stellte.

Anteilnahme. Dass Partizipation auch ein hartes Instrument für soziale Mobilität ist, griff die von Künstler Jeppe Hein 2007 eröffnete Karriere-Bar in Kopenhagen schon im Namen ironisch auf. Für die Gestaltung der Cocktailbar plus Restaurant lud Hein knapp 40 Künstler und Künstlerinnen ein, darunter etwa Olafur Eliasson und Monica Bonvicini. Der Imperativ zum Geselligsein ist in vielen Berufen allgegenwärtig, denn durch die heitere Gemeinsamkeit werden gern auch Karrieren geschmiedet. In der Karriere-Bar muss man die Anbahnung nicht einmal auf der Toilette unterbrechen: Zwei Kloschüsseln in einer Kabine sorgen dafür, dass man sich mit dem künftigen Boss/Sammler/Angestellten des gemeinsam getrunkenen Longdrinks auch gemeinsam wieder entledigen kann.
Wer in welches Caf oder welche Bar geht, ist da natürlich nicht ganz irrelevant. Jenen Etablissements, in denen sich Menschen unterschiedlichster Herkunft treffen, kommt dabei eine besondere Funktion zu. Diesen Aspekt bearbeitete Carsten Höller in seinem Double Club, der für die Fondazione Prada ab November 2008 ein halbes Jahr lief. Kongolesische und westliche Kunst, Design und Musik trafen in dem Pop-up-Club aufeinander und lockten so auch die gesamte In-Crowd in das viktorianische Lagerhaus in London, in dem The Double Club aufgebaut war. Dabei ging die Gestaltung durchaus in die Tiefe sozialer Realitäten, denn der Club war in zwei Hälften geteilt. Auf der einen wurde unter Wellblechdach kongolesisches Flaschenbier serviert, auf der anderen Champagner unter schimmerndem Kupfer.

In Wien traf sich die Jung-In-Crowd von 2008 bis 2015 unter anderem im Ve.Sch zwischen Weißen Spritzern, Rauchschwaden, Ausstellungen und Filmabenden. Gründer Martin Vesely, der als bildender Künstler auch Möbel und die Theke im Ve.sch baute, ließ dort einem vielfältigen Programm Raum und pflegte gleichzeitig den sozialen Aspekt einer Bar. 2015 wurde auch Hans Schabus zeitweise zum Barkeeper: Im Café Hansi, einem Holzraum mit silbernem Interieur in der Wiener Galerie Kerstin Engholm schenkte er während seiner Einzelausstellung mittwochs Cocktails aus selbst entworfenen Gefäßen aus. Gänzlich alkoholfrei ist hingegen das Mobile Tea House von Rainer Prohaska. Beim Steirischen Herbst 2016 rief er dazu auf, ein Teehaus aus Holz und Ratschengurten zu bauen und sich dem völker- und kulturverbindenen Teetrinken hinzugeben.

Lustvolle Sache. Es gibt also das Lustprinzip, das Künstler zum Gestalten und Bespielen von Stätten des Trinkens treibt: das Benutzen des Werkes, die Frage danach, was in den Zwischenräumen von Kunst und Leben, Rationalität und Irrationalität, Funktion und Funktionslosigkeit, Öffentlichem und Privatem passiert. Und schließlich die Möglichkeit des alles transzendierenden Exzesses, wie sie vor allem "Bad Boy" Martin Kippenberger, der das SO36 in Berlin zum Hotspot machte (und so die Punks gegen sich aufbrachte) vorlebte. Eine formal eindrückliche und humorvolle Skulptur haben auch No le Ody und Cäcilia Brown in der Salzburger Galerie 5020 gezeigt. Im Rahmen der Ausstellung "Hotel Ananas", die vor ein paar Jahren zu sehen war, rollten in einer aus Holz gebauten, kreisförmigen Theke typische Elemente der Barkultur: bunte Billardkugeln. Das kann man auch als Metapher für die Hoffnung auf das Spielerische im Nachtleben sehen, das uns der Banalität des Daseins enthebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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