„Wasted“: Trester, Strunk und Flossen

Hoch oben. Möbel aus Artischockenstielen, Algenlampen und visionäre Ausblicke.
Hoch oben. Möbel aus Artischockenstielen, Algenlampen und visionäre Ausblicke.(c) Gareth Davies
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Der Koch-Intellektuelle Dan Barber zeigt große Ideen aus Küchenabfällen:
beim Pop-up „Wasted“ auf dem Dach des Londoner Kaufhauses Selfridges.

Ein Dollar Rabatt, wenn man sein Brotpuddingdessert mit Schweineblut anreichert. Ein Eintopf aus Grünkohlstielen. Ein Gericht namens Hundefutter, bestehend aus „unbrauchbaren“ Erdäpfeln und Bratensaft. Schweinehautnudeln mit einem Sud aus Erdäpfelschalen. Auf den Tischen: Öllampen mit brennendem Rindertalg und Selleriegrün als Blumendekoration. Mit diesen Ideen sorgte Dan Barber, unbestreitbar einer der intellektuellsten und einflussreichsten Köche der Welt, vor genau zwei Jahren für ein ausgebuchtes Restaurant. Während des dreiwöchigen Pop-ups „Wasted“ im Blue Hill im New Yorker Stadtteil Greenwich wurde 2015 ausschließlich mit Küchenabfällen gekocht. Als Lieferanten fungierten dabei nicht nur die üblichen hochkarätigen Verdächtigen (von denen freilich andere Ware als sonst gefordert war, etwa Fischköpfe und Flossen statt Filets). Sondern etwa auch eine Saftbar in der Nähe, die medium-rare-rote Pressrückstände von Roten Rüben und anderem Gemüse lieferte. Diese wurden in der Küche des Blue Hill gewürzt und zu Laibchen für Cheeseburger geformt. Ein Gemüsehändler versorgte das Lokal mit Karfiolstrünken, Außenblättern von Salat und Kohlrabischalen, aus denen die Köche einen Dumpster Dive Salad, also auf gut Wienerisch einen „Mistkübelstierler“-Salat, machten; gekrönt wurde dieser von einem feschen Schaumhäubchen aus aufgeschlagenem Kichererbsendosenwasser. Dass jedes Gericht 15 Dollar kostete (auch wenn das für Restlgerichte mitunter unanständig anmutete), war wichtiger Teil des Konzepts und in Dan Barbers Augen gerade das Anständige an der Sache: Für Lebensmittel sollte es keine Hierarchien geben. Die Zutaten, mit denen Dan Barbers Team und berühmte Gastköche wie Daniel Humm oder Grant Achatz im Rahmen von „Wasted“ 2015 arbeiteten, waren ohnehin schon geplagt, wenn man so will: verstoßen, verschmäht, mit Ekel beäugt. Erdäpfel mit Cellulitis, pockennarbige Äpfel, hohläugige Sardinenköpfe.

„Wasted“ in London. Nun ist Dan Barber mit seinem Konzept nach Europa gekommen. Bis 2. April bespielt er das Dach des Kaufhauses Selfridges in Londons Oxford Street. Die Liste der Gastköche nennt Namen wie den besten Koch der Schweiz, Andreas Caminada, TV-Choleriker Gordon Ramsey oder Nose-to-tail-Vordenker Fergus Henderson, den Auftakt machte Alain Ducasse. Die Zutaten kommen von lokalen Adressen wie Neal’s Yard Dairy, dem Brühenproduzenten True Foods oder Fish for Thought.

Über acht Monate hat Dan Barbers Team gemeinsam mit diesen evaluiert, welche Abfälle in der Produktion anfallen, wie man sie für interessierte Köche und Privatkunden verfügbar machen könnte und was sich daraus schlussendlich kochen lässt. Für den Afternoon Tea hat sich „Rare Tea Lady“ Henrietta Lovell Teemischungen aus ungewohnten Pflanzen und Pflanzenteilen überlegt. Die Initiative Trash Tiki, deren Protagonisten das Left-over-Prinzip auf Cocktails umlegen, ist ebenso Teil des „Wasted“-Gastspiels in London wie das Schokoladelabel Mast Brothers, die „bean to bar“ arbeiten, also von der Kakaobohne weg alle Schritte selbst betreuen und von allen Produktionsschritten essbare Abfälle liefern können.

Fesselnd. Bisher nur auf Englisch: „The Third Plate“, The Penguin Press.
Fesselnd. Bisher nur auf Englisch: „The Third Plate“, The Penguin Press.(c) Beigestellt

Engagierte Lebensmittelproduzenten zu finden (und vor allem den dafür notwendigen langen Atem zu beweisen) ist eine zentrale Kompetenz von Dan Barber. In seinem bemerkenswerten Buch „The Third Plate“, das bei jedem halbwegs an gutem Essen Interessierten mit Dutzenden Eselsohren im Regal stehen sollte, erzählt der Koch von bereichernden und Augen öffnenden Begegnungen mit Getreidebauern, Fischern oder Gänsezüchtern. Um einen der wenigen verbliebenen Thunfischfischer aufzusuchen, die noch mit der traditionellen kunstvollen Netzmethode der Almadraba arbeiten, ist er schon einmal kurzerhand nach Spanien geflogen. Dan Barber teilt seine Erkenntnisse zu den Zusammenhängen zwischen Land und Lebensmittel, Wasser und Wegwerfwahnsinn mit seinen Lesern. Und der hagere Koch war nicht zuletzt dafür mitverantwortlich, dass vor einigen Jahren in den besten New Yorker Lokalen plötzlich die bisher wenig geschätzte Meeräsche aus einer nachhaltigen spanischen Farm statt des Fischstars Wolfsbarsch auf der Karte stand. In Großbritannien fällt Dan Barbers Engagement in Sachen Beifang und anderen essbaren „Abfällen“ auf überaus fruchtbaren Boden: Hier ist das Bewusstsein diesbezüglich schon ein völlig anderes; zahlreiche Initiativen widmen sich dem Thema Food Waste, etwa die National Food Waste Conference, die im Februar in London statt­gefunden hat. Für das „Wasted“-Pop-up auf dem Dach des Selfridges arbeitete man, wie auch schon für jenes 2015 in New York, mit Produktdesignern zusammen, die sich für ihre Entwürfe ebenfalls des Themas Abfall angenommen hatten.

Das Gesamtkonzept für das Dachgeschoß stammt vom Studio Formlessfinder, die Dänen Jonas Edvard und Nikolay Steenfatt etwa steuerten Lampen aus Seetang und Altpapier bei und solche aus Pilzmyzel, und man sitzt auf Stühlen von Spyros Kizis, die aus einem über­raschenden Verbundstoff gemacht sind: mit Heu und Stielen von Artischocken.

Tipp

„Wasted“ läuft noch bis 2. April auf dem Dach des Kaufhauses Selfridges in der Londoner Oxford Street. Der New Yorker Koch Dan Barber und seine Gastköche zeigen, was man aus Pressrückständen, Gräten oder Gemüseabschnitten machen kann. www.wastedlondon.com

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