Backstage beim Köchetreffen Gelinaz

(c) Anna Burghardt
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Das "Schaufenster" hat den Kochstars im oberösterreichischen Mühltalhof über die Schulter geschaut. Eine Reportage.

Am Sonntagabend, 20.8., wird sich im Mühltalhof zeigen, was internationale Spitzenköche und -köchinnen wie David Chang, Magnus Nilsson oder Ana Ros und ihre österreichischen Kollegen aus heimischen Zutaten machen. Drei „Matrix“-Gerichte, welche die Gastgeber Helmut und Philip Rachinger für den Gelinaz!-Remix vorgegeben haben, werden von Kochteams variiert. Und zwar, wie sich herausstellen wird, überaus frei. Das „Schaufenster“ hat diesen hochkarätig besetzten Teams in der riesigen Freiluft-Küche beim Gelinaz! über die Schulter geschaut – und Flechtensud für Rehzungen, einen Hexenpinsel aus Maisblättern und mitgebrachte Gewürzschatzkästchen entdeckt.

Die heftigen Unwetter in der Nacht auf Samstag waren schuld daran, dass sich etwa für das Team von Noma-Chef René Redzepi einiges verzögert hat. Und das, wo doch schon die Rehzungen nicht in gewünschter Menge aufzutreiben waren, siebzig waren für die Jäger der Österreichischen Bundesforste einfach zu viel. Redzepis Hirschschultern (nun doch samt Knochen geliefert) können also erst am frühen Samstagabend trockengetupft und begutachtet werden. Währenddessen garen die verfügbaren Rehzungen mit Pilzen und Flechten – am Vortag mit Engelsgeduld und Pinzette eigenhändig und mit Hilfe der Teamkollegen Milena Broger und Felix Schellhorn geputzt. Lukas Mraz, unter anderem mit David Chang im Team, erkundigt sich bei Redzepi, ob er das schon öfter gemacht habe, Rehzungen mit Flechten zu kochen... Was für eine Frage, sagt Redzepis Gesicht.

Der von Heinz Reitbauer als „Gabentisch“ bezeichnete Gemüsefundus – ein Heurigentisch mit bunt gefüllten und mit Sortennamen beschrifteten Kisten – leert sich zusehends. Hier dürfen alle Köche zugreifen, nur bitte nichts aus der Physalis-Kiste nehmen, die hat Lukas Nagl vom Bootshaus am Traunsee mit einem Zettelchen für sich reklamiert. Es sind unter anderem seine Lieferantinnen Gabi Wild-Obermayr und Margit Lamm, die die internationalen Spitzenköche und -köchinnen für das Gelinaz! mit Melothria-Gurken, Schlangenbohnen und diversen Paprikasorten versorgen. Auch Feigenblätter, frischer Lorbeer und Aroniabeeren finden sich hier. Einige Zutaten haben die Kochteams vorbestellt, anderes, wie etwa persönliche Gewürzmischungen und Saucen, wurde eingeflogen. Und wieder anderes kommt hier spontan dazu. Etwa die Parasole, die Heinz Reitbauer mit seinen Teamkolleginnen Margot Janse aus Südafrika und Chiho Kanzaki, Japanerin in Paris, im Wald gefunden hat. Was wie so vieles in diesen Gelinaz!-Tagen auf Instagram festgehalten wird. Nur für den Ahornsirup, den Colombe Saint-Pierre aus Kanada im Gepäck hat, ist es zu spät: Ihr Koffer kommt mit erheblicher Verspätung im Mühltalhof an, die Rehsauce ist schon längst fertig abgeschmeckt.

(c) Anna Burghardt

In der aufwendig ausgestatteten Edelstahl-Freiluftküche, die in der Heim.Art-Station von Rachinger-Schwager und Künstler Joachim Eckl angesiedelt ist, wuselt es. Heinz Reitbauer putzt Pilze und gibt Interviews über das österreichische Küchenerbe, René Redzepi kippt einen Espresso, Mauro Colagreco vom Mirazur zupft akribisch magentastaubige Spitzen von Gartenmelde, Chiho Kanzaki trennt knusprige und rotwürzige Fischgräten voneinander, legt sie feinsäuberlich auf Backpapier auf. Ana Ros, derzeit als „Beste Köchin der Welt“ geführt, muss mit ihrer Jacke in Neonorange mit einer Kiste orangeroter Vogelbeeren posieren. „Das ist aber nicht meine Zutat“, gibt sie erst zu bedenken. „Ja, aber die Farben...“ Das versteht die Slowenin, die in den Vortagen schon mit ihren bunten Outfits herausgestochen ist, natürlich. Ein Helfer sitzt am Rand der riesigen Küche und zupft mit zunehmender Ungeduld Lärchennadeln von den Zweigen. Er fragt: „Für wen schreiben Sie?“, „,Die Presse', und für wen zupfen Sie?“ „Team Reitbauer. Wahrscheinlich noch bis übermorgen.“

Die Anspannung steigt ab Sonntag früh spürbar. Am entspanntesten ist noch die Gruppe David Chang, May Chow, Lukas Mraz und Colombe Saint-Pierre, die mit den Vorbereitungen schon am Samstag fast fertig ist. Nachdem freilich auch sie einige Würzkämpfe bestritten haben – „bitte, es ist dein Gulasch“, „nein, dann ist es halt dein Gulasch!“. Am Sonntag hat Lukas Mraz, ehemals Cordobar in Berlin und gerade mit einem eigenen Lokal schwanger, jedenfalls Zeit, herumzustreunen und so einiges zu kommentieren. Zum Beispiel das Timinggefühl eines anderen Teams. „Zehn Minuten? Ich hab' schon viele lange zehn Minuten gesehen. Aber noch nie so lange zehn Minuten.“ Und wo ist der Druck am höchsten? „Natürlich, wie immer, in Renés Mannschaft“, sagt May Chow aus Hongkong, „Asia's Best Female Chef“, und lacht. Dem Vernehmen nach ist der Däne seit zwei Uhr früh am Herd. Die Rehzungen werden sortiert und, weil weniger als gedacht, dünn aufgeschnitten statt nur halbiert. Am Nachmittag will Redzepi noch mit seinem Team in die Wildnis ausschwärmen, um „foraging“ zu betreiben, wie das Sammeln von Wildpflanzen küchenmodisch heißt. Lukas Mraz hackt noch ein paar Kapuzinerkressestengel fein und kommentiert das laut seufzende Vorbeieilen des stets ruhigen Steirereck-Chefs Heinz Reitbauer so: „Wenn sogar du schon dieses Geräusch machst, mach ich mir Sorgen“. Währenddessen schneidet May Chow auf einem massiven Zedernholzbrett mit Mühltalhof-Brandzeichen Melanzani in Scheiben, mit asiatischer Supermesserschärfe und ebensolcher Genauigkeit. Die Melanzani sind ein Bestandteil des Rachinger'schen Matrix-Gerichts „Sommerbock“, das von May Chows Team interpretiert wird. René Redzepi fragt an einem fremden Herd, „wessen Beeren kochen hier über?“, Antonia Klugman aus Italien eilt herbei, „ich komme schon“.

Konstantin Filippou aus Wien, Manoella Buffara aus Brasilien und Magnus Nilsson aus dem schwedischen Nirgendwo waren in den Tagen zuvor schon mehrmals im Lagerhaus, um sich für ihr Barbecue-Hexenhäuschen gegenüber dem Mühltalhof-Eingang auszurüsten. Ein Bock hängt hier aufgespannt über einem Lagerfeuer, darüber und daneben baumeln Melanzani und Zwiebeln. Das Gestell ist mit Schlehenzweigen und den felligen Beinen des Tiers geschmückt, ein bisschen spooky darf es ruhig sein. Seit Sonntag sechs Uhr früh ist das Team an der Arbeit; Manoella Buffara bestreicht mit einem selbstgebastelten Besen aus Maishaar das Fleisch. Magnus Nilsson bewacht auf einer Obstkiste sitzend das Häuschen, um die Mittagszeit schon halb schlafend, während Walpurga Rachinger auf Besuch kommt. Sie, Helmut Rachingers Mutter, Philips Großmutter und Klein-Mimis Urgroßmutter, hatte in den Vortagen schon die internationale Crew mit ihren Kuchen und ihrem Charme bezirzt. Als sie für den Heidelbeer-Topfenstrudel den Teig zog und den Strudel mit Tüchern aufs Blech wuchtete, standen René Redzepi und David Chang filmend in der ersten Reihe.

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