Als die Nacht über den Tag siegte: Von der Reiss Bar zum Roten Engel

Michael Satke lässt am Dienstagabend im Roten Engel die alten Zeiten aufleben.
Michael Satke lässt am Dienstagabend im Roten Engel die alten Zeiten aufleben.(c) Michele Pauty (Michele Pauty)
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Michael Satke hat einst den Wiener Lokalboom mit ausgelöst. Jetzt erinnert er mit einem Buch und – heute – mit einer Soirée an seine Pioniertaten.

Noch in den Siebzigerjahren war Wien eine durch und durch graue Stadt. Bis auf Hanno Pöschls „Kleines Cafe“ gab es in der Innenstadt kein einziges jugendgerechtes Lokal. Die Trends, die in Paris und London passierten, kamen in der Regel erst fünf bis sieben Jahre später in Wien an. Michael Satke, der ab 1963 einige Jahre im London der Beatles-Zeit als Tellerwäscher und Hilfskoch gearbeitet hatte, reagierte darauf.

Zunächst studierte Satke jedoch an der Fashion School of London. „Ein Schweizer rechnete mir vor, dass in ganz Europa etwa 2000 Menschen Mode studieren. Davon sind 200 Männer. Von denen werden 20 berühmt.

Das schien mir eine gute Quote zu sein. Also habe ich es probiert.“
Bald studierte Satke mehr das Nachtleben als die Mode. „An jeder Ecke war was los. Alles war viel lockerer als in Wien.“ Zurück in der Heimat probiert er noch ein paar Semester an der Angewandten. Dann wechselte er zu Werbung und Marketing, ein Knochenjob. 1977 gründet er die Reiss Bar neu. „Es war die erste Champagner-Bar der Welt. Nicht einmal in Reims, dem Zentrum der Champagne, gab es so etwas. In den dortigen Bars wurde auch Wein angeboten. Bei uns ausschließlich Schaumweine und ein einziger Wodka.“

Die ursprüngliche Reiss-Bar gab es seit 1918. Zunächst in der Dorotheergasse, 1936 übersiedelte sie an den Platz zwischen Kärntner Straße und Neuem Markt. Satke schwatzte der alten Frau Reiss das Lokal gegen nicht zu wenig Bares ab. „Es war eine b'soffene Idee. Wir jammerten über die damalige triste Ausgehsituation in Wien. Es hat die Ansicht geherrscht, dass im ersten Bezirk kein Lokal funktionieren kann, weil die Leute ohnehin zum Heurigen fahren. Für mich war klar, dass es umgekehrt ist. Die fahren raus, weil es im Zentrum nichts gibt.“

„Materialismus und Poesie“

Und er hatte recht. Nach mehrmonatiger Durststrecke explodierte seine Reiss-Bar. Tout Vienne war plötzlich da. Fünf Jahre vorher hatte die Schaumweinwelle Europa erfasst. Jetzt endlich war Wien bereit dafür. Das grell weiße Lokal ließ er von Coop Himmelblau bauen. „Dem Wiener war das neu. Der sehnt sich sonst nach dem Uterus, geht vorzugsweise in finstere Plüschlokale.“ Satke hörte mit seinem Tagesjob auf und riskierte ein zweites Mal. „Obwohl ich keine Ahnung hatte, ob es so etwas wie eine Wiener Szene gibt, machte ich – wieder gemeinsam mit Coop Himmelblau – die Wein- und Liederbar Roter Engel.“ 1981 war Eröffnung. Ein halbes Jahr später war das Lokal voll durchprogrammiert. Jeden Abend spielte ein anderer Act. „Wir kannten keine Genregrenzen. Einzige Bedingung war, dass gesungen wird.“

Eröffnet wurde der Rote Engel durch die laszive Ingrid Caven. „Sie war damals der deutsche Star. Es war nicht leicht, sie zu engagieren. Ich dürfte es ja nicht sagen, aber es war schon so, dass nie wieder jemand im Roten Engel so eine Qualität auf die Bühne gebracht hat wie sie. Da hat einfach alles gestimmt.“ Der Lokalname ist schnell erklärt: „Rot ist die Farbe des Materialismus, da geht es ums Geld. Und der Engel stand für die Poesie.“

Zu jenen, die damals zum ersten Mal ins Rampenlicht traten, zählten Etta Scolo, Tschako und Hannibal Means. Gemeinsam mit den Lokalen Krah Krah und der Kaktus-Bar bildete man plötzlich das Bermuda-Dreieck.

„Das gefiel mir nicht besonders“, sagt Satke, zumal es den Begriff schon vorher für die Lokaltour zwischen Schwarzem Kameel, Reiss Bar und Take Five gegeben hat. Aber am Erfolg fand er Geschmack. „Die Leute waren ausgehungert. Sie sind jeden Tag bis 2 Uhr früh geblieben, obwohl die meisten arbeiten mussten.“ 16 Jahre lang führte er den Roten Engel. Jetzt hat er ein anekdotenreiches Buch über diese Zeit geschrieben. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. „Ich sehe mich als Geburtshelfer der Wiener Szene“, drückt Satke aufs Gas. „Nach mir haben viele begonnen, auch etwas zu riskieren. Unzählige Lokale sperrten auf. Mein Motto ,Und die Nacht siegt über den Tag' wurde wahr.“

Auf einen Blick

Michael Satke, Gastronom, geboren 1943, aufgewachsen in der Leopoldstadt.

Buch: „Roter Engel – Wien 1981 - 1997“, Falter Verlag, 252 Seiten, 29 Euro.

„One Night Only“. Dienstag, 20. November, ab 19 Uhr im Roten Engel mit diversen musikalischen Gästen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2018)

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