Essen: Widersprüche und Trends

Essen Widersprueche Trends
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Unser Verhältnis zum Essen ist ein Schlachtfeld. Grund genug für die "Presse am Sonntag", die Widersprüche und Trends rund um die Mittel des Lebens in einer Serie zu kosten.

Die beiden Autoren, die in dieser Ausgabe der „Presse am Sonntag“ zu Wort kommen, haben eine beruhigende Botschaft, eine frohe Botschaft. „Lasst einfach euren Bauch sprechen“, lautet ihr Motto sinngemäß. „Esst, was euch gefällt, dann könnt ihr nicht irren und werdet glücklich.“

Nichts hört ein erschöpfter Konsument in einer modernen Welt lieber, denn unser Verhältnis zum Essen gleicht einem Schlachtfeld der Widersprüche. Noch nie haben wir weniger gekocht als heute. In Deutschland wird diese alte Kulturtechnik nur noch in einem Drittel aller Haushalte täglich hochgehalten. Seltsamerweise haben wir aber auch noch nie mehr Kochbücher gekauft. Noch nie haben wir mehr Zeit und Geld auf die Suche nach einzelnen Zutaten verwendet – und uns willfähriger der für den chemischen Laien undurchsichtigen Herrschaft der Fertigprodukte unterworfen.

Noch nie haben wir mehr Wert auf gesundes Essen gelegt – in manchen Fällen bis hin zur Orthorexia nervosa, einer Essstörung, deren Opfer davon besessen sind, sich möglichst gesund zu ernähren. Dennoch hat es keine Generation davor geschafft, ihre Bäuche mit so viel Müll und Schrott zu füllen wie wir. Manchmal wissen wir es, manchmal nicht. Denn wer ist sich schon wirklich immer im Klaren, ob der Schinken eine zusammengeklebte Mogelpackung ist und der Käse analog oder digital oder vielleicht doch nur ein fermentiertes Milchprodukt. Nie gab es mehr Menschen, die sich von einer Diät zur nächsten hantelten. Und noch nie mehr Fettleibige. Babys werden nach peniblen Essplänen in die Welt der festen Nahrung eingeführt – und entwickeln dennoch immer mehr Allergien und Nahrungsunverträglichkeiten. Und mit schöner Regelmäßigkeit erreicht uns dann die Nachricht, dass bisher eh alles ganz falsch war.

Auch der Bauch ist Opfer. Berufsmäßige Ketzer wie der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer oder Vernunftprediger wie Uwe Knop werden da auf viel Gegenliebe treffen, wenn sie ess-verstörten Konsumenten die Absolution erteilen, doch einfach zu machen, was sie wollen. Der Bauch weiß schon, wo's lang geht. Ach, wenn's doch nur so einfach wäre. Denn auch der Bauch ist Opfer. Die meisten Menschen können heute kaum mehr unterscheiden, wo das Hungergefühl endet und die Sättigungsgrenze beginnt.

In den nächsten Wochen wird „Die Presse am Sonntag“ im Thema „Essen“ ein bisschen herumstochern, zurück zu den Wurzeln gehen und sich auch am anderen Ende herumtreiben: beim „functional food“, das uns angeblich nicht nur satt, sondern auch noch gesund machen soll und sich mittlerweile zu einer riesigen Industrie ausgewachsen hat. Menschen treffen, die beim Essen auf schräge Ideen kommen. Mit Köchen sprechen und nachdenken, wie die nächsten „Food-Trends“ schmecken könnten. In diesem Sinne: Mahlzeit! Oder auch nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2010)

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