"Gutesser": Anleitung zum anständig Essen

Gutesser Anleitung anstaendig Essen
Gutesser Anleitung anstaendig Essen(c) Clemens Fabry
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Immer mehr Leute verstehen sich als "Gutesser" und entscheiden sich aus moralischen, gesundheitlichen oder geschmacklichen Gründen für Bioware, Vegetarismus oder Slow Food.

Christine und Johann Hammer haben eine klare Vorstellung vom perfekten Wochenende: „In der schönen Jahreszeit setzen wir uns gerne ins Auto und fahren los. Zuerst steht etwas Kulturelles auf dem Programm – und dann sehen wir, was sich ergibt.“ Meistens ergibt sich für den EDV-Berater (51) und die praktische Ärztin (50) etwas Kulinarisches: ein Bio-Bauernhof oder ein Restaurant wie der „Floh“ in Langenlebarn, der für seine Linie „Radius 66“ nur Produkte verarbeitet, die höchstens 66Kilometer von dem Topf, in dem sie landen, produziert worden sind.

Christine und Johann Hammer sind bekennende Anhänger der „Slow Food“-Bewegung. Sie achten darauf, dass die Dinge, die sie essen, gerade Saison haben, aus der Region stammen und, wenn möglich, biologisch produziert worden sind. Um Lebensmittelskandale wie die Dioxin-Verseuchung von Eiern und Schweinefleisch, die gerade in Deutschland Angst und Schrecken verbreitet, machen sich die Hammers wenig Sorgen. Dafür aber umso mehr Gedanken: „Wir hoffen natürlich, dass niemand dabei zu Schaden gekommen ist. Aber es ist auch gut, dass so etwas passiert. Damit die Leute endlich anfangen, nachzudenken.“

Die Hammers, Eltern dreier erwachsener Kinder, denken schon lange intensiv über alles nach, was mit Essen zu tun hat. Sie gehören zur wachsenden Gruppe der „Gutesser“ – Menschen, die sehr genau darauf achten, was sie in den Mund stecken.

Die „Gutesser“ schmoren jedoch nicht alle im selben Saft. Den einen geht es um ihre Gesundheit, anderen um den Geschmack; wieder andere machen sich Gedanken darüber, wo und unter welchen Bedingungen ihr Essen produziert worden ist, welchen ökologischen Fußabdruck es hinterlässt oder wie die Tiere gehalten wurden, deren Fleisch sie essen. Die Konsequenzen sind ebenso vielfältig wie die Motive: nur noch „Bio“ kaufen, hauptsächlich regional, saisonal oder möglichst Fair Trade; gar kein Fleisch essen oder nur noch Fisch; Veganer werden oder makrobiotisch leben. Ein paar wenige entscheiden sich für eine von vielen Formen des Food-Extremismus – sie werden Frutarier (gegessen wird nur, was die Pflanze nicht verletzt, zum Beispiel abgefallenes Obst) oder Rohköstler.

Sie alle aber treibt das Gefühl um, das sich immer wieder unübersehbar in Form von Lebensmittel-Skandalen manifestiert: dass mit dem Essen etwas passiert ist, das wider den guten Geschmack geht. Sowohl in der Produktion als auch in der Qualität.

Statement mit Messer und Gabel. Menschen wie die Hammers sind genau die Zielpersonen, an die sich eine neue Strömung im boomenden Markt rund um die gesunde Ernährung richtet. „Gutesser“ wollen mit Messer und Gabel nämlich nicht nur sich selbst, sondern vielleicht auch noch die Welt retten. Begeistert heißen sie daher jede Anleitung zum kulinarischen Anständigsein willkommen. Karen Duves Buch „Anständig essen“, in dem die Autorin ein Jahr lang ihren Selbstversuch schildert, sich möglichst gesundheitsbewusst, umweltschonend und tierlieb zu ernähren (als Vegetarierin, Veganerin und Frutarierin) wurde durch den Dioxin-Skandal beflügelt und ist eine Woche nach seinem Erscheinen bereits in der dritten Auflage (siehe Interview).

(c) Die Presse / GK

Duve tourt derzeit im Doppelpack mit einem anderen Aushängeschild der „Anständig essen“-Bewegung durch die Lande: dem amerikanischen Autor Jonathan Safran Foer, dessen Buch „Eating Animals“ innerhalb weniger Wochen zum Bestseller wurde. Am 22. Jänner treten die beiden Autoren gemeinsam im Wiener Rabenhof Theater auf. In Deutschland waren ihre Lesungen restlos ausverkauft.

Die letzte Passion. Dass das Thema „gutes Essen“ zieht, stellte der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer schon vor drei Jahren fest. In seinem Dokumentarfilm „We feed the World“ beschäftigte er sich mit den gesellschaftspolitischen Aspekten von Massentierhaltung und gieriger Lebensmittelpolitik. Er selbst kaufe sehr bewusst: „Ein ganzes Hendl um 2,50 Euro im Supermarkt ist ein Wahnsinn.“ Tiere esse er aber schon, gibt er zu.

Wagenhofer hat auch eine Erklärung, warum das Thema zur Zeit so stark aufgegriffen wird: „Weil die Menschen denken, zumindest hier noch Einfluss nehmen zu können – mehr als im Finanzsektor, dort fühlen sie sich ohnmächtig.“ Sie wollen zumindest im Kleinen entscheiden, wo und wie sie ihr Essen beziehen. Das steigende Interesse an Bio-Lebensmitteln, Kochshows etc. bezeichnet er als „Kult ums Essen, als letzte Passion im Leben“.

Das Brüllen der Tiere. Oliver Schönsleben (37) wollte sich diese Entscheidung auch nicht nehmen lassen. „Ich habe viel Zeit bei meiner Oma in Kärnten verbracht“, sagt der Marketingexperte. „Das war an der Grenze zu Italien, ganz in der Nähe zum Bahnhof. Da habe ich mitbekommen, wie entsetzlich diese Tiertransporte sind. Die ganze Nacht hörte man die Tiere in ihren Waggons brüllen.“ Der andere Aspekt, der Schönsleben vor 15 Jahren veranlasste, Schnitzel und Schweinsbraten abzuschwören und nur noch Fisch zu essen, war die Sorge, womit die Tiere gefüttert werden, die dann als Fleisch auf seinem Teller landen: „Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt einfach nicht mehr. Ein Kilo Käse kostet mehr als ein Kilo Fleisch, das kann's doch nicht sein.“

Maria Porsch (26) und Michael Liszt (28) suchten ihr Seelenheil ebenfalls im Vegetarismus. Beide waren noch sehr jung, als sie beschlossen, kein Fleisch mehr zu essen. Liszt war erst acht, als er zum „Beilagenesser“ wurde, Porsch war zwölf, als ihre Mutter – nach Rücksprache mit dem Arzt – ihrer Tochter grünes Licht für ein Leben als Vegetarierin gab. „Ich bin auf dem Land aufgewachsen und habe viel zu viele Tiere nach dem Schlachten ausbluten gesehen“, sagt Maria Porsch. „Mir hat's vor Fleisch einfach gegraust.“
Wo Hendl noch Gemüse sind. Am schwierigsten sei es gewesen, die Familie vom eigenen fleischlosen Leben zu überzeugen. „Meine Großmutter hat Hendl gekocht und konnte nicht glauben, dass ich das auch nicht esse“, meint Porsch. „Am Land zählt wirklich nur rotes Fleisch als Fleisch“, sagt Liszt. „Hendl sind dort praktisch Gemüse.“

„Gutesser“ sind aber keinesfalls mit Vegetariern gleichzusetzen. Denn auch wenn die Zahl der Menschen, die anständiger essen wollen, stetig wächst, zeigen die Statistiken, dass der Fleischkonsum in Österreich seit Jahren praktisch unverändert ist (bei rund 66 Kilo pro Kopf pro Jahr), wobei es allerdings eine leichte Verlagerung hin zu weißem Fleisch gibt.

Für Werner Lampert, österreichischer „Bionier“, einst treibende Kraft hinter „Ja!Natürlich“ (Rewe) und seit einigen Jahren Frontfigur von „Zurück zum Ursprung“ (Hofer), sind die „Gutesser“ von heute auch nicht mit den „Gourmets“ von gestern zu verwechseln: „Gourmets waren für mich immer ein Phänomen mit doppeltem Boden. Wie kann man Produkte lieben, die eine devastierte Umwelt und malträtierte Viecher zurücklassen? Die Bezeichnung ,Gourmet‘ ist für mich oft nichts anderes als der Ausweis, dass jemand nichts vom Essen versteht.“

Im Gegensatz dazu sind „Gutesser“ für Lampert jene Menschen, „die wirklich etwas vom Essen verstehen“. Dazu würde er ohne Zweifel die Hammers zählen. Deren kulinarische Philosophie besticht durch Einfachheit: Sie wollen keine Lebensmittel, die außerhalb der Saison von weither importiert wurden. „Deshalb muss es auch nicht unbedingt Bio sein“, sagt Christine Hammer. „Den chinesischen Bio-Knoblauch zum Beispiel, den würd' ich sicher nicht kaufen.“

Dasselbe gilt im Hause Hammer in Sachen Fleisch: Die Familie kauft beim „Fleischhauer ihres Vertrauens“ in der Nachbarschaft. „Der bekommt den Großteil seiner Ware von seinem Cousin oder seinem Schwager. Das ist zwar nicht Bio, schmeckt aber einfach fantastisch“, sagt Johann Hammer. Die Hammers wollen „keine Milch, die drei Wochen hält, und keinen Bio-Salat aus Frankreich“. Sie essen nur Sauerteigbrot und am liebsten alte Sorten Obst und Gemüse.

Dass ein solcher Lebensstil zeit- und geldaufwendig ist und ein gewisses Know-how voraussetzt, was wann Saison hat, geben alle Betroffenen bereitwillig zu. Deshalb sind auch Bio-Supermärkte wie die Kette Bio-Maran nach wie vor die Spielwiese von Menschen „mit mittlerem bis höherem Einkommen, höheren Bildungsabschlüssen und Kindern“, wie Geschäftsführerin Mareike Nossol sagt.

Bio nimmt zu. Dennoch liegt der Marktanteil für Bio in Österreich nicht schlecht: zwischen sechs und sieben Prozent, mit jährlichen Zuwachsraten. Zurückzuführen ist das auf das frühe Engagement der großen Supermärkte und Diskonter. Laut Werner Lampert werden 46 Prozent der Biomilch in Österreich über „Zurück zum Ursprung“ verkauft.

Die „Ja!Natürlich“-Linie der Rewe-Gruppe hat sich überhaupt zur größten Marke im Lebensmitteleinzelhandel gemausert. In manchen Segmenten wie Eiern liegt man mit 30 Prozent weit über dem durchschnittlichen Marktanteil für Bioprodukte. Und Martina Hörmer, Geschäftsführerin der Ja!Natürlich Naturprodukte GmbH, glaubt nicht, dass der Plafond schon erreicht ist: „Bio wird noch stark zunehmen“, sagt sie. „Denn jede Krise im konventionellen Lebensmittelbereich gibt dem Biosektor einen weiteren Schub.“

Slow Food Wien wurde vor drei Jahren von Barbara van Melle ins Leben gerufen. Die Vereinigung betreibt unter anderem „Slow Food Corner“ auf dem Karmeliter-, dem Kutschker- und dem Naschmarkt. Über Slow Food Austria gelangt man an andere regionale Gruppen.
www.slowfood-wien.at, www.slowfoodaustria.at

Bio-Lebensmittel und Imbisse kann man in Wien unter anderem kaufen und konsumieren im St. Josef (Mondscheingasse 10, 1070 Wien, 01/5266818), bei Ulrike Wrenkh (Imbiss, Rauhensteingasse 12, 1010 Wien) oder bei Unser Laden (Apostelgasse 17, 1030 Wien, 01/7150057).www.genussfuehrer.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2011)

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