Kaiserlich sauer: Zitruspflanzen aus Schönbrunn

(c) Julia Stix
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In einem Garten in Schönbrunn werden historische Zitruspflanzen kultiviert. Das freut Heinz Reitbauer und andere, die die Raritäten in ihrer Küche einsetzen.

(c) Julia Stix

Heimo Karner ist das ganze Jahr auf Urlaub. Atmosphärisch. Er beginnt täglich um sieben Uhr früh mit seiner Arbeit im Feldgarten Schönbrunn, gießt Pflanzen, pflegt, kultiviert sie oder topft sie um. Die Hände des Gärtners sehen nach harter Arbeit aus, die Gartenschere steckt stets griffbereit in der rechten Hosentasche. Trotzdem sagt er: „Zitruspflanzen sind für mich Urlaub. Sie haben mediterranes Flair und erinnern mich an den Süden.“ Karner hat im Jahr 1979 seine Lehre bei den Bundesgärten begonnen, seit 1998 ist er in Schönbrunn für Zitruspflanzen zuständig. Und zwar nicht für irgendwelche Zitruspflanzen. Dreißig der insgesamt hundert verschiedenen Sorten stammen aus der Kaiserzeit. „Die sind gut 180 Jahre alt. Gleich nach der Hochzeit von Franz Joseph und Sisi wurde die Orangerie mit einem neuen Bestand von Zitrusbäumen aus Sizilien bestückt. Damals gab es unter den Kaiserhäusern eine Art Wettbewerb, wer die schönste Orangerie hat“, sagt Karner, während er durch sein Reich führt. Schon Wilhelmine Amalie, die Gemahlin Josephs I., hatte mit ihren Gärtnern den Grundstein für die Orangentradition in Schönbrunn gelegt, ließ Bäume pflanzen und ein Gewächshaus zum Überwintern errichten.

Italienflair. Heute donnert links der Nachmittagsverkehr die Grünbergstraße herunter, rechts flanieren Touristen, Jogger laufen durch die Alleen in Schönbrunn. Dazwischen liegt auf der Seite des Meidlinger Tores der Feldgarten. Könnte man den Ton abschalten, wähnte man sich irgendwo in Italien. In den Gewächshäusern stehen blühende
Sommerpflanzen, die die Bundesgärten wie Schönbrunn, Belvedere, Augarten oder Burggarten schmücken sollen. Ein Viertel des Bestandes macht die Abteilung für Zitruspflanzen aus. Diese rund 400 Bäume sind Herrn Karners Schützlinge. Dass in Zeiten von Sparkurs und Abteilungsleiter-Budgethärte noch niemand auf die Idee kam, diese kultur- und naturhistorischen Wächter zu quälen oder gar abzuschaffen, muss in Österreich als einzigartiger Glücksfall bezeichnet werden.

Bonsais des Südens. Die verschiedenen Zitronen-, Limetten- und Orangensorten werden in grünen Holzkübeln gehalten, damit sie im Sommer in den Kronprinzengarten transportiert werden können. „In den Kübeln sind sie wie Bonsaibäume und können nicht so dicht wachsen“, sagt der Gärtner, der gerade damit beschäftigt ist, Pflanzen nach draußen zu
hieven.
Bei manchen der Bäumchen fehlt allerdings bereits die süße oder, besser gesagt, saure Frucht. „Die persische Limette hat keine Früchte mehr, die hat der Heinz Reitbauer ausgeraubt“, sagt Karner und lacht. Der Starkoch hat es aber nicht nur auf diese kernfreie Sorte abgesehen. Auch Zitronatzitronen, Finger­limetten, Buddhas Hand und verschiedene Bitterorangen landen in der Küche des Steirerecks. „Der Reitbauer kostet sich gerne durch und nimmt mit, was ihm schmeckt. Wenn ich was über habe, gebe ich ihm das gerne
weiter.“ Diese Ausnahme macht Karner auch noch für ein paar andere Gastronomen, etwa Christian Domschitz vom Vestibül im Burgtheater oder das Küchenteam von Frederik’s Catering. Sonst werden die Früchte des historischen Gartens aber nur bei den Wiener Zitrustagen verkauft, die dieses Wochenende wieder in der Orangerie stattfinden. Dass sich Reitbauer und seine Kollegen gerne bei Karners Früchten bedienen, kann dieser verschmerzen – und verstehen. Zumal die Gastronomen die Existenz und Pflege der alten Sorten bekannt machen und die Werbetrommel – nicht zuletzt bei den Touristen –  rühren. Immerhin weiß er selbst die kulinarischen Qualitäten der Früchte zu schätzen. „Ich mach mir gerne Spaghetti mit einer Sauce aus Zitronen und ein bisschen Crème fraîche. Ein Glaserl Weißwein dazu, und man fühlt sich wie im Urlaub“, schwärmt Karner. Und andererseits braucht er ja nicht allzu viel Geduld, bis die Früchte wieder nachwachsen. Von der Blüte bis zur Reife dauert es zwar ein Dreivierteljahr. Allerdings ist der Zitronenbaum eine der wenigen Pflanzen, die bis zu vier Generationen auf einem Baum tragen. „Da schauen S’ her. Blüten, kleine Früchte, fast reife Früchte und reife Früchte auf einer Pflanze“, zeigt Karner triumphierend auf eine Bitterorange. Er freut sich, wenn sich jemand für seine Schätze interessiert, und führt gerne durch den Pflanzengarten. Vorbei an Scheibtruhen und Rädern des Bundesgartenamts führt er zu einer besonderen historischen Sorte. „Das ist die Deutsche Landsknechtkrone. Ihre Streifen erinnern an die Uniform der Schweizer Garde. Die Sorte geht mindestens auf das Jahr 1640 zurück.“ Ableger dieser Pflanze hat er selbst aus Deutschland geholt und in Schönbrunn veredelt. Sieben Jahre ist der stattliche Baum jetzt schon alt.

Zitrus-Deal. Weiter geht es ins Glashaus, wo noch ein paar Bäumchen auf die Übersiedelung warten. Am Weg steht noch eine Kaffirlimette. „Zerreiben Sie das Blatt zwischen den Fingern und riechen S’ einmal. Herrlich, oder?“ Auch die essbaren Blätter der Kaffirlimette sind nicht vor Reitbauers Kochtopf sicher. Herr Karner ist in Fahrt gekommen und will seine Führung gar nicht mehr beenden. „Da ist noch eine historische Sorte, was ganz Gewaltiges, die Citrus Medica oder Zitronatzitrone, die durch Alexander den Großen als erste Zitrusfrucht den europäischen Raum betreten hat.“ Daneben steht ein kleiner Limonaden-Baum, eine Kreuzung aus Zitrone und Grapefruit. „Auf die steht der Reitbauer ganz besonders.“ Im Glashaus hängt neben einer Crispifolia, einer Bitterorange, die ihren Namen den gekräuselten Blättern verdankt, eine Riesenzitrone. „Das ist schon gewaltig, die kann bis zu drei Kilo schwer werden. Ein Wahnsinn, dass das die dünnen Äste aushalten“, sagt Karner. Die Sorte Buddhas Hand gleich daneben wirkt da fast schon klein, wenn auch nicht weniger besonders. Die Zitronatzitrone gleicht optisch einer Hand mit langen, meist mehr als fünf Fingern. Sie wird im asiatischen Raum auch für religiöse Zeremonien eingesetzt. Und auch sie landet hin und wieder auf einem Teller im Steirereck im Stadtpark. Oder besser: auf einem Wagen. Denn das ist der eigentlich geniale Deal zwischen dem Ausnahmekoch und den Zitruswächtern – im Steirereck werden sie präsentiert und geradezu gefeiert. Vor den abschließenden Petits Fours kommt der Orangenwagen: „Dürfen es ein paar Scheiben von Maria Theresias Orangen sein?“ Reitbauer trocknet in einem aufwendigen Verfahren Scheibe für Scheibe, in hauchdünner Variante kommen sie aufdrapiert auf den Wagen. Die Mitarbeiter werden geschult, referieren unerschütterlich den verdutzten Gästen über Sorte und Geschmacksrichtung. Und daher sitzen begeisterte Esser nach einem Vielgänger da und knabbern an getrockneten Zitronen. Schön, nicht? Heinz Reitbauer liebt die ganze Aktion: „Wir müssen solche bislang unentdeckten Kulturschätze einfach heben und wieder in die allgemeine Erinnerung rufen.“ Einmal schauen, was sich in den Bundesgärten noch so finden lässt . . . 

TIPP

1. Wiener Zitrustage: Pflanzen- und Verkaufsausstellung, Fachberatung, Raritäten. 13. bis 15. Mai, 10 bis 18 Uhr, in der Orangerie Schönbrunn (Eintritt: 4 Euro), www.oegg.or.at

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