Fleisch, das Gemüse der Männer

Fleisch Gemuese Maenner
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Männer lieben ungesundes Essen - und sind offenbar immun gegen alle Versuche, sie von Alternativen zu überzeugen. Mehr als ein Drittel der jungen Männer isst täglich Fleisch, aber kaum Obst oder Gemüse.

Jakobs Kühlschrank enthält vor allem eines: gähnende Leere. Der 24-Jährige hasst es, Lebensmittel einzukaufen. Kochen kann er nicht, und weil diese Tätigkeit auf seiner Interessenskala knapp über Schuheputzen rangiert, denkt er auch nicht daran, es zu lernen. Wenn Jakob essen will, besucht er seine Mutter oder langt zu, wenn er mit seinen Freunden unterwegs ist. Pizza oder Dürüm, Burger oder Pommes: Hauptsache deftig, Hauptsache fleischig, Hauptsache nicht sonderlich gesund. „Salat?“, sagt Jakob. „Ich bin doch nicht schwul, Mann.“

Jakob ist ein Klischee. Er ist aber auch eine statistische Größe. Und ein immer dringlicheres Problem, angesichts dessen ein bunter Strauß von Experten derzeit traurig die Köpfe hängen lässt: Der Gesundheitszustand junger (und nicht mehr ganz so junger) Männer wird nämlich mittlerweile als kritisch eingestuft. Das beginnt bei der Ernährung und endet bei Vorsorgeuntersuchungen.

Verschränkt man Geschlecht mit sozialer Schicht, sehen die Dinge besonders düster aus: Ein Drittel der männlichen Lehrlinge in Österreich isst selten oder nie frisches Obst, fast die Hälfte zuckt vor Gemüse oder Vollkornprodukten zurück. Drei Viertel von ihnen bekommen nicht genügend Kalzium, fast alle dafür umso mehr von einem anderen Lebensmittel: Fleisch. Mehr als ein Drittel der jungen Männer isst täglich Fleisch, 90 Prozent immerhin vier- bis sechsmal die Woche. Die Zufuhr gesättigter Fettsäuren ist mit 18 Prozent um fast das Doppelte zu hoch. Nur eines der Resultate dieser Ernährungsgewohnheiten: 17 Prozent von Österreichs männlichen Lehrlingen sind übergewichtig, 13 Prozent fettleibig.


Nur die Außenansicht zählt. Was den Fachleuten, die in der vergangenen Woche zum Symposium „Wie isst Mann? Wie kocht Mann?“ (Veranstalter „forum. ernährung heute“) in Wien zusammenkamen, ganz besonders aufstößt: dass Männern diese Dinge schlicht und ergreifend egal sind. „Männer fühlen sich kerngesund, bis sie tot umfallen“, sagt Thomas Altgeld, Diplompsychologe, Experte für Männergesundheit und Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und der Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen. „Solange ihr Körper in der Außenansicht funktioniert, ist für sie alles gut.“ Männer hätten in diesem Zusammenhang eine wirklich ganz erstaunliche Fähigkeit, sich die Dinge – und sich selbst – schönzudenken.

Altgelds Befund ist ein interessanter. Darin, wie Männer sich selbst wahrnehmen und wie sie von ihrer Umwelt (Frauen) erlebt werden, liegt die Wurzel des Problems. Beispielsweise meinen nur 26 Prozent der Männer, ein Problem mit ihrem Gewicht zu haben – Frauen teilen diese Meinung hingegen zu 36 Prozent. Unter Haarausfall leiden nach eigener bescheidener Ansicht 18 Prozent der Männer, 48 Prozent der Frauen halten das hingegen für eine männliche Schwachstelle. Und dass sie nicht über ihre Gefühle reden können – ein beliebter Dauerbrenner–, glauben nur zwölf Prozent der Männer. Satte 62 Prozent der Frauen sind allerdings überzeugt, dass genau das ein Problem der Männer ist. Für Männer ergibt sich daraus: „Ich bin okay, so wie ich bin. Ich bin der Experte für mich selbst.“

Aus dieser völlig unterschiedlichen Wahrnehmung zwischen den Geschlechtern ergebe sich eine fast unüberwindliche Hürde beim Versuch, Botschaften rund um gesundes Essen an den Mann zu bringen. Vor allem, wenn diese Botschaften von den falschen Vermittlern – Frauen! – überbracht würden. In Deutschland ist der Ernährungsbereich fest in weiblicher Hand. 83 Prozent der Ernährungsberater sind Frauen, nur 17 Prozent Männer. In Österreich sieht das Geschlechterverhältnis ähnlich aus. „Da wird mit den falschen Worten gearbeitet – wie viele Männer haben schon jemals das Wort ,Zwischenmahlzeit‘ benutzt? Das gehört einfach nicht zum männlichen Wortschatz.“ Und es würde falsch argumentiert. „In der Gesundheitskommunikation ist sehr oft Abwertung enthalten. Es wird viel darüber geredet, was alles falsch gemacht wird. Die Reaktion des männlichen Publikums auf so etwas ist sehr oft die totale Verweigerung.“

Schnitzel, Döner, Burger. Dazu kommt, dass junge Männer von klein auf in bestimmte Ernährungsmuster hineinsozialisiert werden. Das zeigt sich etwa am Beispiel Fleisch. Das Projekt Messerscharf, das noch bis Dezember vom Fonds Gesundes Österreich sowie von Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer Niederösterreich gefördert wird, soll männlichen Lehrlingen Kochfertigkeiten und mehr Bewusstsein rund ums Essen vermitteln. Die Frage nach den Lieblingsspeisen ergab klare, wenngleich je nach Herkunft variierende Antworten: Wiener Schnitzel, Backhuhn, Spieß, Döner, Burek, Ćevapčići, Pljeskavica, Chicken Nuggets oder Cheeseburger. „In Österreich haben wir relativ wenige Zahlen zum Fleischkonsum Jugendlicher“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Angela Mörixbauer. „Aus Deutschland aber wissen wir, dass Burschen 1,8-mal so viel Fleisch essen wie Mädchen, also fast doppelt so viel.“

Dass hier noch immer der Mammutjäger seine Keule schwingt, bezweifelt Mörixbauer ebenso wie Thomas Altgeld. Eher spiegelten sich hier gewachsene Esstraditionen wider. „Wenn etwas übrig bleibt, wer bekommt es angeboten? Der Vater“, sagt Altgeld. „Damit wird schon einmal festgelegt, dass ein echter Mann mehr essen sollte als eine Frau.“ Mörixbauer führt die männliche Fleischeslust auch darauf zurück, dass Fleisch früher Mangelware und daher oft den schwer arbeitenden Männer vorbehalten war.

Möglichst schnell und viel.
Vor allem Burschen nehmen diese Botschaften auf und kreuzen sie mit dem, was sie als coole, typisch männliche Verhaltensweisen empfinden. Dazu zählt alles, was als unachtsam und riskant gilt. Beim Essen zeigt sich das unter anderem darin, dass man unbekümmert irgendetwas isst, möglichst in hohem Tempo und möglichst ziemlich viel davon.

Quelle: Thomas Altgeld, Grafik: Die Presse

Trotz dieser wenig ermutigenden Vorzeichen gilt die Mission nicht als völlig „impossible“. So orten Fachleute einiges Potenzial in dem, was die Kochtrendforscherin Hanni Rützler als „die Geburtswehen des Neuen Kochens“ bezeichnet. Dabei geht zumindest zum Teil das Image des Kochens als weibliche Pflicht verloren, es driftet in Richtung männlicher Lust. Männer sind offenbar besonders anfällig für alles, was mit Show und Event rund um den Herd zu tun hat: Ob es nun das alljährliche Grillen mit seiner Mischung aus Zündeln und Aufspießen ist, die auch den überzeugtesten Macho dazu bringt, sich eine Schürze umzubinden. Oder die Einladung an Freunde, bei der Mann in einer State-of-the-art-Küche seine Expertise der ausgefallensten Gerichte und kompliziertesten Kochtechniken demonstriert – und dafür dann auch entsprechend bewundert werden will. Auf der kulinarisch etwas weniger anspruchsvollen Ebene senkt der Trend zu Fertig- oder Halbfertiggerichten die Latte für Kocheinsteiger.

»Das arme Kaninchen!« Bis der Diskurs rund um männliche Ernährung eine grundlegende Richtungsänderung einnimmt, dürfte es wohl noch einige Zeit dauern. Das zeigt sich unter anderem daran, wovon sich Männer am stärksten angesprochen fühlen. Nicht umsonst lautet etwa der Titel eines deutschen Kochmagazins („für Männer mit Geschmack“) „Beef“. Und nicht umsonst wird dort stolz darauf verwiesen, dass es ans Eingemachte gehe, dass sozusagen ohne Glacéhandschuhe und ohne allzu große Skrupel gekocht werde. Wenn in „Beef“ erklärt wird, wie man ein Kaninchen zerlegt, erwartet man von der Klientel, dass keiner auf die Idee kommt, mitleidig „Mein Gott, das arme Tierchen“ zu sagen.

Für absehbare Zeit darf man daher wohl davon ausgehen, dass sich die Demarkationslinie zwischen „weiblichen“ und „männlichen“ Essgewohnheiten nicht fundamental verschieben wird. Dass das Gemüse den Frauen gehört und das Fleisch den Männern. Dass Jakobs Kühlschrank leer bleibt. Und dass er gesundes Essen auch weiter nur bei der Mama bekommt.

Schlechte Werte

90%der jungen Männer
essen vier- bis sechsmal pro Woche Fleisch.

47%von Österreichs Lehrlingen
essen nie oder selten frisches Gemüse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2011)

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