Agrarbiologe Arvay: "Bio kann nicht billig sein"

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Symbolbild(c) EPA (Markus Leodolter)
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Tierfabriken, gezüchtete Hochleistungsrassen und Vernichtung von Lebensmitteln, die nicht der Norm entsprechen, sind dank großer Konzerne auch im Biobereich zur gängigen Praxis geworden, kritisiert Clemens G. Arvay.

Sie kritisieren die Biolinien der großen Supermärkte. Brauchen wir viele Kleine statt weniger Großer?

Clemens G. Arvay: Dass ökologische Lebensmittelproduktion für die Masse nur durch einzelne, immer größer werdende Konzerne bewerkstelligt werden kann, ist ein Märchen. Unter ökologisch orientierten Ökonomen und Agrarwissenschaftlern werden als Alternative die „Multiplying Davids“ diskutiert, dieses inzwischen extrem in Mitleidenschaft gezogene Netzwerk aus dezentralen Betrieben – auch für die Bereitstellung von großen Mengen. In Österreich haben drei große Konzerne fast den gesamten Biomassenmarkt in den Händen. Da werden enorme Warenflüsse zusammengefasst von wenigen großen Betrieben, die zu Packstellen transportiert werden, von dort zu Lagern, teilweise Tiefkühllagern, dann wieder zurück. Außerdem sind klein strukturierte Landbaumethoden mit viel Diversität ertragreicher als industrielle Monokultur.

Warum?

Weil in einer Mischkultur mehrere Kulturpflanzen miteinander angebaut werden, die sich in einer Wechselwirkung befinden. Dem Boden werden weniger einseitig Nährstoffe entzogen. Die Flächen liegen nicht so lang brach, die Bodendeckung ist besser. Die Vielfalt führt zu einem komplexeren System, und komplexere Systeme sind immer ertragreicher als reduzierte.

Warum machen die Großen das dann nicht?

Ein Konzern möchte möglichst große einheitliche Warenmengen zusammenfassen, dann ist der Gewinn am höchsten. Das geht so weit, dass jeder Konzern in manchen Produktgruppen nur eine Handvoll Bioproduzenten unter Vertrag hat. Bei Hofer ist es etwa so, dass Biofrucht und Blattgemüse im Raum Wien von nur einem Hauptproduzenten kommen, dem Csardahof im Burgenland. Der gehört der Familie Dichand. Und der Geschäftsführer der Hofer-Biomarke „Zurück zum Ursprung“ ist auch dort Geschäftsführer. Den Bauern bringt es nichts, wenn immer mehr Gemüse von immer weniger Industriebetrieben kommt. Es wird in der Werbung immer so dargestellt, als würde alles vom Biobauern kommen.

Warum setzen die Großen dann auf Monokulturen?

So große Betriebe bewirtschaften Flächen von insgesamt mehr als zwei Quadratkilometern, die können nur mit schweren Maschinen bewirtschaftet werden. Manche Maschinen ernten während der Fahrt, waschen und schlichten Salatköpfe in Paletten. Das sind quasi fahrende Fabriken.

Was stört Sie an den Großen noch?

Konventionelle Supermarktkonzerne legen ihre konventionellen Praktiken auf den Biobereich um. Da gehört auch dazu, dass bestimmte Normvorgaben bei Form und Aussehen erfüllt werden müssen. Ein Drittel bis zur Hälfte der Bioernte verbleibt am Acker oder wird anschließend entsorgt, weil die Ware nicht den Anforderungen entspricht. Dieses System der Essensvernichtung ist im Bio-Massenmarkt für Supermärkte genauso zu finden. Wir müssten gar nicht so viel produzieren, wenn eine Kartoffel auch herzförmig oder eine Karotte krumm sein darf.

Das muss der Konsument aber annehmen.

An einer gebogenen Gurke ist doch nichts Schlechtes. Supermarktkonzerne sagen, die Konsumenten wollen das so. Ich habe mit Konsumenten geredet und das nicht bestätigt gesehen. Das ist ein konstruiertes Argument.


Wird Bio für den Konsumenten nicht teurer, wenn man auf kleine Strukturen umsteigt?

Man muss die Kosten von Lebensmitteln auch gesellschaftlich, volkswirtschaftlich betrachten. Wir müssen einsehen, dass wirklich gute Lebensmittel, die auch so produziert werden, wie sich das die Biokonsumenten vorstellen, auch mehr kosten. Dann haben wir aber auch nicht diese Hochleistungssorten, sondern viel wertvolleres Fleisch von älteren Rassen.

Also wird es teurer?

Ein wirklich ökologisches Lebensmittel kann kein Billiglebensmittel sein. Teuer sind aber vor allem tierische Produkte. Gemüse ist auch im Bioladen günstig zu bekommen. Wenn der Warenfluss direkter ist, kriegt auch der Bauer wieder mehr. Oft sind das ja auch keine Bauernhöfe, sondern Produktionshallen, und der Bauer ist ein Vertragshühnerfütterer.

Was kann der Konsument dagegen tun?

In Bioläden oder auf Bauernmärkten einkaufen und dadurch die Bioladen-Landschaft, die ja kurz vorm Kaputtgehen ist, reaktivieren. Für alle, die mehr Aufwand treiben wollen, ist es total interessant, sich mit Lebensmittelkooperativen und der solidarischen Landwirtschaft zu beschäftigen.

Sie schreiben, dass Bioware gleichzeitig mit konventioneller Ware hergestellt wird.

In der Landwirtschaft darf ein Betrieb nur entweder konventionell oder biologisch sein. In der Weiterverarbeitung und in der Herstellung darf konventionell und biologisch nebeneinander gewirtschaftet werden. Der gesamte Bio-Brotmarkt der Supermärkte und Discounter ist etwa in den Händen von ganz wenigen riesigen Konzernen, die konventionell sind. Bei einem Discounter wird etwa das Biobrot unter dem Schlagwort „Traditionelles Bäckerhandwerk“ vermarktet. Die Backfabrik, aus der es kommt, ist weitgehend konventionell und so groß, dass die Mitarbeiter auf Fahrrädern herumfahren.

Gehen Sie noch in den Supermarkt?

Nur in Notfällen. Ich habe Bioläden meines Vertrauens und gehe auf Bauernmärkte. Und ich komme, obwohl ich nicht viel verdiene, leicht über die Runden. Ich kann und will den Leuten aber überhaupt nicht verbieten, in den Supermarkt zu gehen. Ich sehe mein Buch als Beitrag zum Konsumentenschutz. Denn die Entwicklungen auf dem Biomarkt werden unter Wissenschaftlern schon lange besorgt diskutiert. Und ich habe mir gedacht, jetzt ist es Zeit, das auch an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn es brennt der Hut.

Clemens G. Arvay

1980
Geboren in Graz

2005
Abschluss des Studiums der Landschaftsökologie an der Universität Graz

2007
Abschluss des Studiums der Angewandten Pflanzenwissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien

2010/2011
Qualitätsmanager für die Biomarke „Zurück zum Ursprung“ bei Hofer

2011
„Fruchtgemüse. Alte Sorten und außergewöhnliche Arten neu entdeckt“, Leopold Stocker Verlag.

2012
„Der große Bio-Schmäh. Wie uns die Lebensmittelkonzerne an der Nase herumführen“, Carl Ueberreuter Verlag

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2012)

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