Gefährdete Spezies: Restaurant-Patissiers

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Alles andere als französische Verhältnisse: Während in dortigen Restaurants Patissiers sogar ganz selbstverständlich auf der Speisekarte genannt werden, mangelt es hierzulande an der Wertschätzung der Nachspeisenkultur.

„Das Dessert ist das jüngste Gericht“, schrieb der mittlerweile verstorbene Restauranttester und Gourmet Christoph Wagner einmal. Und meinte damit, dass das Dessert als letzter Gang am besten in Erinnerung bliebe. Die Küche möge sich daher, bitte schön, bei der Nachspeise besonders bemühen, darf man sich dazudenken. Die Küche wiederum könnte erwidern: Warum sich bemühen, wenn ein nicht unbedeutender Teil der Gäste ohnehin immer öfter auf das Dessert verzichtet?

Rund um die Kultur der Nachspeise scheint hierzulande eine gewisse Unzufriedenheit zu herrschen: Gäste bestellen sie nicht selten ab. Weil ihnen Pralinen als Menüabschluss für den Zuckerschub reichen. Weil ihnen das, was man aus Fisch, Fleisch und Gemüse machen kann, spannender erscheint als das, was man aus Schokolade und noch mehr Schokolade produziert, sie also den Magen lieber mit mehr salzigen Gängen füllen. Weil sie am Ende doch noch Kalorien sparen wollen, oder weil ihnen die meisten Desserts viel zu süß sind. Oder liegt es am Ende gar an der stets exzellenten Rohmilchkäse-Auswahl als Alternative?

Für Restaurants ist die Convenience-Industrie wohl in kaum einem anderen Bereich verlockender und gleichzeitig unverdächtiger als bei den Desserts. Firmen wie die deutsche Patisserie Walter GmbH – sie wirbt mit dem Satz „Wir machen Desserts. So, wie man sie sich selbst zubereiten würde.“ – preisen auf ihrer Homepage Nachspeisen an, die man aus so manchem Restaurant und Hotel kennt. Wohl jeder, der ab und zu auswärts essen geht, hat das eine oder andere „Stückdessert“ schon einmal serviert bekommen: Panna Cotta mit Erdbeerpüree im Glas – wahrlich nicht der höchste Schwierigkeitsgrad – kann man genauso bestellen wie Milchreis mit Balsamicokirschen.

Weiße Kaffeemousse im Schokogitter sieht sehr ambitioniert aus und wird fertig geliefert. Wenn man Glück hat, sind in der Endstation Restaurant dann sogar die Kellner instruiert, darüber Auskunft zu geben, wie „unsere Küche“ das Schokogitter so schön hinbekommen hat. Schlecht schmecken solche Desserts natürlich nicht unbedingt. Die Hersteller setzen angeblich keine Konservierungsstoffe ein und versuchen auch, mit weiteren bekannten Argumenten zu überzeugen. Ob man aber in einem besseren Lokal als Abschluss eines – hoffentlich ansonsten selbst ersonnenen und gekochten – Menüs eines von jährlich zwei Millionen Fertigdesserts (laut patisserie.de) serviert bekommen möchte, ist die Frage.

Führerlos.
Dem Trend zur eingekauften Nachspeise gegenüber stehen jene Gastronomen, deren Küchenteam nicht nur alle Desserts selbst macht, sondern die sich darüber hinaus sogar einen eigenen Patissier leisten. Selbst an der Spitze ist das keine Selbstverständlichkeit. Diverse Toplokale, die auch schon einmal einen Patissier hatten, sind derzeit im süßen Bereich führerlos (und wohl nicht unbedingt stolz darauf, sonst würden Sätze wie „das dürfen Sie aber nicht schreiben“, nicht fallen). Wenn jemand anderer als ein gelernter Patissier für die Desserts zuständig ist, muss das nicht zwingend schlechte Qualität bedeuten, weist aber möglicherweise auf den Stellenwert der Desserts für den Gesamtruf der Küche hin.

Ob der Patissiermangel vielleicht auch damit zu tun hat, dass „Patissiers angeblich schwierig sind“, wie Tian-Süßchef Thomas Scheiblhofer meint? (Kokett grinsend fügt er hinzu: „Weiß gar nicht, warum.“) Oder liegt es eher daran, dass sich viele Küchenchefs selbst für den besseren Patissier halten, wie off the record von Dessertspezialisten beklagt wird? Daran, dass Patissiers „nur“ für Desserts gut, also ein gewisser Luxusposten sind, weil man sie in der Küche sonst nicht einsetzen kann, sollte es nicht liegen – viele von ihnen haben auch eine klassische Kochausbildung gemacht.

Verknappung. Thomas Scheiblhofer sorgte früher an der Seite von Christian Petz im Coburg für den süßen Abschluss. Er ist auch Gründungsmitglied des PCA, des Patisserieclubs Austria, dessen anfängliche Umtriebigkeit sich etwas verlaufen hat. Scheiblhofer ortet, nicht ganz unzufrieden, eine gewisse Reputation durch Verknappung: „Es gibt einfach wenige Patissiers, weil viel zu wenig in die spezifische Ausbildung investiert wird, dadurch steigt unser Wert.“ Er selbst ist vor der Konditoren-Ausbildung regelrecht geflüchtet, „in der Patisserie kann ich eine Sachertorte machen, wie ich sie will!“

Scheiblhofer rechnet es Küchenchefs hoch an, wenn sie – was in Frankreich ganz normal ist – die Patissiers auf die Speisekarte schreiben. Sein Name sei im Coburg immer auf der Karte zu lesen gewesen, Martin Sieberer in der Paznauner Stube im Trofana Royal in Ischgl etwa halte das ebenso. Tatsächlich, auf der dortigen Karte steht: „Süßes von meinem Patissier Peter Fankhauser“.

Für Interessierte abschreckend seien in der Restaurant-Patisserie sicherlich die Arbeitszeiten: „Wenn Küchenschluss eigentlich um halb elf ist, sind wir noch bis zwölf da.“ Für die Arbeitgeber schwierig sei auch der Stellenwert, den ein guter Patissier habe: „Der spielt in der Souschef-Liga, sowohl von der Hierarchie her als auch vom Lohn, da hat man also höhere Ausgaben.“ Einer jener Gastronomen, denen die Nachspeisenkultur trotz der höheren Kosten eine eigene Stelle wert ist, ist Mino Zaccaria. Er leistet sich für das Amarantis in Wien Thomas Köpl, der sich auch gleich einmal „Patissier des Jahres 2011“ nennen darf. Eine Auszeichnung, der freilich etwas leicht Brancheninternes anhaftet. Köpl arbeitet mit einem weiteren Thomas zusammen: mit Thomas Wohlfarter, früher Souschef von Christian Petz im Coburg und jetzt Amarantis-Küchenchef.

Bei der Erstellung der Speisekarten darf der Küchenchef Einspruch erheben, „wenn die Kreativität wieder mit ihm durchgeht“, sagt Wohlfarter mit einem wohlwollenden Seitenblick auf Patissier Köpl. Oder wenn er den Gast schon überfordert vor sich sieht: „Ein Dessert aus Paradeisern mit vierzehn Gewürzen und Stangensellerie wäre schwierig.“ Die Dessertquote sei im Amarantis hoch. Thomas Köpl schätzt, dass sieben bis acht von zehn Gästen das Dessert nehmen. Die Küche müsse dafür natürlich Vorarbeit leisten, „es bringt ja nichts, dass der beste Patissier wartet, wenn der Gast vorher nicht von der Küchenleistung überzeugt ist. Und es darf das Menü bis zum Dessert nicht schon zu schwer gewesen sein.“
Da ortet Küchenchef Wohlfarter übrigens etwas typisch Österreichisches: „Was man bei uns halt oft nicht versteht, ist, dass man nicht für die Kalorien am Teller zahlt.“

Apropos Kalorien: Langfristig wird man vom Zucker noch mehr weg müssen, zumindest bei einem Teil der angebotenen Desserts, um der Nachspeisenkultur hierzulande wieder einen Schub zu verpassen. Und um neue, bisher nicht so dessertaffine Gäste zu erreichen. Ein Umdenken bei den Zutaten ist indes längst im Gange, hochwertige Schokoladedesserts sind herber, weil hochprozentiger. Und Gemüse wie die Rote Rübe sind durch ihre natürliche Süße gute Kandidaten für die Verarbeitung durch Patissiers. Mit Stevia, dem Süßkraut als Zuckerersatz, wartet schon die nächste Herausforderung. Es hat zwar keine Kalorien, kann aber dafür auch weder karamellisiert werden noch einer Masse Struktur verleihen.

Mehr Gänge.
So ambitioniert ein Patissier auch ist, durch sein Berufsbild ist er am Aufstieg gehindert, darüber sind sich Scheiblhofer und Köpl einig. „Ein Patissier kann ja nie Schalkrawattenträger und Küchenchef werden“, sagt Köpl. Es sei denn, es handle sich um ein Dessertrestaurant, von denen es unter anderem in Spanien oder Deutschland einige gibt – oder zumindest einmal gab.

Das Prinsessan in Hamburg etwa, das nur süße Menüs servierte, hat nach gehörigem Medieninteresse bald wieder zugesperrt. Nur Süßes anzubieten bleibt langfristig wohl den Konditoreien vorbehalten. Pre-Desserts allerdings sind sichtbar in Mode. „Ein Pre-Dessert muss Emotionen wecken, Erinnerungen“, meint Köpl. „Eine perfekte kleine Marillenpalatschinke zum Beispiel wäre als Dessert zu banal, aber als Pre-Dessert funktioniert sie.“

Patissiers

Thomas Köpl ist Patissier im Amarantis. Er arbeitet am liebsten mit Produkten, die vertraut sind, und versucht seine Desserts nicht zu süß zu halten. Anlässlich seiner Ernennung zum Patissier des Jahres bietet er ein fünfgängiges Dessertmenü um 39 Euro an.

Thomas Scheiblhofer ist nach Stationen wie Coburg und Xocolat-Manufaktur nun Patissier im Tian. Er würde sich französische Verhältnisse wünschen, sowohl bei der Wertschätzung als auch bei der Ausbildung.

Peter Fankhauser ist Patissier in der Paznauner Stube in Ischgl. Er wird, ganz nach französischer Art, selbstverständlich auf der Speisekarte genannt.

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