Tabakduft in der Sommernacht

(c) Ute Woltron
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Nicotiana. Man kann nicht nur die rauchige Variante durch die Nüstern ziehen, weit besser als die getrockneten, gerollten Blätter riechen die Blüten. Allerdings nur nach Sonnenuntergang.

Hochsommer. Ferien. Großartige Zeit. Die Imker freuen sich, weil die Schwarmzeit der Bienen beendet ist und sie nicht länger mit Leitern und Schwarmkästen über Zäune und auf Bäume klettern müssen, um die entwichene Imme wieder einzufangen. Die Vögel freuen sich, weil auch die zweite Brut längst flügge ist und der ewige Stress mit dem Abstecken der Brutreviere ein Ende hat – sie haben auch schon das morgendliche Singen so gut wie eingestellt. Die Menschen freuen sich, weil sie in lauen Sommernächten im Freien herumsitzen, tratschen und den Herrgott einen guten Mann sein lassen können.

Genau in dieser Zeit der allgemeinen Entspannung beginnt eine Pflanze zu blühen, die zwar buchstäblich in aller Munde ist, in Gärten auf den ersten Blick aber gerne übersehen und auch vergessen wird. Zumindest tagsüber. Ihr Auftritt kommt, wenn die Sonne untergeht. Dann öffnet der Tabak seine Blüten und sendet einen Duft aus, der von kaum einer anderen Pflanze überboten wird. Eine einzige Tabakpflanze in Fensternähe kann, bei strategisch klug gelenkten Luftströmungen, ein ganzes Haus mit süßem Wohlgeruch füllen. Am nächsten Morgen ist der Zauber vorbei, die Blüten hören auf zu duften, mit den ersten Sonnenstrahlen beginnen sie zu welken und gehen den Weg alles Irdischen.

Die meisten kennen den Tabak nur in Form seiner getrockneten und fermentierten Blätter, die, im Vergleich zu den Blüten, erwiesenermaßen von heftig umstrittenem Odeur sind. Dass die dazugehörige Pflanze zu den besten Sommerstauden überhaupt zählt und sich als Einjährige auch in unseren Breiten wohlfühlt, wissen jedoch die wenigsten. Es gibt 75 Arten innerhalb der Gattung Nicotiana und noch mehr Sorten. Im Handel findet man hauptsächlich kleine, oft rot blühende Pflänzchen, die gewöhnlich nur „Ziertabak“ genannt werden und fast alle Hybridpflanzen sind.

Glanz in der finstersten Nacht

Die sind hübsch, blühen brav und sind trotzdem nicht die Tabake Ihrer Wahl, denn viele von ihnen riechen nach gar nichts. Die großen Dufter sind immer die Weißen, diejenigen, die das Mondlicht einfangen und selbst in den dunkelsten Nächten mit Schimmer und Duft Bestäuberinsekten herbeilocken müssen. Im Falle des Tabaks gibt es zwei Arten, die besonders hervorzustreichen und zu empfehlen sind: Nicotiana alata wird bis zu einem Meter hoch und blüht büschelweise in langen Trichtern. Auch diesen Tabak gibt es in Sorten mit möglicherweise schöneren rosa und roten Blüten, doch der intensive süße Tabakduft kommt, wie gesagt, aus den weißen. Nicotiana sylvestris, der imposante Waldtabak, wird bis zu zwei Metern hoch, schließt die Blüten tagsüber nicht, duftet jedoch ebenfalls nur nach Sonnenuntergang.

Neben dem wirklich kaum beschreibbaren Parfum, das ganze Pergolen, Balkone und Innenräume füllen kann, ist Folgendes das Beste an diesen Pflanzen: Wer sie einmal hat, hat sie immer. Sie säen sich fantastisch Jahr für Jahr wieder aus. Ein paar ausgereifte Blüten spenden Dutzende, wenn nicht hunderte junge Pflanzen im Folgejahr. Die gehen ab Mai überall auf und können entweder an Ort und Stelle belassen, ausgezupft oder umgesetzt werden. Die vergleichsweise aufwendigere Anzucht über Samen im Frühling kann man sich jedenfalls sparen, wenn man ein paar Blüten bis in den Herbst hinein stehen und sich aussäen lässt.

Und die Pflege und Hege? Die ist ebenfalls erfreulich unaufwendig. Der Tabak gedeiht sowohl in der Sonne als auch im Schatten. Gegossen wird er regelmäßig, aber nicht übermäßig, vor allem in der Blütezeit sollte er stets gut gedüngt sein. Wer regelmäßig Verblühtes abzwickt, erhält noch mehr Blüten, doch wirklich notwendig ist das gar nicht. Der Tabak blüht den ganzen Sommer über unverdrossen, er ist die nächtliche Freude vieler Wochen.

Mit Kolumbus nach Europa

Jean Nicot, der französische Gesandte am portugiesischen Hof, hätte sich wohl nicht träumen lassen, wie präsent sein Name selbst über vierhundert Jahre nach seinem Hinscheiden weltweit sein würde. Nach ihm ist die Gattung benannt, weil er sie als Heilkraut 1561 in Form von Samen dem französischen Hof übersandte. Nach Europa geholt haben den Tabak freilich die Spanier, wahrscheinlich in Person des Mönches Peter Romanus Pane, eines Weggefährten des Christopher Kolumbus. Rauchen Sie ihn nicht, riechen Sie lieber an ihm. Er ist eines der nächtlichen Wunder jedes Hochsommers.

Gartenlaube

Übrigens sind nicht nur die genannten, sondern alle Tabake ziemlich attraktiv: Der Virginische Tabak oder Rauchtabak Nicotiana tabacum zum Beispiel wächst sich bei idealem Standort auf eine Höhe von bis zu drei Metern aus, blüht zartrosa und duftet ebenfalls leicht. Er kann aus Samen gezogen werden. Als Nachtschattengewächs ist Tabak giftig, doch, unter uns gesagt, das wissen ohnehin mittlerweile alle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2012)

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