Eierspeisholz und Glockenblumen

(c) Ute Woltron
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Erinnerung. An den Bildhauer Walter Pichler, seinen Garten, seine Werkstatt, seine Regenwassermaschine und an das Material, aus dem Vergangenheit und Gegenwart gemacht sind.

Ich denke an einen Garten im Südburgenland. Ein altes Bauernhaus. Obstbäume. Frisch geschnittenes Gras. Dazwischen ein Bauerngarten mit allem, was dazugehört. Petersil und Schnittlauch, Paradeiser und Gurken. Salat. Auch Blumen. Blaue Glockenblumen zum Beispiel. Die machten sich schön im Kontrast zu den weiß gekalkten Hauswänden. Wilder Wein an roten Ziegelmauern. Rundherum Felder. Hin und wieder das Geräusch eines Traktors. Eine Kreissäge. Sonst Stille.

Dieser Garten in St. Martin gehörte dem Bildhauer Walter Pichler, 75. Am Montag ist er verstorben. Im Jahr 1972 hatte er das alte Gehöft gekauft und zu seiner Werkstatt und zur Aufbewahrungs-, oder besser, Aufbahrungsstätte seiner wichtigsten Arbeiten gemacht. Figuren aus Metall, Knochen und Holz. Schädel. Polierte Bronze, Lehm oder Bein. Diese Skulpturen verkaufte er nicht. Er verkaufte nur die Skizzen, die er angefertigt hatte, um vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale zu hüpfen. Niemals verzerrende Perspektiven. Immer klare Axonometrien. Ansichten. Grundrisse. Aufrisse. Diese Zeichnungen waren die Hobelspäne, die bei der Arbeit abfielen. Nur die gab er preis. Die Arbeiten selbst gehörten ihm, die verschloss er hinter den Portalen der kleinen, scharf geschnittenen Architekturen, die er in diesen Garten setzte und in denen er ein- und ausging wie sein eigener Kerkermeister.

Das Bauernhaus, die Geräteschuppen, der Garten, die Häuser für die Skulpturen – alles passte, nichts störte. Es war ein Ort des Zeitlosen. Als wir Architekturstudenten irgendwann in den späten 1980er-Jahren eine Exkursion ins Südburgenland unternahmen, blieben wir vor dem Gehöft am Straßenrand stehen und schauten zwischen den Obstbäumen hinein in den Garten. Dort, sprach der Professor, wohnt Walter Pichler, der berühmte Bildhauer. Es war klar, dass wir ihn niemals würden stören dürfen.

Nur ein Haushaltsgerät mit Strom

Zwanzig Jahre später durfte ich. Wir gingen über kurz geschnittenes Gras. Blumen blühten. Die Obstbäume sahen wohlgepflegt aus. Ob er es hier immer so säuberlich habe, fragte ich. Ja, sagte er, ein Hof müsse halt ordentlich bewirtschaftet werden. Der Kaffee, den wir tranken, stammte vom einzigen strombetriebenen Haushaltsgerät. Im Holzschuppen nebenan befanden sich, jeweils in einer Ecke säuberlich geschlichtet, verschiedene Holzsorten, mit denen er den alten gemauerten Kochherd befeuerte. Birkenholz für die schnelle, flüchtige Hitze – das Eierspeisholz. Buchenscheiter für die lange, konstante Hitze – das Suppenholz.

Damals hatte Pichler gerade sein „Haus für die zwei Tröge“ fertiggestellt: Um die beiden alten, kreisrunden und im Durchmesser weit über einen Meter messenden Granitgefäße hatte er zwei zylindrische Hüllen gemauert. Wenn es regnete, konnte er die Dachwasser des anschließenden Schuppens über eine komplizierte, aus Rinnen und Röhren bestehende Metallskulptur in die seltsame Raumabfolge leiten. Nur so zum Spaß. Er konnte mit dem Regen die Tröge füllen, wenn ihm danach war, er konnte aber auch den gesamten Raum fluten. „Wenn ein Gewitter kommt“, meinte er zufrieden, „dann ist das eine recht ordentliche Maschin'.“

Möglicherweise täusche ich mich, doch wahrscheinlich hätte er diese „Maschin'“ nicht bauen können, wäre er nicht in der Wildnis des Südtiroler Eggentales aufgewachsen. Das Tal war der Garten seiner Kindheit. Felsbrocken, wildes Wasser, dazwischen die Mühle des Großvaters, der Schmied war. Ein Wassergang lenkte die Kräfte des Flusses auf das Mühlenrad und auf das Hammerwerk der Schmiede. Werkstattgeruch, Öl, Holz, der Duft von erhitztem Metall. Als Kind eingeatmet vergisst man das genau so wenig wie den Geruch der Brennnesseln am Bachufer, wenn die Sonne gegen Mittag geht.

Immer Handwerker geblieben

Wenn Walter Pichler in die Stadt kam, trug er Hut und maßgeschneidertes Tuch. Ein Inbegriff selbstbewusster Eleganz. In seiner Werkstatt, in seinem Garten war er der Handwerker, im Jopperl, in den abgewetzten Arbeiterhosen. Doch in beidem war er authentisch. Als Kind hatte er in den Südtiroler Bergen Ziegen und Kühe gehütet. Hatte miterlebt, wie die Faschisten mit skulpturalen Wasserkraftwerksarchitekturen das wilde Tal zu zähmen begannen. War weggegangen, war Künstler geworden, war um die Welt gereist, war Handwerker geblieben, und einer, der noch die ganz alte Zeit miterlebt hat. „Ich bin in Werkstätten aufgewachsen, eine Werkstatt war immer so etwas wie daheim“, sagte er. Das alles lebte in diesem Garten und auf dem Hof im Südburgenland weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2012)

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