Leidenschaft trägt schöne Blüten

(c) EPA (Grzegorz Michalowski)
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Obsessionen, die die Natur bietet: Man kann Kakteen beim Wachsen zusehen, sein letztes Geld für Orchideen ausgeben. Oder einsammeln, was im Garten abfällt.

Die Menschen sind zu den unterschiedlichsten Leidenschaften fähig, und die Verschrobensten unter ihnen sind oftmals auch die Interessantesten. Neulich hatte ich etwa Gelegenheit, in die winterkühlen Glashallen eines Kakteensammlers eindringen zu dürfen. Dort standen sie in allen Höhen, Größen und Farben dicht an dicht und bildeten eine Art stachelige Skyline wie ein Wild-West-Manhattan en miniature, das sich erst irgendwo im Dämmer der Halle weit hinten verlief.

Im Schatten der Kakteentürme stand ein entzückendes Gebilde in Sterngeometrie und mit flauschigen weißen Flecken, etwa fünf Zentimeter im Durchmesser und höchstens drei Zentimeter hoch. Der kleine Feschak hier sei wohl noch am Anfang seiner Raritätenkarriere, bemerkte ich leichthin, worauf mich der Kakteenzüchter erschrocken ansah. Das gute Stück sei eine seltene Spielart seiner Gattung und mindestens 15 Jahre alt, wenn nicht älter. Ich notierte ehrfurchtvoll den Namen und schlug ihn später im virtuellen Kakteenlexikon des Internets nach. Die erste Mutation des Astrophytum asterias cv. Superkabuto, stand dort zu lesen, war eine Laune der Natur. Sie passierte in der freien Wildbahn irgendwo in Mexiko oder Texas, wo dieser Kaktus wächst. Noch in den 1980er-Jahren, der Zeit seiner Entdeckung, wurde er von japanischen Züchtern für Höchstsummen gehandelt. Mittlerweile gibt es Kabuto-Varianten, die der ursprünglichen Form ähnlich und vergleichsweise billig sind.

Kakteen aus Samen zu ziehen, ist eine langwierige Aufgabe und mindestens so aufwendig wie die Orchideenzucht – übrigens ein weiteres Spielfeld für Verrückte aller Art. Die streiten noch dazu dauernd miteinander. Jede Orchideenfamilie hat Fans und Verteidiger. Als Eric Hansen sein wunderbares Buch über besagtes „Orchideenfieber“ (Verlag Klett-Cotta) recherchierte, wurde er von einem Insider während einer Auktion im Flüsterton gewarnt: „Es gibt die Orchideenleute, und es gibt die Paphiopedilumleute. Sie dürfen diese Gruppen nicht durcheinanderbringen. Die Paphleute leben in einer eigenen Welt. Man kennt sie als eigensinnig, unberechenbar und oft gefährlich, also passen Sie auf.“ Paphiopedilum nennt man die Gruppe der Frauenschuhorchideen, falls Sie das, so wie ich, nicht gewusst haben sollten.

Die Tücken der Nachtviole

Auch viele der Pflanzen, die wir in unseren Gärten horten, stammen aus aller Herren Länder und wurden irgendwann einmal von Pflanzenjägern in Form von Pflänzchen oder Samen erbeutet, nach Europa transportiert, aufgezogen, gekreuzt, veredelt, verbreitet. Ich selbst habe Frühling, Sommer und Herbst damit verbracht, einer ebenfalls leicht ins Skurrile kippenden Leidenschaft nachzugehen, und zwar der des Samensammelns. Das ist beispielsweise im Falle des Schlafmohns ein Leichtes, denn seine Kapseln sind berechenbar. Freaks wie die Nachbarin und ich wissen genau, dass man mit Schere und Auffangschüssel sprungbereit stehen muss, wenn sich bestimmte Pünktchen dunkel färben, weil sie sich kurz darauf öffnen und die Mohnsamen herausrieseln. Andere, wie die Nachtviole, sind tückischer. Deren ewig unreife Samenschoten besucht man wochenlang täglich, und doch aktivieren die ihren eingebauten Schleudermechanismus just dann, wenn man nicht zugegen ist. Vor zahllosen leergeschossenen Schoten stand ich oft, und dennoch glückte zwischendurch das Einsammeln so manch kostbaren Nachtviolensamens.

Jede Pflanze hat ihre Eigenheiten, da muss man schon gut aufpassen, will man ernten. Doch wenigstens laufen oder fliegen sie nicht davon. Schwieriger hatte es Vladimir Nabokov, der auf launischere Juwele der Natur aus und ebenfalls ein absoluter Freak war. Der Lepidopterologe und wohl einer der arrogantesten und begnadetsten Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts war vier Jahrzehnte seines Lebens auf der Suche nach jener noch unentdeckten Bläulingsart, der er seinen Namen geben würde.

Lyceides idas nabokovi

Schließlich fand er ihn, den Lyceides idas nabokovi, und schrieb darüber: „Vielleicht rangiert er nicht hoch genug, um einen eigenen Namen zu verdienen, doch was immer er auch ist – eine in Entstehung begriffene neue Art, ein frappierender Scherz, eine zufällige Kreuzung –, er bleibt eine große und entzückende Seltenheit.“

Gesammelt & gedruckt

Sollten Sie sich fragen, was mit meinen eingesammelten Blumensamen passiert ist: Die wurden ziemlich aufwendig verpackt, mit allerlei eigenhändig siebgedruckten Bildern versehen, die das Naturell und die Aura der jeweiligen Pflanze nach Möglichkeit einfangen sollten, kollektionsweise in Schachteln gegeben und werden nun verkauft. Wer Lust hat, schlägt unter www.utewoltron.com nach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2012)

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