Silvesterblüher: Licht ins Herz der Finsternis!

(c) Ute Woltron
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Wenn die am meisten vernachlässigte Pflanze in der düstersten Zeit des Jahres erstmals Blüten zeigt, hat man das zwar irgendwie nicht verdient, freut sich aber doch.

Mein Jahr endet mit einem unverdienten Geschenk, aber urteilen Sie selbst: Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass im vergangenen Oktober die Kälte ganz plötzlich über uns kam. Der bevorstehende, für diese Jahreszeit außergewöhnlich starke Frost wurde von den Wetterfröschen der Nation auf vorbildliche Weise angekündigt, sodass zumindest noch ein Tag Zeit blieb, um alle kälteempfindlichen Pflanzen, die den Sommer draußen verbracht hatten, schnell in Sicherheit zu bringen. Also beispielsweise Zitronengras, Zimmerfarne, Plectranthus, Limettenbäume, Grünlilien & Co., sowie gut und gerne fünfzig weitere botanische Wegbegleiter vieler Jahre.

Unter der zu rettenden Grünmasse befanden sich auch zwei ausgewachsene, mindestens zwei Jahrzehnte alte Riesenexemplare Alocasia odora, seinerzeit eigenhändig einem exotischen Sumpfland entrissen und selten, aber doch unter dem Namen Elefantenohr auch hierzulande im Handel zu haben. Die hätten als echte Tropenkinder schon viel früher eingeräumt gehört. Außerdem beschämten sie mich, während ich im Dämmer des sich neigenden Oktobertages mit ihrem erheblichen Gewicht rang, als ich bemerkte, dass sie zum ersten Mal Zeit ihrer Existenz Blüten trugen. Die schauten aus wie Callas, nur nicht ganz so elegant. „Die Kälte hat sie dazu gezwungen, Notblüten zu treiben“, folgerte ich zerknirscht. Was bin ich doch eine Rabengärtnerin!

Mit dem Wetterumschwung war auch Schnee angesagt. „Gut so“, dachte ich nach mehreren Stunden verbissenen Schleppens, Räumens, Blumentopfstapelns und Dreckproduzierens, der weiße Schnee darf dieses Schlachtfeld nun getrost bedecken. Denn wenn man jene Plätze leert, auf denen es den Sommer über in zahllosen Töpfen wuchern durfte, schaut es hernach traurig und öde aus. Nur die winterharten Pflanzen in den Trögen halten draußen durch, das sind auch noch viele. In der bereits angebrochenen Nacht überließ ich Hof und Vorplatz ihrem frostigen Schicksal und betrat ein Haus, das an den ersten Vorhof der grünen Hölle gemahnte. Blatt und Pflanze überall. Mir fiel Joseph Conrads Figur Kurtz ein, und dass der im Dschungel des Kongo wahnsinnig geworden war.

Am nächsten Morgen kroch drinnen manch aufgeschreckte Schnecke über den Fußboden. Draußen aber war alles weiß und still. „Gerade noch rechtzeitig eingeräumt“, freute ich mich, ging hinaus, und über mein Herz legte sich augenblicklich eine Conrad'sche Finsternis: Da stand doch der drei Meter hohe, prachtvolle Elefantenfuß vergessen mitten im Schnee. So gut angeschneit war der, dass unter der Schneehaube seine zierlich gekringelten Blätter hervorquollen wie die Locken der Mädchen unter den voluminösen Häkelhauben, die man derzeit trägt. Der war hin, das stand fest. Er wurde trotzdem sofort abgebeutelt, hineingeschleppt, tropfend an die hellste Stelle geschoben. Denn überlebende Elefantenfüße wollen viel Licht, und wenigstens diese Chance sollte er haben.

Die Elefantenfüße Beaucarnea recurvata wachsen sehr langsam. In ihrer Heimat Mexiko werden die sukkulenten Bäume bis zu sechs, sieben Meter hoch. Ein drei Meter hohes Exemplar im Kübel sieht man selten. Im Falle seines Hinscheidens hätte ich eine uralte Pflanze umgebracht. Doch er tat, als sei nichts gewesen. Er hatte nicht einmal Frostflecken auf den Blättern, wahrscheinlich, weil der isolierende Schnee einen segensreichen Dienst getan hatte.

Über den Winter wird der Gigant mit der rauen Rinde, der er seinen Namen verdankt, nur äußerst selten gegossen. Da er offensichtlich wider Erwarten tadellos die Runde gekratzt hatte, und weil die Erde, in der sein Fuß steckte, sehr nass gewesen war, als ich ihn hereingezerrt hatte, beachtete ich ihn wochenlang wieder nicht.

Dieser Tage goss ich ihn erstmals. Er sah in seinen oberen Regionen seltsam unproportioniert aus. „Wie windschief bist denn du?“, fragte ich ihn, denn ich rede mit meinen Pflanzen, wenn keiner da ist außer der Katze. „Ich blühe“, raunte er mir zu, „obwohl du mich damals im Oktober der Kälte überlassen hast.“ Und tatsächlich streckt er zwei gut 70 Zentimeter lange Blütendolden mit weißen Sternchen Richtung Himmel hinter Fensterglas. So wie die Elefantenohren blüht er zum allerersten Mal. Meine Pflanzen verzeihen mir alles. Meine Neujahrsvorsätze sind gefasst: Auch nächstes Jahr wieder will ich versuchen, ihnen allen gerecht zu werden.

Kratzbaum und Radio

Sollte auch bei Ihnen eine Katze herrschen: Besorgen Sie sich und ihr einen großen Elefantenfuß. Die großen sind zwar schwer erhältlich, geben aber mit ihrer steinharten Rinde den besten Kratzbaum ab. Sie brauchen jetzt nur noch einen sehr hellen, sonnigen Standort, genug Selbstbeherrschung, um nicht zu oft zu gießen, und im Herbst ein Radio – für den Wetterbericht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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