Asparagus: Der Farn, der ein Spargel war

Fedrigfeine Blätter in wedelartigen Gebilden, anmutig geschichtet.
Fedrigfeine Blätter in wedelartigen Gebilden, anmutig geschichtet.(c) Ute Woltron
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Was ungeliebte Zimmerpflanzen mit Beethoven, alten Klavieren und zeitlosen Lebensweisheiten gemein haben. Und wie die Liebe doch wachsen kann.

Als ich noch „Für Elise“ auf einem Pianino klimperte, das bereits mehrere Generationen angehender Nichtpianisten zu Schanden gedroschen hatten, stand ein großer Asparagus auf der rechten oberen Ecke des gequälten Instruments. Den mochte ich nicht. Er entwickelte meterlange, erstaunlich magere Triebe. Dort, wo er überhaupt welche hatte, ließ er so gut wie ununterbrochen vergilbte Nadeln fallen. Bevor man den Klavierdeckel öffnete, musste man ihn schütteln, damit später im wild bewegten dramatischen Teil der Elise, bei dem man Bs und Kreuze und deren Auflösung zugleich zu berücksichtigen hatte, kein Asparaguslaub zwischen die Tasten fiel. Das Klavier war mein Freund, der Asparagus nicht.

Später war ich klavierlos, dafür erwachsen, und ich konnte mir meine Zimmerpflanzen selbst aussuchen. Einmal lief ich in einem Blumenladen einem Asparagus über den Weg. Er machte einen deutlich vitaleren Eindruck als seinerzeit jener auf meinem alten Klavier, und da man abgelebte Feindschaften nicht pflegen, sondern auflösen soll, kaufte ich ihn und gab ihm alles, was ich an Zuneigung, richtiger Düngung und Lichtverhältnis zu bieten hatte.

Binnen kürzester Zeit begann er meterlange, erstaunlich magere Triebe zu bilden und überall dort, wo er welche hatte, kränkliche Nadeln zu verstreuen. Ich glaube zwar immer noch, alles richtig gemacht zu haben, doch die Pflanze strafte mich Lügen. Sie war offensichtlich unzufrieden, und ich begann sie abermals nicht zu mögen. Unsere Wege trennten sich. Gut, dachte ich, mit Asparagus bin ich, abgesehen von auf vorgewärmten Tellern und mit köstlichen Saucen servierten Exemplaren, fertig. Denn der Zimmer-Asparagus ist eine Spargelart und somit die Ziervariante des trefflichen Gemüses.

Einige Zeit später lief ich wieder einer Topfpflanze über den Weg. Sie war winzig klein, stand unbeachtet in der zugigsten Ecke eines Supermarkts, war offenbar ein ungeliebter, vertrockneter Restposten und ihr Anblick erweckte Beschützergefühle in mir. Sie schrie in ihrer Erbärmlichkeit förmlich nach Errettung, also kaufte ich sie um weniger als einen Euro und trug sie heim. Du kleines Farngewächs du, dachte ich, dich werden wir schon wieder aufpäppeln. Denn wie ein Farn sah sie aus, die Miniatur. Der ursprüngliche Topf von höchstens vier Zentimetern Durchmesser wurde verworfen und durch ein passenderes Bett ersetzt. Augenblicklich erholte sich der Zwerg. Er trieb aus, entfaltete fedrig-feine Blätter zu schönen wedelartigen Gebilden, die er anmutig in Schichten übereinander zu stapeln begann, und wuchs sich in Kürze zu einer wahren Zierlichkeit aus.

Da in Nichtfachmärkten die Unsitte herrscht, feilgebotene Pflanzen so gut wie nie ordentlich zu beschriften, hatte ich die längste Zeit keine Ahnung, welcher Art oder gar Sorte der genesene Pflegefall war. Als aber mehrere Besucher auf ihn aufmerksam wurden und sich nach dem Namen erkundigten, ging ich dem schließlich nach und fand zu meinem Entsetzen und Entzücken zugleich heraus, dass ich hier einen echten Asparagus hütete, und sicher keinen Farn.

Die genaue Bezeichnung für diese Sorte lautet Asparagus setaceus Nanus, sie ist die Zwergform des sogenannten Federspargels. Manchmal wird sie auch Asparagus plumosus Nanus genannt. Warum die unter meiner Pflege gedeiht, die wesentlich gröbere, viel größere Sorte Asparagus Sprengen aber nicht, bleibt mir so rätselhaft wie etwa der Fingersatz von Beethovens fantastischer Waldstein-Klaviersonate. Den werde ich wohl nicht mehr erlernen, doch zumindest, was den Asparagus anlangt, wurde die Übung gemeistert.

Möglicherweise ist der Federspargel anspruchsloser als sein großer Verwandter? Wer weiß. Wie dieser mag er es hell, aber nicht sonnig, sommers feucht, aber niemals nass, im Winter trockener und durchaus auch kühl, wenn's geht. Zwischenzeitlich gibt es auch wieder ein Klavier. Die rechte obere Ecke schien mir der ideale Platz für den Federspargel zu sein. Keine Nadel fällt, wenn ich im wild bewegten Teil der Elise in die Tasten dresche – etwas milder als seinerzeit bei der fabelhaften Erika Habart. Die brachte mir das Klavierspielen bei. Ihre Anmerkungen stehen immer noch in Bleistift auf den Noten – „Fingersatz beachten!“ – aber auch noch anderswo eingeschrieben: nicht zu viel Pedal geben, nicht mit Lärm über Schlamperei drüberschummeln, präzise sein, üben. Hat sich auch in anderen Lebenslagen als überaus hilfreich erwiesen.

Aus der Gartenlaube

Der Feder-Asparagus stammt ursprünglich aus Südafrika. Er sieht aus wie ein besonders feiner Farn, ist aber mit den Liliengewächsen verwandt. In seltenen Fällen blüht er auch in Haus und Heim. Sollte er in der Folge rote Beeren bilden, wird vor deren Konsum abgeraten: Sie sind giftig. Ältere Exemplare kann man im Frühjahr mit der gebotenen Brutalität teilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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