Es war die Robinie, nicht die Akazie

Robinie
Robinie(c) Woltron
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Luis Barragán komponierte mit seinem letzten Haus eine gebaute Symphonie an einen Baum. Das habe ich auch versucht. Aber erst der zweite Anlauf ist gelungen.

Als der mexikanische Architekt Luis Barragán schon sehr alt war, lebte er zurückgezogen, fromm, still. Er hatte irgendwann sein Architekturbüro zugesperrt und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. In diese Ruhe und Abgeschiedenheit polterte eines Tages der virile Lebensgeist eines jugendlichen Landsmannes. Er stöberte den betagten Architekten auf und zerrte ihn zu einem kleinen, unscheinbaren Grundstück nicht weit von seinem Atelier in Mexico-City. Dort, auf gerade dreißig mal zehn Metern, meinte Francisco Gilardi, soll Barragán ein Haus für ihn bauen, denn keinen anderen Baumeister verehre er so sehr wie ihn.

Der alte Mann war erst wenig angetan. Doch genau in der Mitte des kleinen Flecks wuchs eine ehrwürdige alte Jacarandá – einer der schönsten Bäume der Tropen. Unter der Auflage, dass das prächtige Gewächs erhalten bleibe, komponierte Luis Barragán sein allerletztes Haus rund um diesen Baum. Er dirigierte noch einmal Licht und Materie zu einem klaren und feierlichen Wohlgesang auf die Schönheit, das Leben und den Tod, und mitten drinnen ließ er die Jacarandá ihre Blüten niederrieseln auf poliertes, schwarzes Lavagestein, wo sie alljährlich sozusagen in Schönheit und Würde starben.

„Ohne Sehnsucht nach Gott“, hatte der streng katholische, alte Mann acht Jahre vor seinem Tod in der Rede anlässlich der Pritzker-Preis-Übergabe im Jahr 1980 gesagt, „wäre unser Planet eine bedauerliche Wüstenei an Hässlichkeit“, und, „der Schönheit beraubt, ist das menschliche Leben nicht wert, als solches bezeichnet zu werden.“

Die Jacarandá gedeiht in unseren kühlen Breiten nicht, doch gibt es einen Baum, der ihr an Schönheit fast gleichkommt und ihr ähnlich sieht: die ebenfalls gefiedert beblätterte, in wunderbaren duftenden lila Dolden blühende Rosenrobinie. Eine solche aufzutreiben, ist nicht einfach, doch wer inbrünstig suchet und die Betreiber von Baumschulen lange genug nervt, der findet. Diesen Jacarandá-Ersatz pflanzte ich eingedenk des genialen mexikanischen Architekten im steingepflasterten Hof meines Heimes, auf dass er im Mai und Juni jedes Jahres honigsüße dunkellila Rosenakazienblüten regnen lasse.

Der Baum gedieh ausgezeichnet, seine Wurzeln sogen Kraft aus dem uralten Misthaufen, den meine Ahninnen über hundert Jahre hinweg an dieser Stelle mit den Abfällen von Bauerngarten und Ziegenstall gemästet hatten. In kurzer Zeit schoss er empor und war bald höher als das Haus. Damit gedieh die zierliche Baumschönheit viel zu gut: Robinien wollen karg gehalten werden. Sie sollen trocken stehen und ungedüngt. Wachsen sie zu schnell, wird das sonst so zähe Holz viel zu spröde für die Unbilden der alpinen Witterung.

Ein besonders früher Wintereinbruch kam, als die Robinie ihre Blätter noch nicht abgeworfen hatte, und die Last des nassen Schnees spaltete ihren Stamm bis zum Boden. Im nächsten Jahr spross zwar eine neue Robinie aus den beklagenswerten Resten der vormaligen, doch diese entpuppte sich als sozusagen ordinäre, weiß blühende Robinie, die offensichtlich als Veredelungsunterlage für die rosalila Variante gedient hatte. Auch dieser Baum gedieh im fetten Boden viel zu gut und wurde mehrfach von Stürmen gefällt. Irgendwann verabschiedete ich mich in gemessener Trauer vom Gedanken an eine Robinie im Hof, grub die Wurzeln aus und ergötzte mich an selber Stelle fürderhin an einem zierlichen Seidenbaum, der alljährlich im Hochsommer seine zarten rosa-weißen Blütenfederchen auf den Steinboden rieseln lässt. Auch hübsch.

Doch die Sehnsucht nach der Schönheit, ohne die laut Barragán unser Planet eben diese bedauerliche Wüstenei an Hässlichkeit wäre, ließ mir keine Ruhe. Wieder wurden Baumschulbetreiber empfindlich bedrängt, wieder gelang es, eine Rosenrobinie aufzutreiben, und die wurde selbstredend an anderer, weniger gut gedüngter Stelle gepflanzt. Sie steht jetzt erstmals in voller Blüte. Wunderschön. Die Bienen, die bekanntlich die Robienblüten über alles lieben, summen in ihrer zugegebenermaßen noch winzig kleinen Krone. „In meinen Brunnen singt die Stille“, hatte Barragán gesagt: „In meinen Häusern murmelt sie.“ Und in den Bäumen, sage ich, träumt sie fort.

GARTENLAUBE

Was die wenigsten wissen: Robinien, im Volksmund gern Akazien genannt, sind keine solchen. Da die Bäume einander aber ähneln, heißt die Robinie mit botanisch korrektem Namen Robinia pseudoacacia. Die Akazie selbst heißt Acacia. Wenn man zur Robinie also „Falsche Akazie“ sagt, liegt man richtig. Die Rosenrobinie hingegen ist die Robinia hispida. Nur damit das klar ist, sollten Sie nun zur Baumschule eilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2014)

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