Tratsch im Garten: Merhaba heißt Hallo, Selam heißt Grüß Gott

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Was Weinblätter und Fotosynthese, Ausländerfeindlichkeit und Tomaten miteinander zu tun haben.

Meine Freundin Hülya nimmt mich letzten Herbst mit zur Eröffnung des neuen Vereinslokals der Türkisch Islamischen Union in Ternitz. Wir sind beide von hier. „Von hier“ bedeutet für jede von uns etwas anderes. Ich bin hier geboren. Hülya ist vor 40 Jahren aus der Türkei gekommen. Am 5. August 1973, um genau zu sein – den Tag, an dem man das, was man Heimat nennt, verlässt, vergisst man nicht. Damals war ich sechs Jahre alt. Sie war 21.

Wir fahren zum Eröffnungsfest. Herausgeputzte Menschen auf der Straße. Eine Musikkapelle spielt. Vor 40 Jahren war hier Werksgelände. Schoeller Bleckmann. Edelstahl. Verstaatlichte Industrie. Wenn die Hochöfen abgestochen wurden, stieg roter Eisenoxid-Rauch auf, verbreitete sich kilometerweit, und die Hausfrauen liefen in den Garten, um die Wäsche abzunehmen.

Als Landkinder waren wir gewohnt, jeden zu grüßen, dem wir auf der Straße begegneten. Grüß Gott, sagte man laut und freundlich. Als die türkischen Gastarbeiter kamen, lernten wir dazu und sagten auch Merhaba. Jemand aus der Klasse hatte herausgefunden, dass man das so macht, weil das das türkische Grüß Gott sei. Wir wollten freundlich sein, wir Kinder. Es war die Zeit der endlosen Sommer, als es noch Eiscrememaschinen gab, aus denen zweifärbige Kringel in Stanitzel flossen, als sich in den Nächten Grillenzirpen mit dem ewigen Pulsschlag der Stadt, dem Hammerwerk, zu einer einschläfernden Symphonie vermischte, als das Werk noch Hochbetrieb hatte und alles gut und ewig schien. Sehr, sehr lange ist das her.

Wir sitzen jetzt im Hof des Vereinslokals, es werden Reden geschwungen, türkische Mädchen, die natürlich keine türkischen, sondern in Österreich geborene Mädchen sind, singen die niederösterreichische Landeshymne. Aus dem Hintergrund blickt der alte Schornstein des Werkes auf uns herab. Hülya wird langsam ungeduldig, flüstert mir ins Ohr, es werde nicht mehr lang dauern bis zum Höhepunkt des Festes, dem Buffet: Das stellt sich als ungeheuerlich heraus. Gekocht und vorbereitet von den türkischen Frauen. Hülya weiß, wer das Beste beigesteuert hat und türmt es auf meinen Teller. Das Köstlichste, meint sie, seien die gefüllten Weinblätter ihrer Freundin. Die wisse, wie man sie einlege, fülle und rolle. Tatsächlich ist alles hervorragend, die türkische Küche sucht ihresgleichen. Die meisten Österreicher wissen das, allerdings aus dem Urlaub in der Türkei.

Vergangene Woche sitze ich mit Hülya in meinem Garten, wir trinken Kaffee und tratschen. So schöne Weinblätter, sagt sie angesichts des alten Weinstocks, dessen Reben über 20 Meter lang sind, und der alle paar Wochen zurückgeschnitten werden muss, weil er sonst alles überwuchert. Ob sie ein paar Blätter haben dürfe? Kiloweise, sage ich, und das immer wieder und den ganzen Sommer über! Allerdings unter der Bedingung, dass sie mir beibringe, wie man sie einlegt und wie man daraus diese genialen Röllchen formt, gefüllt mit Reis und Pinienkernen und Minze und anderen aromatischen Beigaben, wie es sie auf dem Eröffnungsfest gab.

Kein Weinblattdiebstahl!

Zwei Tage später ruft sie an. Sie wird mit ihrer Freundin, der Weinblattspezialistin, einen Nachmittag lang zu mir kommen, wir werden gemeinsam die Weinblätter einlegen und verarbeiten. Ihre Freundin, sagt Hülya vorsichtig, trage Kopftuch, sei aber eine liebe, lustige Frau. Ein paar Tage später steht in den Zeitungen, dass die Wiener Weinberge von Weinblätterdieben geplündert werden, und dass die Weinbauern um ihre Ernte bangen und aufgebracht sind. Die Blätter sind die Kraftwerke der Rebe, ohne sie reifen die Trauben nicht. Weinblattdiebstahl gehört sich selbstredend nicht, aber möglicherweise wissen die Diebe gar nicht, was sie da anrichten, wenn sie Blätter zupfen. Sofort aber bricht ein Sturm scheinmoralischer Entrüstung los, gerichtet gegen die Ausländer, die Türken, gegen alles, was daherkommt an Verbrechern. Raus mit dem Gesindel!

Vieles ist entsetzlich falsch gelaufen in den vergangenen 40 Jahren. Vieles hätte so viel besser gemacht werden können, und zwar von beiden Seiten gleichermaßen. Eine intelligente Debatte zum Thema steht immer noch aus. Merhaba heißt Hallo, Selam heißt Grüß Gott. Es wäre schön, würden wir alle das endlich lernen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2014)

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