Die Pflanze der Architekten

Akanthus
Akanthus(c) Woltron
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Der Akanthus liebt Sonne, Wärme und Trockenheit. Für seine Schönheit wurde er schon von den griechischen Baumeistern verehrt. Auch das Barock schätzte das „Blattwerk“.

Der feuchte Frühling hat die Pflanzen verwöhnt. Sie haben keine Notwendigkeit gefunden, ihre Wurzeln auf der Suche nach Wasser tief in die Erde zu graben, weil die oberen Schichten ohnehin stets nass waren. Das haben sie jetzt davon – in den Regionen, in denen die angekündigten Regenwetter ausgeblieben sind und die Hitze weiter regiert, hängen sie dürstend da. Diese Art von Witterungsunbill katapultiert die Nachbarin regelmäßig zwischen Himmel und Hölle hin und her, wobei das Höllische überwiegt. Einmal ist es ihr zu nass: „Alles ersäuft!“ Dann wieder zu trocken: „Ich werde den Garten angesichts der Dürre stellenweise aufgeben!“ Kurzum: Es ist wie jedes Jahr, das Wetter passt nie.

Einer, dem die trockene Hitze jedoch behagt, ist der Akanthus: Eine wahre Prachtpflanze! Sie bohrt ihre Pfahlwurzel tief in den Boden und ist somit auch für trockenste Gartenstellen geeignet. Doch sie braucht viel Platz. Jedes kleine Akanthuspflänzchen wächst sich binnen weniger Jahre zu einem imposanten Gewächs von gut ein, zwei Metern Durchmesser aus. Man unterschätzt das gern. Er wird groß. Die Griechen formten bereits vor 2500 Jahren ihre eleganten korinthischen Säulenkapitelle nach dem Vorbild des Akanthusblattes. Auch das Barock schätzte die markante skulpturale Form der Pflanze und empfand sie als sogenanntes „Blattwerk“ in zierlichen Verschnörkelungen nach. Im Garten ist der Akanthus ein fantastischer Solitär.

Man bekommt ihn erstaunlich selten zu sehen und auch kaum zu kaufen, was schade ist, denn wenn er dann nach ein paar Jahren zu blühen beginnt, ist das ein Spektakel, und manch Gartenbesuch stand bereits mit offenem Mund staunend vor ihm.

Eine ausgewachsene Akanthuspflanze entwickelt zahlreiche bis über einen Meter hohe Blütenstände in hellem Lila. Deren Architektur genau zu inspizieren zahlt sich aus, denn die langlebige Akanthusblüte ist wie eine Skulptur gebaut. In ihr reifen über mehrere Wochen große, bohnenförmige Samen, die in der Sommerhitze knackend aus den Hüllen platzen und mittels eines Schnalzmechanismus durch die Gegend geschleudert werden. Diese Samen sind zahlreich und fruchtbar. Auch das unterschätzt man gern.

Mein erster Akanthus fand, dem Naturell der Pflanze entsprechend, Platz in einem sonnigen, trockenen Rondeau, das ich inmitten einer mich langweilig deuchenden Grasfläche angelegt hatte. Er war etwa acht Zentimeter klein, um nicht zu sagen mickrig, und ein Geschenk der Nachbarin, deren stattliche Akanthuswäldchen bereits erfolgreich Samen verbreitet und Nachwuchs gezüchtet hatten. Ich stellte mir meinen Akanthus ausgewachsen wunderbar vor: Wie eine Insel würde er schon bald aus dem Rasen ragen, eine Art pflanzlicher Springbrunnen aus gezacktem Blattgrün und Lila. Seinen Nachwuchs würde ich rechtzeitig ausgraben – größere Akanthuspflanzen kann man wegen der Pfahlwurzel kaum noch versetzen – und so im Lauf der Zeit weitere attraktive Inseln in den Rasen sticken.

Dieser Moment kam nie. Der Akanthus tauchte aus dem Winterschlaf nicht mehr auf. Nach einer kurzen Phase des Wartens und heimlichen Erdegrabens auf der vergeblichen Suche nach ihm bepflanzte ich das Rondeau mit anderen, willigeren Blumen. Doch im Folgejahr kam er überraschenderweise zwischen den dort mittlerweile etablierten Blütenstauden zurück. Er hatte unter der Erde offenbar Kräfte gesammelt. Gut, dachte ich, wenigstens ein Skulptürchen darf ich künftig mein Eigen nennen. Jetzt, drei Jahre später, befindet sich eine wüste Ansammlung von Akanthuspflanzen und anderen Gewächsen an dieser Stelle. Sie ringen um den Platz. Ich mische mich in den Kampf nicht ein. Der Stärkere soll siegen, und es schaut ganz nach Akanthustriumph aus. Denn der hat sich zwischenzeitlich sogar schon vermehrt. Offenbar treibt die Pflanze nicht nur über Samen Junge, sondern auch über die Wurzeln.

Es stehen mehrere Akanthusarten zur Wahl. Einer der schönsten ist der stachelig-spitze Acanthus spinosus. Weiche Blätter trägt der Acanthus hungaricus.Weiß blüht der Acanthus mollis.Und mit höchstens 40 Zentimetern Größe klein bleibt der Acanthus hirsutus.Wählet aus und erfreuet euch!

GARTENLAUBE

Der Akanthus heißt auch Wahrer Bärenklau, ist aber mit dem gefürchteten Riesen-Bärenklau, Heracleum mantegazzianum, nicht verwandt. Letzterer ist aggressiv fototoxisch. Der Saft des Riesen-Bärenklaus führt unter Einfluss von Sonnenlicht zu schweren verbrennungsartigen Wunden, die nur schlecht heilen und braune Narben hinterlassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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