Dahlien oder Brombeermarmelade?

Brombeeren
Brombeeren(c) Woltron
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Die Frage nach Augen- oder Gaumenschmaus stellt sich nicht mehr, wir blicken nach dem Schneckenfraß des Frühlings in die Zukunft und kochen duftige Beeren ein.

Lange Zeit bin ich früh aufgestanden. Nicht auf die Suche nach der verlorenen Zeit begab ich mich, sondern auf die Jagd nach der Schnecke. Mit einem wohl geschärften Rebscherchen kroch ich durch Unterhölzer, zumal dort, wo Natursteinmauern für Mollusken traumhaften Unterschlupf bieten. Manch schöne Strecke legte ich im Lauf vieler feuchter Frühlingsmorgen zurück. Umsonst.

„Die Erschaffung der Welt hat nicht ein für allemal stattgefunden, sie findet unabwendbar alle Tage statt“, sagte einer der Berühmtesten unter den Frühaufstehern, Marcel Proust. Dieser Satz gilt auch für die tägliche Neuerschaffung von Nacktschnecken. Die scheint mit rasender Geschwindigkeit vonstattenzugehen. Er gilt bedauerlicherweise jedoch nicht für deren Lieblingsspeise, die Dahlie.

Drei Dutzend Dahlienknollen, mit Sorgfalt in Papiersäcken aufbewahrt und über den Winter gebracht ohne zu verschimmeln, zu vertrocknen oder einer sonstigen Unbill zum Opfer zu fallen, habe ich hoffnungsfroh eingegraben. Es haben nur fünf davon überlebt. Die anderen haben es zumindest wacker versucht, haben immer wieder ausgetrieben, sind immer wieder abgefressen worden vom abscheulichen Schneckengetier. Jetzt rührt sich nichts mehr.

Die Nachbarin hat wieder einmal die Nase vorn. Ihre Dahlien sind hüfthoch aufgeschossen und blühen bereits. Sie unterzieht sich ab März jedes Jahres der Mühe, die Dahlienknollen einzeln in Töpfe zu setzen, sie in der geschützten Werkstatt des Glashauses vorzuziehen und erst dann auszupflanzen, wenn sie eine von Schnecken nicht mehr vernichtbare Größe erreicht haben. In den Anfangsphasen ihres Freiluftaufenthalts schützt sie die Pflanzen mit zwar reizlosen, doch nützlichen Schneckenringen aus durchscheinendem grünen Plastik samt Rand, der von den Mollusken nicht überkrochen werden kann.

Gut. Ich muss die Dahliensituation der kommenden Jahre überdenken. Für heuer bleibt mir nur, mich an anderem zu ergötzen. So etwa an den erst im Vorjahr eingesetzten Brombeeren. Angesichts der schwarz glänzenden Last, die sie tragen, muss noch einmal der alte Proust her: „Es wird uns nicht gelingen, die Dinge gemäß unseren Wünschen zu verändern, doch mit der Zeit verändern sich unsere Wünsche.“ Wunderbar. Was sollen mir Dahlienblüten, wenn ich Brombeermarmelade kochen kann? Ich wünsche keine Dahlien mehr. Ich wünsche Brombeermarmelade.

Mit der hat es eine ganz eigene Bewandtnis. Denn lange waren die Gartenbrombeersorten außer großfrüchtig sehr dornig und im Vergleich mit den kleinen wilden Brombeeren völlig geschmacklos. So zogen die Nachbarin und ich denn stets im Herbst mit Milchkannen ausgerüstet zu den verborgenen Brombeerschlägen der Umgebung – selbstverständlich frühmorgens, denn man ist nur dann allein auf der Welt. Kommt man zu spät, sind sie weg. Wir Leute vom Land wissen, was gut ist. Waldbrombeeren, unvergleichlich, wunderbar – und höchst begehrt!

Wenn es allerdings ab Juni schon so trocken ist wie heuer, wird das nichts mit den Brombeeren. Die brauchen nicht nur warme Sommer, sondern auch genügend Feuchtigkeit um die Wurzeln. Schon in der Dürre des Vorjahrs war da nichts zu holen im Wald, weshalb ich auch besagte Gartenbrombeere eingrub. Denn die Beerenzüchterzunft, das berichtet Michael Bauer, welchselbiger einer der begnadetsten Belieferer der heimischen Spitzengastronomie ist, hat beglückenderweise nicht geschlafen und in den vergangenen Jahren einige hervorragende Sorten hervorgebracht. Meine heißt Loch Ness.

Eine echte Empfehlung: Diese Brombeere hat keine Stacheln, was die Sache ebenfalls viel einfacher macht, und sie trägt in unglaublichen Mengen große, süße, aromatische, gesunde, saftige – hier gehen mir die Superlative aus – Früchte.

Die Brombeere rankt über einen ausgedienten Rosenbogen, weil das die Ernte gemütlich macht. Nach der ganzen Schneckenkriecherei hat man sich das verdient. Angesichts der vielen Blüten und unreifen Beeren darf zufrieden auf weitere Ernte über viele Wochen geblickt werden. Mitunter sollte also die Suche nach dem Verlorenen unterbrochen und freudig in die Zukunft geblickt werden. Wobei – der Verlust der Dahlien schmerzt dennoch. Mit den Schnecken hier bin ich noch nicht fertig. Noch lange nicht...

GARTENLAUBE

Wenn Sie eine Gartenbrombeere setzen wollen, sind die neuen, dornenlosen Sorten wie Loch Ness oder Navaho eine echte Empfehlung. Sie brauchen volle Sonne und einen nicht zu trockenen Standort. Achtung: Sie sind extrem wüchsig und benötigen eine stabile, mindestens zwei Meter hohe Rankhilfe. Im Frühjahr schneidet man alle Ruten weg, die älter sind als ein Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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