Idiotie des Landlebens? Nirgendwo gibt es klügere Bauern!

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Polemik. Gern wird die angebliche Antiurbanität gegeißelt, doch nur Kleingeister urteilen über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben.

Immer wieder gefällt es in Wien weltberühmten Kleingeistern, die „Idiotie des Landlebens“ und das „Antiurbane“ zu geißeln. Aus Lederhosen und Dirndln, so meinte einer von ihnen unlängst wieder einmal wenig originell, steige der Dunst des ewig Gestrigen auf, wabere zwischenzeitlich auch gefährlich in Richtung Stadt, verpeste diesen Hort des Fortschritts und des Intellekts. Die Idiotie des Landlebens also. Jo mei. Wenn es denn so einfach wäre.

Es mag eine der gefährlichsten Krankheiten unserer Zeit sein, dass Heerscharen von Experten wenig anderes zu tun haben, als über Themen zu befinden, von denen sie keine Ahnung haben. Die Unwissenheit macht dabei jede Polemik herrlich einfach, wenn auch nie gescheit. Denn wie jeder Journalist weiß: Zu viel Recherche tut der selbst gesponnenen These nicht gut, weil man möglicherweise draufkommt, dass sie nicht richtig ist. Genau hier würde aber die eigentliche, selbstredend anstrengende Expertenarbeit beginnen: das penible Zusammentragen von Fakten, das Analysieren, das Nachdenken.

Wenn sich also einer vollmundig allen Ernstes öffentlich über die „Idiotie des Landlebens“ empört, hat er weder das eine noch das andere und schon gar nicht das Dritte getan. Dabei wäre es recht einfach, denn begäbe man sich aus dem städtischen Hort des Fortschritts zum Zweck der Recherche denn doch einmal hinaus auf das, was man in der Stadt das Land nennt, so müsste man recht lange nach Lederhosenträgern und Dirndlbustiers suchen. Ich zum Beispiel, die ich auf dem Land wohne, habe nachgerade seit Jahrzehnten weder das eine noch das andere zu Gesicht bekommen, wohingegen die Lodenmanteldichte in Wien doch beeindruckend sein kann. Da Dirndl- und Lodenmantelstatistiken jedoch gänzlich aussagelos sind, lieber gleich wieder zu den Fakten.

Wäre man im ländlichen Österreich unterwegs, so fände man etwa eine Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen, die fern von renditegesteuerten Aktionärsbegehrlichkeiten ihre Arbeiter und Angestellten durch die diversen Krisen bringen müssen. Das ist großteils ziemlich unlustig, funktioniert nur, wenn Unternehmerinnen und Unternehmer ihrer Verantwortung gegenüber ihren Leuten und nicht ihren Aktionären gerecht werden und verlangt allen Beteiligten viel Kraft und Kooperationsvermögen ab.

Man fände des Weiteren mehr Stadt als Land, weil Österreichs Bevölkerung längst urbanisiert ist. Mehr als die Hälfte lebt mittlerweile in Städten. Landauf, landab sozusagen. Und dazwischen? Lauter Bäuerinnen und Bauern, aus deren Miedern und Krachledernen die selbst ernannte Stadtintelligenzija den aufsteigenden Gestank der (Zitat) „Blut-und-Boden-Mentalität“ zu wittern meint? Weit gefehlt. Vor 150 Jahren gehörten noch über 75 Prozent der Bevölkerung dem Bauernstand an. Heute sind es nicht einmal mehr fünf Prozent. 2010 waren, um genau zu sein, 420.805 Personen in Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, um 29 Prozent weniger als noch 1995. Österreich hat gemessen am BIP im Vergleich zum anderen EU-Ländern sogar einen unterdurchschnittlich kleinen Agrarsektor. Der ist allerdings – auch dank kräftiger EU-Fördermittel – einer der interessantesten nicht nur Europas, sondern gleich weltweit.

Denn aufgrund der meist schwierigen geografischen Situation und der entsprechenden Kleinteiligkeit der Landwirtschaft konnten sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend die behaupten, die sich spezialisiert haben: auf biologische Landwirtschaft und Sortenvielfalt etwa. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es klügere Bauern als hier. Rund die Hälfte der Betriebe ist klein bis mittelgroß. Das sind genau diejenigen, die den agrarischen Fortschritt vorantreiben.

Was das im Detail bedeutet, ist zugegebenermaßen für einen, der noch nie in seinem Leben Schaufel und Krampen in Händen hielt, zwischen hybrid und sortenfest nicht unterscheiden kann, sondern lediglich Mikrofon und Computertastatur bediente, schwer zu kapieren. Macht nichts, es muss ja nicht jeder alles können. Eine Tugend wäre jedoch erstrebenswert und einen Versuch wert: erst recherchieren, dann nachdenken, dann reden. Sonst muss man sich den Vorwurf dümmlicher Verhetzung gefallen lassen, und der wäre ziemlich unschön, nicht wahr?

FÜR DIE GARTENLAUBE

Nachlesen. Wie unreflektiertes Polemisieren geht, lässt sich etwa unter „FS-Misik“, Folge 345, auf www.derstandard.at betrachten. Wie wohlorganisierter, intelligenter Widerstand gegen agrarindustriellen Wahnsinn funktioniert, hat die Protestbewegung gegen die nunmehr gekippte Saatgutverordnung bewiesen: Die Hälfte der 800.000 Unterschriften dagegen kam aus Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2014)

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