Die Werkstatt des Gärtners

Der Salbei ist ein Stecklingsklassiker dieser Saison.
Der Salbei ist ein Stecklingsklassiker dieser Saison.Ute Woltron
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Stecklinge. Nicht nur im Frühling, sondern auch jetzt, in der späten Saison, können Experimentierfreudige der schönen Beschäftigung der Stecklingsvermehrung nachgehen – und wer noch kein Gartenlabor hat, sollte sofort eines anlegen.

In jedem vernünftigen Garten gibt es eine schattige, geschützte Ecke, die man als die Werkstätte des Gärtners bezeichnen könnte. Idealerweise befindet sich diese Stelle in unmittelbarer Nähe einer Gartenhütte, sodass alle Utensilien wohlsortiert in Reichweite sind: Töpfe, Sämereien, Bindfäden, Pikierhölzer, Erdsiebe, Beschriftungsstecker und so weiter. Im Frühling ist dieser Ort die Keimzelle für alles, was ausgesät und im Topf vorgezogen wird. Im Sommer wird hier umgetopft. Und auch in der späten Saison ist das Gartenlabor selbstverständlich noch in Betrieb. Denn jetzt können Stecklinge diverser Pflanzen geschnitten werden. Das funktioniert entweder im Frühjahr oder eben jetzt von Spätsommer bis Frühherbst am besten.

Rosmarin, Lavendel, Thymian und Salbei sind die Stecklingsklassiker dieser Saison, aber den Experimentierfreudigen unter uns fallen mit Sicherheit noch jede Menge anderer Pflanzen ein, deren Vermehrung zumindest einen Versuch wert ist. Welche auch immer – die Ableger sollten in einer Länge von etwa zehn bis 15 Zentimetern geschnitten werden. Das obere Ende ist noch weich, das untere bereits etwas verholzt. Man steckt die Abschnitte einfach in Töpfe mit leicht sandigem Substrat und überlässt sie bis in den Frühling im Gartenlabor sich selbst. Nicht alle werden austreiben, doch viele werden Wurzeln schlagen und als neue Pflanze auferstehen. Es ist zwar nicht zwingend notwendig, doch empfindlichere Stecklinge wachsen gegebenenfalls im Treibhausklima besser an. Das erzeugen beispielsweise übergestülpte abgeschnittene Kunststoffflaschen oder neckisch auf die Töpfe gesetzte Duschhauben.

Wer Lavendelstecklinge machen will, schneidet die Äste nicht, sondern reißt sie vielmehr von der Mutterpflanze ab. Aus irgendwelchen Gründen wurzeln sie auf diese Weise besser an. Den Lavendel können Sie auch gleich an Ort und Stelle in die Gartenerde versenken, er wird in den allermeisten Fällen überleben, schon im kommenden Jahr kräftig austreiben und wahrscheinlich bereits blühen.

Auch die verbündete Gärtnergemeinde freut sich immer über Ableger jeder Sorte und Art. Mit Sicherheit werden Sie im Gegenzug mit anderen Stecklingen beschenkt werden, denn wer einmal angefangen hat mit der Pflanzenvermehrung, der kann diese aufregende, gleichwohl mit der Tugend der Geduld verbundene Beschäftigung kaum noch lassen. Diesen Garten hier erreichten beispielsweise in den vergangenen Tagen von Gartenfexinnen und -fexen vermehrte Köstlichkeiten wie eine winterharte Fuchsie, eine duftende Plectranthus-Sorte, eine bereits im Frühjahr gesteckte Weinrebe, eine spezielle Himbeere sowie ein besonderer Holunder. Großartig. Mehr davon! Ich habe Rosenstecklinge und ein paar weitere Petitessen zu bieten.

Der Holunder lässt sich ebenfalls erstaunlich gut via Steckholz vermehren. Gemeint sind natürlich nicht die ordinären, gleichwohl hochgeschätzten Holler, die ohnehin an jeder Ecke wild aufgehen, sondern besondere Sorten, die nicht durch Samen vermehrt werden. Sollten Sie beispielsweise einen dieser hübschen zitronenduftenden Holunder mit fast schwarzem gefiederten Laub eignen: Hinausgehen, abschneiden, in die Erde stecken, im Frühling anderen damit eine Freude machen.


Wo Späne fliegen.
So ein Gartenlabor hat die Aura einer Werkstatt, wie sie früher mit völliger Selbstverständlichkeit zu jedem Haus dazugehörte: ein Ort, an dem Dinge repariert und hergestellt werden, wo Späne fliegen, wo Dreck gemacht wird. Wunderbar! Ein Arbeitsplatz, an dem das Werkzeug bereitliegt, wo der Mensch nicht nur mit dem Hirn, sondern auch mit seinen Händen arbeitet und mit dieser segensreichen Körper-Geist-Kombination im Lauf der Zeit und Griff für Griff seine Seele und seinen Leib wieder zusammennäht. So fühlt sich das jedenfalls an.

Sollten Sie also einen solchen Gartenplatz anlegen wollen, stecken Sie alle Liebe und Zuneigung zu Ihrem Garten und nicht zuletzt zu sich selbst in die Planung. Stellen Sie sich vor, wo Sie die Töpfe stapeln werden, welches Mobiliar Sie brauchen, ob Pflanztisch, kleine Stellage für die Zöglinge oder Ähnliches. Überlegen Sie, wo Sie die Erde aufbewahren wollen, in abgedeckten Maurerwannen etwa, was sich als extrem praktisch erwiesen hat. Möglicherweise gibt es auch einen kleinen, auf einfache Weise überdachten Bereich, wo Sie sitzen, die Pflanztöpfe und Ihre erdigen Hände betrachten, dem Regenpfeifer zuhören und vollkommen zufrieden sein können, wenn sich linder Sommerregen über das Land senkt.

Lexikon

Stecklingspflanzen.Jetzt, im Herbst, versuchen Sie vor allem die Vermehrung von winterharten verholzenden Pflanzen.

Treibhausklima. In vielen Fällen, wie gesagt, empfehlenswert, doch kontrollieren Sie die Feuchtigkeit ab und zu. Zu viel davon ist auch nicht gut: Fäulnisgefahr!

Maurerwanne. Das sind die langlebigen schwarzen Kunststoffwannen aus dem Baumarkt, in der Maurer den Mörtel anzurühren pflegen. Eine der praktischsten Erfindungen überhaupt, für unzählige Zwecke geeignet. Braucht für die Erdaufbewahrung natürlich eine Abdeckung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

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