Herbstliches Duften und Schuften

(c) Clemens Fabry
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Heuer, schwört die Nachbarin, werde die Diktatur der in der Wohnung zu überwinternden Pflanzen abgeschafft. Heuer werde es ein Ausmisten unter den Tropengeschöpfen geben. Heuer, das weiß ich, wird so sein wie immer.

Riechst du das?“, fragt der Sohn und nimmt im Garten Witterung auf wie ein Spürhund: „Es duftet nach Herbst.“ Es riecht nach Blättern und Feuchtigkeit, nach der Kühle, die in den Schatten hockt. Es riecht nach Äpfeln, Mostbirnen und Baumschwämmen, nach Herbstastern, Holzfeuer und nasser Erde. Es riecht nach lasch gewordenem Paradeiserlaub und ausgewachsenen Zucchinikeulen, nach Kürbissen, reifenden Quitten und abgefallenen Zwetschken, der Lieblingsspeise aller Wespen. Nach nassen Schuhen, Wanderjöppchen und Wollpullover. Kurzum: Es riecht nach Arbeit.

Die Nächte werden kalt, die Temperatur hat sich einmal schon gefährlich dem Gefrierpunkt genähert. Handlungsbedarf! Tropische Geschöpfe mögen keine Kälte. Wohin mit dem ganzen Zeug, das da draußen ab Mai in der Sommerfrische war? Die feuchte Witterung hat alles ins Kraut schießen lassen. Sogar die Olivenbäumchen sind über sich selbst gewissermaßen hinausgewachsen. Alle Jahre wieder stellt sich die Frage: Wie werde ich euch wohl über den Winter bringen, ihr Lieben?


Beheiztes Glashaus. In solchen Momenten hätte man gern einen solchen obszönen Luxus wie ein beheiztes Glashaus. Etwa so einen fantastischen Gusseisen/Glas-Dachaufbau wie in dem schon etwas gealterten Film „Green Card“, in dem die Blumenzüchterin Andie MacDowell wie ein Traummännlein durch einen verlassenen New Yorker Dachdschungel wandelt und sich seiner beglückt annimmt. Oder so eine begehrenswerte Spielwiese wie das zufälligerweise entdeckte Glashaus aus dem 19. Jahrhundert, das einst zum Herrenhaus eines Gewerkes gehörte: gut eineinhalb Meter tief in die Erde versenkt und mit geschwungenen Konstruktionen überdacht wie das Schönbrunner Palmenhaus, nur in entzückend handlicher Größe. Beheizt wurde es offensichtlich mit heute sintflutlich anmutenden Dampfröhren. Eine rostige, verlassene Schönheit vergangener Tage.

Gut, man wird ja noch träumen dürfen. Allein in der Zwischenzeit müssen die empfindlicheren unter den pflanzlichen Freigängern in Sicherheit gebracht werden, also in die Wohnung. Die Nachbarin steht vor derselben Aufgabe. Heuer, verkündet sie vollmundig und entschlussfest, werde sie nur ein Minimum dieses ganzen Grünzeugs überwintern, denn sie habe es satt, monatelang Slalom zwischen Blumentöpfen zu laufen. „Wie recht du hast“, bekräftige ich sie und beschließe, mich von allem, was nicht unbedingt gerettet werden muss, zu trennen. Eine gewisse Härte muss dem Gärtner zu eigen sein, sonst überwuchern ihn seine Geschöpfe.


Nichts weggeworfen. Genau 24 Stunden später laufe ich Slalom zwischen Kaffirlimette und Banane, Kardamom und Patchoulistrauch, Pfirsichsalbei und Zitronenmyrte, Elefantenfuß, Plectranthus, Christusdorn, Ingwerstauden, mittlerweile gewaltig dimensionierten Zimmerfarnen, explodiertem Pfefferblatt und zahllosen weiteren Petitessen. Bei flüchtiger Analyse wird nun klar, dass gar nichts weggeworfen werden konnte, weil man das ganz einfach nicht über das Herz brachte. Der Nachbarin wird es genauso ergehen, ich gehe jede Wette ein. Wir haben noch jedes Jahr, wenn es nach Herbst zu duften begann, denselben sinnlosen Dialog über unsere Zöglinge geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2014)

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