Raritäten: Blutblumen und Tränenbäume

Blutblume
Blutblume(c) Wikipedia
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Wer eine Zuneigung zu seltenen Zimmerpflanzen hegt, braucht Geduld. Manche von ihnen blühen erst nach ein paar Jahren – und dann kann das ein prachtvoller Blütenrausch oder eine stinkende Sensation sein.

Seit mindestens drei Jahren liegt uns die Nachbarin mit der Blutblume im Ohr. Die hat sie bei einer anderen Gartenhexe in voller Blüte gesehen und ist augenblicklich von ihr bezaubert gewesen. Die sonst eher wenig romantisch veranlagte Nachbarin ward dem noch nie zuvor begegneten Gewächs augenblicks verfallen. So als ob ihr Puck den Zaubersaft des Stiefmütterchens ins Auge geträufelt hätte, sprach sie damals eine Zeitlang überhaupt nur von der Blutblume.

Im Herbst würde sie einen Ableger bekommen, verkündete sie, das sei schon ausgemacht. Wir warteten gespannt, und es war dann doch eher ein trauriger Anblick, als die ersehnte und wiederholt so hoch gepriesene Nachwuchsblutblume eintraf. Sie stellte sich als gänzlich unaufregendes, ja eigentlich langweiliges Gewächs heraus. Dicke, ledrige Blätter leckten wie fette botanische Zungen über den Blumentopfrand. Wir sagten nichts. Wartet nur, beschwichtigte die Nachbarin, bis sie blüht. Ihr werdet euren Augen nicht trauen, so fantastisch wird das sein.

Unruhiges Warten auf ersehnte Blüten

Wir warteten. Das erste Jahr verstrich ohne Blüten. Die lang ersehnte Blutblume wurde wiederholt an verschiedene Stellen des Gartens gestellt, weil nicht bekannt war, ob sie lieber vollsonnig oder doch eher halbschattig stehen wollte. Doch kein Platz konnte die ersehnten Blüten hervorzaubern. Da sich die Tugend der Geduld im Busen der Nachbarin noch nie hatte einnisten können, wurde sie unruhig. Eine Stippvisite bei der Blutblumenspenderin ergab, dass dort die Mütter der Blutblumen in voller, selbstverständlich bezaubernder Blüte standen. Sie bekam weitere Ableger geschenkt, diesmal waren die Blätter schlanker, an den Rändern leicht gewellt, doch ebenso unscheinbar wie die des ersten Exemplars.

Die Blutblume, das ergaben die Recherchen, gehört der Familie der Amaryllisgewächse an und ist in Südafrika beheimatet. Es gibt mehrere Arten. Die dickblättrigen blühen weiß. Man nennt sie auch Elefantenohr. Die gewellt blättrigen blühen rot. So sie denn blühen, versteht sich. Als Zimmerpflanzen sieht man sie nicht oft, was der Vorliebe der Nachbarin für botanische Raritäten entgegenkommt. Sie unterhält mit den anderen Gartenhexen der Gegend einen regen Tauschhandel. Knollen, Ästchen und Sämereien wechseln regelmäßig die Besitzerinnen. Auf diese Weise kamen auch die sogenannten Tränenbäume zu ihr, die, wenn sie blühen, die ganze Gegend mit ihrem absonderlichen Gestank verpesten. Der größte von ihnen trieb heuer im Frühling einen gut 150 Zentimeter hohen dunkellila Blütenstand. Die eigenwillige Pflanze aus Südostasien gehört zur Familie der Aronstabgewächse, und angesichts der hoch aufgeschossenen Blüte mit dem alles überragenden fetten Schaft konnte ihr botanischer Name Amorphophallus konjac tadellos nachvollzogen werden.

Von Tränen und Teufelszungen

Interessanterweise nennen nur die Österreicher den Tränenbaum eben so. Andernorts heißt er Teufelszunge, was viel passender ist, denn genauso kann man sich den Pestilenzodem des Gottseibeiuns vorstellen. Diabolisch. Während also die Tränenbäume stinkend blühten und ihre Knollen in einem Ausmaß vermehrten, dass auch die weitere Umgebung damit beschenkt werden konnte, verharrten die Blutblumen in störrischer Unfruchtbarkeit. Die Winter verbrachten sie auf halbsonnigen Fensterbrettern. In den Sommern wanderten sie ins Freie. Der Traum von der Blüte wollte sich nicht einstellen, es war wie verhext. „Die tolle Jagd, sie macht mir weh und bange; Je mehr ich fleh, je minder ich erlange“, hätte die Nachbarin aus Shakespeares Sommernachtstraum zitieren können.

Spät, aber schön. Stattdessen begann sie vom Glauben an die Blutblumen abzufallen und ließ uns wissen, dass sie, wenn die Kretins nicht bald das ihnen innewohnende Versprechen erfüllten, diese noch in diesem Herbst zu entsorgen gedenke. Wie gesagt, das mit der Geduld ist eben nicht ihre Stärke. Dann erschien, gerade noch rechtzeitig, eine einzelne Blüte. Wir versammelten uns um sie, befanden sie als wunderschön, beruhigten die Nachbarin, meinten, weitere Blüten würden früher oder später auftauchen, man müsse dem nur mit Geduld und Gelassenheit entgegenblicken.

Ungeduld auf dem Fensterbrett

Die Blutblumen befinden sich also wieder in Sicherheit und auf dem Fensterbrett. Denn langsam werden auch wir ungeduldig und wollen das Wunder sehen. Nächsten Sommer, wenn's geht. Oft schlägt Erwartung fehl, und dann zumeist, wo sie gewissen Beistand verheißt; Und wird erfüllt, wo Hoffnung längst erkaltet, wo Glauben schwand und die Verzweiflung waltet.

Lexikon

Blutblumen. Der botanische Name der südafrikanischen Zwiebelpflanze lautet Haemanthus. Von den rund 22 dokumentierten Vertreterinnen stehen die meisten auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Vermehrung. Die Blutblume wird über Teilung oder Samen vermehrt. Sie wächst langsam, sollte selten umgetopft werden, denn darauf reagiert sie beleidigt, und will einen engen Topf mit wenig Substrat.

Pflege. Einfach! Nicht viel gießen. Nicht viel düngen. Hell und warm und nicht prallsonnig stellen. Sich in Geduld üben. Irgendwann beginnt sie zu blühen und die Warterei zahlt sich in der Tat aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

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