Mitbewohner: Spechte, Rehböcke und Schießgewehre

Universum ´Wiener W�lder - Gr�ne Juwele´
Universum ´Wiener W�lder - Gr�ne Juwele´(c) ORF (Georg Riha)
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Es ist nicht lustig, wenn der Specht die Vollwärmefassade zerlegt, doch muss man nicht gleich zum Gewehr greifen. Erstens erwischt man ihn sowieso kaum, zweitens könnte dadurch das Haus noch mehr Schaden nehmen.

Diverse Fertigkeiten, die heutzutage wenig gefragt sind, verdanke ich meinem Großvater selig. Ich kann zum Beispiel Rehböcke in der Brunftzeit bis auf wenige Meter anlocken. Dazu presst man Luft durch die geschlossenen Lippen, was jenes charakteristische Geräusch produziert, das man fiepen nennt. So rufen die Rehgeißen im Sommer ihre Männer herbei, und um als Mensch die brunftigen Böcke zu foppen, muss nicht einmal der Wind besonders günstig stehen.

Mein Großvater konnte in der Natur lesen wie andere in Büchern. Ganz selbstverständlich und nicht großstadtförstermäßig verklärt. Er kam aus einer anderen Zeit, und er ging, knapp bevor diese endgültig vorbei war. Er zeigte mir, wie klug die vorsichtigen Füchse die Fluchtröhren ihrer Baue angelegt hatten. Er wies auf den Eisvogel im Geäst der Trauerweide über den Fischteichen hin und auf die Ringelnatter unter dem Ufergestrüpp, die zu seinem Missvergnügen gerade eine seiner Forellen verschlang, was übrigens ewig lang dauerte. Er sah und bemerkte das alles, weil er eben wusste, dass man es sehen und bemerken konnte.

Gelegentlich ging er auf die Jagd und brachte Reh- und Hasenbraten heim. Ich mochte dieses in Wurzelwerk geschmurgelte Wild nie. Die Krauthappeln der Großmutter waren mir weit lieber, da waren wenigstens keine Schrotkörner drin, auf die man gelegentlich biss, wenn es Hasenbraten gab. In allem war er milde mit uns, nur in einem verstand er überhaupt keinen Spaß, und zwar im Umgang mit Gewehren. Immer entladen, immer sichern, den Lauf immer, und zwar immer, immer, immer nach oben oder nach unten richten – und niemals auch nur im Traum auf einen Menschen.


Peng! Peng! Bis heute könnte ich nicht einmal mit einer Spielzeugwaffe zum Spaß auf jemanden zielen, so in Fleisch und Blut sind diese Verhaltensregeln übergegangen. Als einmal ein Knirps in der Wiener U-Bahn mit seiner Plastikpistole auf mich zielte und „Peng! Peng!“ schrie, ließ ich mich zuckend auf den Boden fallen und tat, als ob ich verröchle. Erst war er fassungslos, dann begann er zu weinen. Seine Mutter war böse auf mich, es scherte mich ehrlich gesagt nicht. Ich toleriere auf mich gerichtete Waffen auch von Kindern nicht.

Spechte hingegen sind hoch erfreuliche Vögel, und sie zählten zu den Favoriten meines Großvaters. Wenn einer schackernd seinen Ruf erschallen ließ, sagte er: „Hörst du? Der Specht lacht.“ Dieser Tage lacht es oft im umliegenden Geäst. Viele Spechte sind hier. Buntspechte, Grünspechte, Blutspechte und manchmal sogar die großen Schwarzspechte.

Einer von ihnen, ein Buntspecht, hat zwischen all den Bäumen und Wäldern ausgerechnet der Nachbarn Hausfassade entdeckt. Die Wärmedämmung hat er mittlerweile bis auf das Holz durch. Er hämmert also auf einen riesigen Resonanzkasten, und das ist beeindruckend laut.

Die Fassadenverkleidungen der heutigen Zeit klingen für Spechte wie morsches Holz. Im Frühling wollen sie Nesthöhlen hacken, jetzt im Herbst sind sie wahrscheinlich auf Nahrungssuche. Die Nachbarn würden ein einzelnes Spechtloch ja tolerieren. Möglicherweise würden später auch die reizenden Kleiber kopfüber darin eintauchen und einziehen. Doch schaut es nicht so aus, als ob er innehalten wolle mit der Hackerei. Auf der Suche nach Lösungen, den Specht von seinem Tun abzuhalten, stieß man auf diverse Methoden, beispielsweise das Befestigen im Wind raschelnder Bänder rund um die Löcher. Doch sehr aussichtsreich scheint das alles nicht zu sein, außerdem müsste man das Haus rundherum mit Bändern schmücken wie einen amerikanischen Gebrauchtwagenhandel. Wahrscheinlich wird der Nachbar das Loch nur schließen und hoffen.

Auch die Verwandtschaft, die wir hier aus Gründen der Verschwiegenheit nicht näher definieren wollen, schlug sich einst mit einem Fassadenspecht herum. Dieser war so eifrig, dass der Besitzer des durchlöcherten Hauses der Geduld verlustig ging und den Specht zu eliminieren beschloss. Zu diesem Zweck saß er mit dem Flobert an. Der Specht bemerkte das und wurde vorsichtig. Sein Jäger zog sich zur Tarnung in das Haus zurück, hielt aber die Fenster geöffnet und die Flinte bereit. Der Gejagte zeigte sich nicht.

Der Specht im Baum. Mehrere Tage herrschte eine Art lauernder Pattstellung. Doch dann saß der Specht in einem unerwarteten Moment wieder im Baum vor dem Haus. Der Jäger schlich zur Flinte, legte an und schoss. Nur leider hatte er vergessen, was ihm dann blitzschnell klar wurde: Das Fenster war zwischenzeitlich wieder geschlossen worden. Der Specht entkam. Wahrscheinlich lacht er heute noch. Mein Großvater wäre von der Geschichte begeistert gewesen.

Lexikon

Stadtspechte. Wien hat eine der höchsten Specht-Dichten Europas. Die alten Eichen- und Buchenbestände im Wienerwald sind Nahrungsversorger und Brutplatz, wobei den Hackern so manche Vollwärmefassade als Nisthöhlenmaterial auch zupasskommt.

Buntspechte.
Insbesondere die schwarz-weiß-roten Buntspechte hämmern gerne an Fassaden im Häuserwald. In den Bruthöhlen nisten sich infolge auch Mauersegler, Star, Kleiber, Kauz und Spatz ein.

Vogelgemeinschaften.Eulen, Käuze und manch andere Höhlenbrüter sind von den Spechthöhlen abhängig, da sie selbst keine Bruthöhlen herstellen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2014)

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