Und in der Hand eine kleine Rose

Rose
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Irrgarten der Gefühle. Nach »Charlie Hebdo« gibt es kaum einen, der sich nicht inmitten widersprüchlicher Gefühle wiederfände. Es ist, als tappe man durch ein gefährliches Labyrinth, in dem man nur fehlgehen kann.

Als sich vergangenen Mittwoch die Nachrichten aus Paris in Windeseile rund um den Globus verbreiteten, setzten sich Karikaturisten aller Länder und Redaktionen spontan an ihre Zeichentische. In Tusche- und Pinselstrichen versuchten sie, Antwort zu finden auf das, was da geschehen war. Der Bleistift selbst wurde zu einem Symbol. Er wurde in den Cartoons zu einem Instrument des Widerstandes, zu einer Waffe gegen die Waffen, die jedoch selbstredend das genaue Gegenteil von Gewalt repräsentiert. Die Zeichnerinnen und Zeichner zeigten ihre Stifte zwar zerbrochen und zerschossen, doch als Werkzeuge, die nicht zerstört und umgebracht werden können, weil sie immer wieder aufs Neue angespitzt und verwendet werden müssen.

Nicht so Albert Uderzo (87), der große alte Mann der französischen Zeichnerszene. Er verzichtete auf Waffen jedweder Art. Stattdessen sandte er seine beiden berühmtesten Protagonisten, Asterix und Obelix, aus, um seinen toten Weggefährten und Freunden Tribut zu zollen. In schwarzen Graphitstrichen auf weißes Papier geworfen stehen sie da, in einer tiefen Verbeugung, den Gallierhelm in der linken Hand ans Herz gepresst. Und in der rechten Hand hält Asterix behutsam eine kleine Rose, die abzulegen er gerade im Begriff ist.

Uns, die wir mit den beiden Bewohnern des widerständigen gallischen Dorfes aufgewachsen sind, trifft die Geste mitten in Herz und Seele. Wir werden diese Zeichnung und die vielen Botschaften, die Uderzo darin verpackt hat, nicht mehr vergessen. Mitunter trifft die oft strapazierte Behauptung, ein Bild sage mehr als tausend Worte, tatsächlich zu.

Kaum einer, der sich in diesen Tagen nicht in einem Irrgarten widersprüchlicher Gefühle wiederfände. Entsprechend vorsichtig tappe ich heute durch diese Kolumne wie durch ein Labyrinth aus Blumen und Dornenhecken. Hinter jeder Weggabelung lauert eine Sackgasse, mit jedem Satz kann man in die Irre gehen, mit jedem Wort ungewollt ein Blümchen zertrampeln. Selbst Sätze, die nicht geschrieben werden, können Irrtümer erzeugen und bösartige Gedankengewächse säen. Die kleine Rose in der Hand des Asterix hingegen ist eine klare Botschaft ohne Häme und voll Trauer.

Als die chinesische Demokratiebewegung vor 25 Jahren in Peking mit Militärgewalt niedergeschlagen wurde, ging ebenfalls, neben vielen anderen, ein Bild um die Welt, das nie mehr vergessen werden kann. Es zeigt einen schmalen Mann in schwarzer Hose und weißem Hemd. Er trägt in jeder Hand eine Einkaufstasche. Seine Schultern sind von deren und von noch ganz anderem Gewicht weit hinuntergezogen, und er steht ganz still da. Er steht gewissermaßen Auge in Auge mit einer sich im Bildhintergrund verlierenden Kolonne von Panzern, die er, ausschließlich mit seinem Mut, seiner Überzeugung und mit seinen beiden Einkaufstaschen bewaffnet, zum Stillstand gebracht hat, während rundherum Schüsse fallen.

So wie der Gallier Asterix seine Rose, so legen nun viele Menschen Blumen vor französischen Botschaften ab. Andere rufen zur Vergeltung auf. Währenddessen erreichen uns immer neue Nachrichten, es hört nicht mehr auf. 2000 Tote in Nigeria, die islamistische Terrorgruppe Boko Haram wird für das Massaker verantwortlich gemacht. Im Mittelmeer sterben täglich Menschen. Europa schlingert in gefährlichen Wassern auf die verschiedensten Untiefen zu: auf dumme rechtspopulistische Radikalisierung genau so wie auf das ebenso dumme vorauseilende Vertrauen darauf, dass von selbst alles wieder gut wird. Es kocht und brodelt an allen Ecken und Enden. Die Erde, zu diesem Schluss kam der polnische Essayist und Journalist Ryszard Kapuściński nach vier Jahrzehnten des Reisens und Schreibens, ist ein gewalttätiges Paradies.


Götter, Waffen, Gemetzel. „Wir sind in einem Krieg gegen den Terrorismus“, lässt Frankreichs Premier, Manuel Valls, die Welt wissen. Ob wir den wollen oder nicht, steht längst nicht mehr zur Debatte, wir sind mittendrin, auch wenn uns Götter jedweder Provenienz die längste Zeit egal gewesen sein mögen, weil wir an ihrer fragwürdigen Existenz zweifeln und mittlerweile das Wort Gott eigentlich nicht mehr hören können.

Der französische Romancier und Erfinder des nicht heldenhaften, sondern einfach durchschnittlichen Hauptdarstellers in der europäischen Literatur, Gustave Flaubert, kommt einem in den Sinn. Er gedachte bereits seinerzeit in einem Brief sehnsuchtsvoll jener seligen, gleichwohl flüchtigen Epoche, als die alten Götter tot und die neuen noch nicht erfunden waren: „Da es die Götter nicht mehr und Christus noch nicht gab, bestand von Cicero bis Marc Aurel ein einzigartiger Augenblick, in dem allein der Mensch war.“ Was für ein schöner Traum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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