Es muss nicht immer Gurke sein

Orchidee im Gurkenglas
Orchidee im Gurkenglas(c) Ute Woltron
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Zimmergarten. Wie eine Orchidee, die unter anderen Umständen wahrscheinlich alsbald das Zeitliche gesegnet hätte, zwei Jahre ohne jedwedes Zutun nicht nur überlebte, sondern prächtig gedieh.

Es gibt Leute, die bringen jede Pflanze um. Sie tun das nicht absichtlich, es passiert ihnen einfach. Ich kenne ein paar von ihnen. Gelegentliche Versuche, diese schwarzen Daumen mit pflegeleichten Mitbringseln anzufeuern und zu missionieren, scheitern. Unter ihren Händen welken selbst robuste Pflanzen, wie die unter anderen Umständen so gut wie unsterbliche Grünlilie und das genügsame Spatiphyllum. Manchen, und ich weiß, dass sie das wahrhaftig bekümmert, gelingt es sogar, Kakteen verdursten zu lassen. Und das ist wirklich eine Leistung.

Wer Zimmerpflanzen nicht schätzt, den mag das Thema nicht scheren. Doch gibt es auch solche, die würden gern das eine oder andere Grünzeug hegen, bringen es aber einfach nicht über die Runden – und für sie ist die heutige Geschichte gedacht, zumindest im Sinn einer aufmunternden Anregung. Denn ich offenbare hiermit den absolut zufriedenstellenden Ausgang eines mehrjährigen Experiments, das einfach nachzuahmen ist, und das auch jene Leute mit Pflanzen versorgen könnte, die sich überhaupt nicht um sie kümmern wollen oder können.

Sie brauchen dafür nur wenig: Ein großes, verschließbares und möglichst schönes Glasgefäß mit breitem Rand und einem Füllvolumen von mindestens fünf Litern. Ein paar Handvoll feinen Blähton, unter den Markennamen Leca oder Seramis bekannt. Eine Pflanze, der Luftfeuchtigkeit behagt, die jedoch ungern zu nasse Wurzeln hat – also zum Beispiel eine Orchidee.

Wie im Tropenwald

Ich besitze eine solche, sie treibt seit zwei Jahren mit minimalen Unterbrechungen eine Blüte nach der anderen. Die Kleine wird nie gegossen und nie gedüngt. Sie gedeiht trotzdem hervorragend, denn sie befindet sich in einem stattlichen, uralten Gurkenglas, in dem das verdunstende Wasser wieder auf sie herabregnet, wie im Tropenwald, und eine Art innerer Kreislauf die Pflanzenpflege übernommen hat. In der freien Wildbahn meiner Wohnung würde diese Orchidee niemals so gut gedeihen, das darf ich behaupten, denn ich habe experimentelle Vergleiche angestellt.

So ein Prachtstück von einem Gurkenglas ist natürlich der Schlüssel zum Erfolg, und nur durch glückliche Umstände kam ich zu ihm, und zwar so: Die in vielerlei Hinsicht talentierte Gartenhexe Hannah B. hatte Wind davon bekommen, dass ein Nonnenkloster aufgelassen werden solle. Es handelte sich um ein solches, in dem man seit vermutlich mehreren hundert Jahren das Obst aus dem Klostergarten auf hölzernen und ideal dimensionierten Obstregalen in feuchtkühlen Kellerschluchten lagerte, man für hungrige Klosterschülerinnen Sorge trug, dementsprechend Vorräte hortete, auch Gurken in ebensolche Gläser zum Wintervorrat schichtete und mit höchstwahrscheinlich von Nonnenhand vergorenem Essig übergoss.

Hannah B. hatte es eigentlich nur auf die ausrangierten Obstregale abgesehen, denn solche sind heute so gut wie nicht aufzutreiben, und wenn, dann sind sie entweder fernab von Nut und Feder wackelig, schlimmstenfalls aus Plastik, oder sie sind unbezahlbar.

Neben diesen Regalen standen aber auch noch verstaubte Einmachgläser herum. Die größten gut 30 Zentimeter hoch und 17 Zentimeter im Durchmesser. Sie würden demnächst weggeworfen, hieß es. Wer gärtnert und seinen Garten auch einkocht, den versetzt die Ankündigung einer solchen Barbarei in Schmerz. Deshalb rettete Hannah B., was zu retten war – und ich durfte glückliche Nutznießerin dieser Aktion werden, denn freigebig ist sie außerdem.

Wardian Case

Eines meiner neuen alten Gläser musste für besagtes Experiment herhalten. Denn die Idee des Wardian Case – jener Glasboxkonstruktion, mit der man seinerzeit exotische Pflanzenkostbarkeiten unbeschadet monatelang über die Weltmeere schipperte – war immer schon eine Faszination. Wenn Sie es ausprobieren wollen, gehen Sie folgendermaßen vor: Finden Sie ein ähnliches Glas. Es gibt sie neu heute nur noch mit Bügelverschluss, aber vielleicht finden Sie ja eine elegantere Variante. Füllen Sie einen halben Zentimeter feinen Blähton ein. Sodann versenken Sie die vom Topf befreite Pflanze samt Substrat im Glas und füllen die Ränder mit Blähton auf. Schließlich gießen Sie eine nur wenige Fingerhut voll entsprechende Menge Regenwasser darauf und schließen Sie das Glas. Meines kommt ohne Gummidichtung aus, also kann man diese eventuell entfernen.

Der ideale Standort ist sehr hell, doch nicht sonnig. Wenn die Glasinnenwand zu sehr beschlägt, ist zu viel Wasser im System. Dann muss der Deckel runter und die Angelegenheit für ein, zwei Tage austrocknen. Alle paar Monate kann man mit einem am Stäbchen befestigten Schwamm Fensterputzen, doch sonst bedarf das System keiner Pflege. Ein Traum, oder?

Lexikon

Wardian Case. Das ist ein geschlossener Glascontainer, in dem man im 19. Jahrhundert exotische Tropenpflanzen, wie Orchideen, nach Europa zu Sammlern transportiert hat.

Nathaniel Ward.Londoner Arzt (1791–1868), der eigentlich die Schmetterlingsmetamorphose in einem Flaschengarten beobachtete und dem dabei das langjährige Überleben von Farnen ohne Zutun auffiel.

Farne. Auch sie sind insbesondere tauglich für das große Glas, so wie alle kleinwüchsigen, Luftfeuchte liebenden Pflanzen. Einfach ausprobieren!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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