Spinnwebenbilder am Strauch

Gespinstmottenraupen, die man derzeit vielerorts beobachten kann, sind unschädlich.
Gespinstmottenraupen, die man derzeit vielerorts beobachten kann, sind unschädlich.Ute Woltron
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Gespinstmotten. Im Vergleich zu den Buchsbaumzünslern sind die derzeit in Massen zu beobachtenden Gespinstmottenraupen eine liebliche, unschädliche und flüchtige Erscheinung.

Neulich bog einer der etwas entfernter hausenden Nachbarn oben auf dem Feldweg rasant mit einer übervollen Scheibtruhe um die Ecke. Er war rotgesichtig und außer Atem, die Scheibtruhe getürmt voll mit den Resten eines von ihm eben vernichteten Pfaffenhütchens, auch Spindelstrauch genannt. Die abgeschnittenen Äste sahen in der Tat verdächtig aus, sie waren entlaubt, dafür mit einem dichten Gespinst spinnwebenartiger Gebilde überzogen.

Eine neue Pest sei über uns gekommen, meinte der Mann entsetzt. Er sei auf dem Weg, diese dem Feuer zu übergeben und zu liquidieren. Zum Ärgernis des Buchsbaumzünslers sei jetzt auch noch eine weitere unerklärliche und ausgesprochen unappetitliche Plage über unsere Gärten hereingebrochen. Er schneide jetzt all die übersponnenen Pflanzen ab, sicher sei sicher.

Harmlose Tiere

Wer dieser Tage ähnliche Beobachtungen an Sträuchern anstellt, darf sich wieder entspannen und Säge und Astschere in der Gartenhütte belassen. Im Vergleich zum Buchsbaumzünsler sind die zahlreichen Vertreterinnen der Gespinstmotte – denn um diese handelt es sich hier – harmlose Tiere. Heuer scheint nach Langem wieder ein Jahr angebrochen zu sein, in der diese Schmetterlingsraupen zumindest in manchen Gegenden in großer Zahl auftreten und ganze Wegrandbepflanzungen einspinnen. Der Anblick erinnert schon ein wenig an Gruselfilme, in denen jahrhundertelang nicht betretene Dachböden oder Kellerhöhlen eine gewisse Rolle spielen.

So ist derzeit etwa am Wiener Donaukanal streckenweise ein Gespinstmottenparadies entstanden, das wahrlich beeindruckende Ausmaße angenommen hat. Ebenso stark ist der Befall im südlichen Niederösterreich und wahrscheinlich auch anderswo. Die Raupen hüllen sich, wie der Name bereits verrät, in dichte Gespinste, worin sie geschützt sind und sich zu Hunderten am jungen Blattwerk des jeweils befallenen Gewächses laben.

Eine Generation pro Jahr

Im Ernstfall werden ganze Sträucher kahl gefressen. Die sehen dann zwar aus, als ob sie das Zeitliche gesegnet hätten, dem ist jedoch nicht so. Sobald sich die Raupen verpuppt haben, was bald der Fall sein wird, regeneriert sich der Strauch, treibt neue Blätter und überlebt. Da die Gespinstmotte im Gegensatz zum allseits verhassten Zünsler, der bis in den August hinein wiederholt am Buchs nagt, nur eine Generation pro Jahr ausbildet, können sich die Pflanzen regenerieren.

Es gibt die verschiedensten Gespinstmottenarten. Etwa 900 sind es weltweit, 74 davon kommen in unseren Breiten vor, und ihre bevorzugten Wirtspflanzen sind das besagte Pfaffenkapperl sowie der Schlehdorn. Allerdings werden auch Apfelbäume, Zwetschkenbäume und verschiedene Dorne befallen, dies jedoch in geringerer Intensität. Nichtsdestotrotz sieht man die eingesponnenen Räupchen im Obstbaum doch recht ungern. Man kann sie abklauben oder befallene Äste ausschneiden. Wer geduldig ist, spritzt direkt in die Gespinste Präparate mit Bazillus thuringiensis hinein, da durch die Fäden nichts eindringen kann, doch das ist eigentlich überflüssig. Abklauben geht viel schneller.

Einer, der sich über das Gespinstmottenaufkommen der Saison außerordentlich gefreut hätte, war ein gewisser Elias Prunner, wohnhaft in Tirol und seines Zeichens Maler. Er erfand im 18. Jahrhundert die sogenannte Spinnwebenmalerei, indem er die Gespinste besagter Motten abschnitt, präparierte und mit Aquarellfarben bemalte. Maria Theresia war eine begeisterte Abnehmerin seiner Miniaturbilder auf dem so zarten und vergänglichen Malgrund.

Malen für Vergänglichkeit

Prunner gründete mit seinen Experimenten eine räumlich auf Tirol, Südtirol und Salzburg begrenzte Kunstform, die sich einige Zeit großer Beliebtheit erfreute, von der jedoch nur ganz wenige Exponate erhalten blieben, denn wer auf Gespinstmottenweben malt, malt für die Vergänglichkeit. Von Prunner selbst sind wahrscheinlich keine Seidengemälde erhalten, wohl aber einige wenige von seinen Nachfolgern, allen voran Johann Burgmann.

Tatsächlich kann man die feinen Fädengespinste als eine Art Seide betrachten, denn nichts anderes produzieren ja auch die Seidenraupen. Seien Sie also milde gestimmt den Motten gegenüber. Sie sind eine flüchtige Erscheinung, auch wenn sie jetzt im Moment stellenweise landschaftsprägend sein können. Sie verschwinden bald. Neue Blätter kommen. Das Leben in Sträuchern und auf den Fluren geht weiter.

Gespinstmotte. Weiße, schwarz getüpfelte Schmetterlinge mit einer Flügelspannweite von 15 bis 25 mm, die ihre Eier in die Rinde von Sträuchern legen. Die Raupen treten in Massen auf, spinnen sich ein und verspeisen Knospen, junge Blätter und Blüten.

Lieblingsspeisen. Jede Mottenart bevorzugt bestimmte Nahrungspflanzen. Beliebt sind neben Pfaffenhütchen und Schlehen auch Apfel- und Pflaumenbäume, Traubenkirschen, Weiß- und Rotdorne, Faulbäume sowie Weiden.

Spinnwebenbilder. Sie wurden, als sie in Mode waren, kaum je auf Spinnweben, sondern meist auf Gespinstmottengespinsten gemalt, bevorzugt mit Aquarellfarben. Es gibt jedoch auch Kupferstiche und Ölgemälde auf diesem filigranen Malgrund.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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