Wer nichts pflanzt, kann nichts ernten

Die kleinen Früchte der Felsenbirnen sind bald für die Ernte bereit.
Die kleinen Früchte der Felsenbirnen sind bald für die Ernte bereit.Ute Woltron
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Felsenbirne. Wie alle Obstgehölze belohnt die weitgehend unbekannte Felsenbirne diejenigen, die sich der Mühe unterziehen, sie zu pflanzen, mit reicher Ernte. Wer seinen Obsthain nicht bestellt, ist auf mildtätige Gaben angewiesen.

Neulich legte Daniel Gros, Leiter des Brüsseler Zentrums für Europäische Politikstudien, im Ö1-„Morgenjournal“ einen erfreulich einfachen, doch offenbar in Vergessenheit zu geraten drohenden wirtschaftlichen Zusammenhang dar. Man könne, so sprach der Ökonom, nur das Geld ausgeben, das man auch einnehme. Diese Meinung teilen jedoch bekanntlich nicht alle, was empfindliche Diskussionen nach sich ziehen kann, wie die europäische Finanzpolitik derzeit schmerzlich veranschaulicht.

Georg Kreisler hatte bereits 1966 in seiner „nicht arischen Arie“ mit dem Titel „Der Kompagnon“ – einer Art lyrischer Dichtung zum Thema Kleiderhandel ohne Eigenkapital – eine Lösung für das Dilemma parat, indem er sang: „Ich hab' gleich die War' bestellt, ich hab' zwar gar ka Geld, aber was macht das schon? Zahlt der Kompagnon! Ich nehm' Hosen, Rock und Schuh, Mantel, Hemden auch dazu, Rechnung für die Transaktion kriegt der Kompagnon. Doch man muss die Arbeit schön halbieren. Ich werd' übernehmen das Kassieren.“

Auf die Dauer geht sich das freilich selbst bei Kreisler nicht aus. Wie schön also, wenn der Mensch in seinem Garten nicht nur er selbst, sondern auch gleich sein eigener Kompagnon sein darf und wenigstens hier die Dinge halbwegs im Griff hat. Das spart Zerwürfnis und ärgernisbedingte Magengeschwüre, denn sie kriegt sowieso, wer beim Unkrautjäten und Paradeiseraufbinden ein Kofferradio mit sich führt und zur jeweils vollen Stunde die geballte Zusammenfassung der bombastischen Pleiten nationalen und internationalen Formats über die Gehörgänge in die Seele eingetrichtert bekommt.

Wenigstens die Ribiseln erröten. Das ist viel wert. Die Investition, sie einzugraben, zu schneiden, zu düngen und zu gießen, hat sich gelohnt. Sie werfen Rendite ab. Man muss sie jedoch auch pflücken, säubern, einkochen. Erst dann darf sich der Mensch zurücklehnen und sagen: „So ist es gut, und nun wird geruht.“ Wer nichts sät, wird nichts ernten. Wer anbaut und pflanzt, wird dafür belohnt und darf Marmelade schlecken. Eine solche Herangehensweise an die Dinge des Lebens trägt heutzutage jedoch im Großen wie im Kleinen bereits den Hautgout des Reaktionären, was mir persönlich angesichts der bevorstehenden Ernten aller Art herzlich egal, ja nachgerade powidl ist.

Neben den Ribiseln reifen derzeit beispielsweise gerade bei denen, die vor Zeiten welche eingegraben haben, die Kirschen, aber auch weitgehend unbekannte Seltenheiten wie die kleinen Früchte der Felsenbirnen sind jetzt langsam zum Pflücken bereit. Die sind fast in Vergessenheit geraten, und bei manchen Gärtnern wachsen sie sogar, ohne dass sie das wissen. Am Rand eines prächtigen Stadtgartens der näheren Umgebung wurde beispielsweise jüngst eine gewaltige, weite Bereiche des Areals verdunkelnde Eibe gefällt, woraufhin ein Aufatmen durch die Nachbarschaft ging. Dahinter entdeckten die Gartenbesitzer außerdem ein offenbar jahrelang zwischen Mauer und Eibe verstecktes, dennoch über und über mit kleinen dunkellila Früchten behängtes Bäumchen.

Die vormaligen Eibenbesitzer wussten zwar anfangs nicht, was sie da freigelegt hatten, eilten jedoch, sobald es klar war, dass es sich um eine Felsenbirne handelte, erfreut mit Körben herbei und begannen die beerenartigen Früchte zu ernten. Der befreite Baum ist ein zierlicher Anblick. Ein Vögelchen muss sich einst im Fluge erleichtert und ihn gesät haben, denn Vögel lieben die Felsenbirnen, weshalb sich beeilen muss, wer reife Felsenbirnen ernten will.

Elegant und luftig.

Felsenbirnen haben neben der angenehmen Eigenschaft, ohne viel Zutun recht schmackhafte und angeblich besonders gesunde Früchte zu spendieren, noch weitere Vorzüge. Ihr Wuchs ist elegant und luftig. Die Bäume werden nicht sonderlich groß und lassen sich widerspruchslos zurück- oder in Form schneiden. Im Frühjahr blühen sie reich und duftend in schönen weißen Sternen, die von Insekten sonder Zahl besucht werden. Im Herbst färbt sich das Laub in spielerischen Übergängen von Gelb zu einem der interessantesten Herbst-Purpurrot-Töne, was jedem Garten zur Zierde gereicht.

An den Standort stellt die Felsenbirne, von der es übrigens mehrere Sorten gibt, geringe Ansprüche. Sie gedeiht vollsonnig oder halbschattig, verträgt Phasen der Trockenheit recht gut und wächst erstaunlich schnell. Kurzum: Felsenbirnen sind eine lohnende und langfristig sinnvolle Investition – wie eigentlich alle Obstgehölze. Wenn die Ernte reich ist, darf sie auch mit beiden Händen verschenkt werden, und das ist nicht der schlechteste Teil der Angelegenheit. Hat man sich um seine Bäume allerdings nicht gekümmert, wird auch für die anderen nicht viel zu holen sein.

Lexikon

Felsenbirne.
Amelanchier lautet der wissenschaftliche Name des Baumes. Die aus Frankreich übernommene Bezeichnung ist angeblich keltischen Ursprungs und bedeutet, die Form der Früchte benennend, „Äpfelchen“.

Früchte. Sie sind zentimeterklein, je nach Sorte bläulich oder dunkellila bis knallrot und, laut einschlägiger Literatur, prall gefüllt mit gesunden Stoffen und Vitaminen, insbesondere mit Flavonoiden.

Marmelade. Interessanterweise schmecken die verkochten Früchte im Gegensatz zu den rohen leicht marzipanartig und liefern somit beispielsweise eine ausgesprochen gute Marmelade.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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