Altern und Vergehen

Weiße Ribiseln halten nicht so lange, wie man denkt.
Weiße Ribiseln halten nicht so lange, wie man denkt.Ute Woltron
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Auch Pflanzen haben, salopp formuliert, ein Ablaufdatum. Manche von ihnen überleben uns locker, die meisten von ihnen aber nicht, was man selten bedenkt, wenn man einen Garten anlegt.

Das Alter, so meinte der irische Schriftsteller George Bernard Shaw, habe zwei große Vorteile: „Die Zähne tun nicht mehr weh, und man hört nicht mehr all das dumme Zeug, das ringsum gesagt wird.“ Meinem Großvater ging es ganz ähnlich. Der schwor nach Jahren dentaler Pein auf die fast unverwüstliche Verlässlichkeit seiner vollkommen schmerzunempfindlichen dritten Zähne, die er zum Leidwesen seines Zahnarztes auch gerne als Werkzeug einzusetzen pflegte. Was sein zunehmend unempfindliches Gehör anlangte, so bekannte er, einzig und allein den Gesang zirpender Grillen zu vermissen. In manch lauer Sommernacht frage er seine Ehefrau, also meine Oma: „Zirpen sie?“ Und wenn sie bejahe, fühle er sich alt.

Das erzählte er mir, während wir einen seiner zahlreichen Obstbäume pflanzten, möglicherweise eine Birne, und da das alles doch schon ein paar Jahre zurückliegt, kommen auch diese Bäume langsam ins Alter. Darüber denkt kaum einer nach: das Alter der Pflanzen und das, was unweigerlich irgendwann einmal der Fall sein wird, ihr Sterben. Man nimmt gedankenlos an, all das, was man an Bäumen und Sträuchern im Laufe der Zeit einsetzt, würde ewig leben. Doch das ist ganz falsch, denn alles hat seine Zeit und im Falle der Pflanzen so wie auch bei uns ein biologisches Ablaufdatum.

Dabei ist es erstaunlich schwierig, die tatsächliche Lebenserwartung der diversen Zier- und Nutzpflanzen herauszufinden, denn die scheint kaum jemandem gründlichere Recherche und Forschungsarbeit wert. Besagter Birnbaum hat jedoch sicher noch ein paar Jahrzehnte vor sich, denn die Lebenserwartung eines wurzelechten, also aus einem Kern aufgegangenen Baumes beträgt optimistischen Schätzungen zufolge doch an die 150 Jahre. Bei veredeltem Obst, so die Fachliteratur, ist die Lebensspanne allerdings deutlich geringer.

Für Apfelbäume konnte eine Altersannahme von etwa 80 bis 100 Jahren nachgelesen werden. Kirschbäume dürften mit um die 60 Jahre angeblich nicht wirklich besonders lange leben, was zumindest unser betagter, beklagenswerterweise von uns gegangener Knorpelkirschen-Kindheits-Traum unter Beweis stellte. Pflaumen- und Zwetschkenbäume hingegen sind vergleichsweise robuster, sie werden an die 100, vergreisen allerdings gerne schon vorher, wenn sie nicht unter der Obhut eines des Obstbaumschnittes Kundigen stehen. Als wahre Jünglinge gehen hingegen Weichselbäume von uns. Die werden überhaupt nur 30 bis 50 Jahre alt. All diese Angaben sind natürlich nur ungefähre Richtwerte, und die tatsächliche Lebensspanne hängt von Standort, Pflege, Witterungsbedingungen, Bodenqualität und vielem anderen mehr ab.

Rote Ribiseln altern rasch

Diese Frage des Alterns und Vergehens ist insgesamt aber nicht uninteressant und betrifft, wie gesagt, alle Gartenmenschen, Obst- und Staudengärtner gleichermaßen. So wird beispielsweise die Liebhaberinnen und Liebhaber des Beerenobstes interessieren, dass Rote Ribiseln und Schwarze Johannisbeeren erstaunlich rasch altern, und die gerne in von Großeltern geerbten Gemüsegärten dahinvegetierenden Ribiselstauden nicht aufgrund der eigenen schlechten Pflege schwächeln, sondern aus Gründen methusalemischen Alters.

Von diesen oft liebgewonnenen Sträuchern sollte man sich also nach rund einem Dutzend Jahren trennen, denn viel älter werden die nicht. Auch wenn sie zeitlebens hingebungsvoll verjüngt und fachgerecht gestutzt wurden: Nach spätestens zwölf Jahren tragen sie vergleichsweise nur noch spärlich. Reißen Sie sich also los von ihnen, nutzen Sie die Chance, pflanzen Sie neue, wählen Sie aus der Vielfalt dieser herrlichen modernen Züchtungen und begeben Sie sich in die nächste Zwölf-Jahres-Liebesbeziehung mit einem jugendlich frischen Strauch.

Möglicherweise zählen auch Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, zu denjenigen, die sich immer noch nicht von ihren ins Alter gekommenen und deshalb unweigerlich besenartig entarteten Lavendelstauden trennen können. Nach neun Jahren, so sagt man, solle man den Lavendel verjüngen und die alten Stauden ausreißen. Fassen Sie sich im Herbst also auch an dieser Stelle ein Herz, reißen – nicht schneiden! – Sie aus dem alten Holz Zweige aus und stecken Sie die einfach in die Erde. Die Stammpflanze darf den Weg alles Irdischen gehen, die Stecklinge werden fast alle anwurzeln und neu austreiben.

Junge Mitbewohner

„Das größte Übel der heutigen Jugend besteht darin, dass man nicht mehr dazugehört“, sagte der spanische Maler Salvador Dalí. Auch aus diesem Grund ist das Gärtnern Labsal. Wenn schon nicht einen selbst, so kann man doch seine botanischen Mitbewohner ständig verjüngen und sich an den Früchten laben.

Lexikon

Kurzlebig. Mit etwa sechs Jahren Lebenszeit werden etwa Stockrose, Lupine, Heidenelke, Margerite und Kokardenblume nicht alt.

Langlebig, das sind etwa der Phlox, Glattblatt- und Staudenaster, Maiglöckchen, Schneeglöckchen und Veilchen, die im Schnitt 50 Jahre erreichen.

Steinalt. Überleben werden uns Pfingstrosen, Narzissen und Kaiserkronen, denn diese werden gut und gerne alle 80 Jahre alt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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