Und über allem die Kardonen

Die Kardonen sind mit der Artischocke verwandt.
Die Kardonen sind mit der Artischocke verwandt. Ute Woltron
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Hochsommer. Es braucht nur ein paar pflanzliche Strawanzer und Wucheranten sowie einen faulen Gärtner, und die Kombination bringt hurtig eine reizende Form der Anarchie im Staudenbeet zum Blühen.

Erst in der Phase der Abkühlung nach der langen Hitze betrat ich erstmals wieder meinen Garten auch abseits der paar ausgetrampelten Pfade. Ich fand ihn in seinen entlegeneren Teilen im Zustand fortgeschrittener Anarchie vor, angesichts der Blütenvielfalt konnte man davon ausgehen, dass er dennoch bei offensichtlich bester Laune war.

Die gut über zwei Meter hoch aufgeschossenen Kardonen begrüßten mich schon von der Weite mit hübschen, azurblau nickenden Riesenblüten. Der Garten – er hatte mich nicht vermisst. Er hatte die mehrwöchige Absenz mit einer fast ans Schamlose grenzenden Vermehrungsfreude genutzt und die Anarchie ausgerufen. Vormals recht gut gepflegte Zonen waren nicht wiederzuerkennen, weil Schnellwüchsiges das Kleingewachsenere übervorteilt hatte. Der Kaukasische Gamander etwa hatte die Phase des Unbeobachtetseins dazu genutzt, hoch aufzuschießen und sich rund um sein Zentrum so über andere Pflanzen zu legen, dass sie weder Luft noch Licht bekamen.

Mehrere früher gut gemulchte und deshalb unkrautfreie Pfade waren von umtriebigen Selbstaussäern wie der Spornblume erobert und unpassierbar, sodass etwa die Gegend, in der die Aroniabüsche stehen, derzeit lediglich über eine grob geschlichtete Natursteinböschung erreichbar ist. Um diese hinaufzuklettern, braucht man das Gleichgewichtsgefühl einer Bergziege.

Trotz Hitze und Dürre ist also überraschend hurtig ein an die Vegetation des Regenwaldes gemahnendes Dickicht entstanden. Bilder von Angkor Wat, Tikal und anderen überwucherten Städten steigen auf. Magische Orte übrigens, insbesondere in jenen Zonen, die noch nicht freigelegt wurden – und wo die Wurzeln gigantischer Gewächse die menschgemachten Steine umschlungen halten wie gordisches Flechtwerk. Die Natur gewinnt alles ihr Abgerungene binnen eines Wimpernschlags in der Geschichte zurück, es ist fantastisch anzuschauen.

Doch zurück in den Garten, wo es nicht ganz so ausarten darf: In den sonnigen Zonen ringen Dahlien, Ehrenpreis, Sonnenhüte, Phloxe, Herzgespann und Salvien wacker miteinander und bilden ein wogendes Ganzes. In den schattigeren Niederungen blühen jetzt gerade flächendeckend Lerchensporn, Nesselkönig, Ligularien und über allem die hohen Silberkerzen.

Reizvolle Kombinationen

Nichtsdestoweniger wird ein bisschen aufgeräumt, gemulcht und ausgerissen, was im Weg ist, denn es gibt recht viele gärtnerische Strawanzer unter den Staudenpflanzen, die sich Ende Juli, Anfang August bemerkbar machen. Einer der frechsten ist die Nachtviole. Ihre Samen reifen ewig lang in schotenartigen Büscheln vor sich hin, um schließlich von den aufplatzenden Hüllen weit umherkatapultiert zu werden und in Windeseile zu keimen. Andere Sämereien, zum Beispiel jene vom Lungenkraut, werden von Ameisen vertragen. Der Rest vom Wind, von Vögeln oder durch reinen Zufall.

Ganz oft, das finde ich jedenfalls, bilden wild aufgegangene Staudenpflanzen reizvolle Kombinationen, die man getrost belassen und als Inspiration verstehen kann. Die Jungfer im Grünen wirkt neben dem Flaschenputzergras gleich noch einmal so zierlich, die lila Anemone und der weiß-lindgrün panaschierte Salbei sind auch ein feines Duo, der blau-lila Storchschnabel macht sich gut, wie er da in Äste der rosa-lila blühenden Strauchrose klimmt. Nur ein Zuviel wird ausgerupft.

Es naht die nächste Hitzephase. Der Garten und ich, wir atmen auf. Ich aus Faulheit. Er aus Umtriebigkeit. Wir lieben einander eben inniglich.

Lexikon

Kardonen. Das sind die ebenso hübsch blühenden Cousinen der Artischocken. Gegessen werden hier nicht die Blütenböden, sondern die gebleichten, umhüllten Stängel.

Sonnenhut. Sagt man zu Recht zur wahlweise lila, weiß oder purpurn blühenden Echinacea, zu Unrecht, jedoch recht häufig, zur gelb blühenden Rudbeckie.

Nachtviole. Arger Selbstausstreuer. Wer Verblühtes rechtzeitig abschneidet, darf nochmals in den Genuss von Blüten und nächtlichem Duft kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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