Blumenpflücken: Wie eine kleine Lacke

(c) Ute Woltron
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Wer das gern tut, braucht auch eine passende Vase, und die wohl berühmteste je entworfene stammt vom Finnen Alvar Aalto. Sie ist seit 80 Jahren ein absoluter Klassiker, und das aus gleich mehreren Gründen.

Sie ist eines der bekanntesten aus Glas gestalteten Objekte, diese gerade einmal 14 Zentimeter hohe Vase. Sie ist ungewöhnlicherweise breiter als hoch und hat die wohl absurdeste Form, die man sich für ein Blumengefäß ausdenken kann. Entworfen wurde das wild geschwungene Objekt im Jahr 1936 vom finnischen Designer und Architekten Alvar Aalto, dem Spross einer über Generationen der Natur und Landschaft verpflichteten Familie. Sein Großvater war Förster gewesen, der Vater Landvermesser, Aalto selbst gilt bis heute als einer der wohl talentiertesten Vertreter des sogenannten organischen Bauens und war stets bemüht, Architektur und Natur in Einklang zu bringen.

„Ein Bauwerk ist wie ein Instrument“, meinte er beispielsweise: „Es muss alle positiven Einflüsse aufnehmen und alle negativen Einflüsse, die die Menschen beeinträchtigen könnten, abwehren. Dieses Ziel kann es nur dann erreichen, wenn es genauso fein nuanciert ist wie die Umgebung, in der es errichtet wird.“

Aaltos berühmte Vase ist ebenso „fein nuanciert“. Sie weist eine frei geschwungene, völlig asymmetrische Gestalt auf, an der sich Leute, die einen gewissen Hang zu Blumenarrangements und den dazu erforderlichen, möglichst schönen Gefäßen haben, kaum sattsehen können. Die Originalvasen der 1930er-Jahre waren, obwohl es sie damals bereits neben der einfachen klaren Variante auch in verschiedenen dezenten Färbungen wie etwa Rauchblau, Grau und Grün gab, alle aus transparentem Glas gemacht. Die Möglichkeit des Durchblicks – die ist ausschlaggebend.

Die Rolle des Wassers

Denn Aaltos Vase lebt nicht nur von den Blumen. Sie besticht auch durch die sich durch die Wellenform ergebenden Lichtbrechungen und Spiegelungen, sodass in dieser Vase nicht nur die Blüten oben zur Betrachtung einladen, sondern auch die gewöhnlich gar nicht beachteten Blumenstängel eine tragende Rolle zu spielen beginnen.

In dieser verrückten Glaskonstruktion macht sich ein minimalistisches Blümchen oder auch ein einzelnes besonderes Blatt genauso gut wie ein ganzes Büschel Blumen. Die botanischen Exponate stehen hier sozusagen auf eigenen, durch Lichtbrechung und gläserne Spielereien verzerrten Beinen. Es gibt keine andere Vase, die es bis heute an Raffinesse mit Aaltos edlem und mittlerweile bewährtem Teil aufnehmen kann.

Irgendwann jedoch begann man die Vase auch in opakem, also undurchsichtigem, Glas herzustellen. Man kleidete sie in kompaktes Dunkelrot und Weiß, was eine absolute Verirrung darstellt und abzulehnen ist. Denn ohne Spiel von Licht, Farbe, Wasser und Pflanzenstängeln beraubt man das Objekt seiner wesentlichsten Dimension. Wie Aalto selbst zur optischen Verdichtung seiner Idee gestanden ist, lässt sich schwer sagen. Auch die zahllosen Geschichten darüber, wie ihm die geschwungene, asymmetrische Vasenform überhaupt erst eingefallen war, verlieren sich im Mysterium.

Es gibt jedoch ein paar glaubhafte Theorien. Eine besagt, dass er den Schwung der finnischen Landschaft mit ihren vielen Seen aufgenommen habe. Eine andere will in den Linien die Maserung von Holzfurnieren erkennen, eine weitere die im Moment eingefangene Wellenform von Wasser. Aalto selbst soll gesagt haben, die Idee zur Vase sei ihm angesichts einer entzückenden kleinen Lacke gekommen.

Befriedigend statt weltbewegend

Fest steht, dass es ein letztlich entbehrliches, doch reizendes Objekt wie eine kleine Vase über viele Jahrzehnte hinweg zu anhaltender Beliebtheit gebracht hat. Die scheinbar überflüssige Beschäftigung, Blumen abzuschneiden, in Gefäße zu stecken und sie aus dem Garten zu sich hinein in Haus und Wohnung zu nehmen, um sie dort aus der Nähe über ein paar Tage hinweg mit Wohlgefallen zu betrachten, ist tatsächlich keine weltbewegende, doch ist es eine außerordentlich befriedigende.

Über die Blumensträuße der Geschichte wurde wenig berichtet. Sie sind den Menschen nicht wichtig. Die Literatur befasst sich kaum je mit einer Beschreibung eines floralen Arrangements, das überlässt sie lieber der Malerei. Übrigens: Bevor die erklärte dänische Blumenliebhaberin Tanja Blixen Romane schrieb, wie etwa den zeitgleich zu Aaltos Vase entstandenen Weltbestseller „Jenseits von Afrika“, hatte sie Malerei studiert. Von Blixen weiß man, dass sie aufwendige, gern auch aus wilden Blumen arrangierte Sträuße zu winden pflegte, die so außergewöhnlich waren, dass man sich ihrer noch lang erinnerte. Sie arbeitete etwa behutsam filigrane Löwenzahnblüten in ihrer reifen Pusteblumenform in die Sträuße ein. Das mag absurd klingen. Doch sehr wahrscheinlich gibt es idiotischere Menschheitsbeschäftigungen, als Blumensträuße zu pflücken.

Lexikon

Alvar Aalto. Er war ein 1898 geborener und 1976 verstorbener finnischer Architekt und Designer mit Liebe zu Natur und natürlichen Formen.
Aaltos Vase. Sie ist, da sie kurz nach ihrer Erfindung im Restaurant des Hotels Savoy auf jedem Tisch Verwendung fand, auch unter dem Namen Savoy bekannt und wird heute noch in diversen Größen von derselben finnischen Glasfirma produziert.
Blumenstrauß. Die ältesten dokumentierten Blumensträuße sind rund 3500 Jahre alte ägyptische Grabbeigaben aus Mohn- und Kornblumen, Alraunen und Lilien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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