Halali für Pilz und Beere

Die Blüte der Herbstanemone eröffnet die Jagdsaison auf Pilze und Beeren.
Die Blüte der Herbstanemone eröffnet die Jagdsaison auf Pilze und Beeren.Ute Woltron
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Erntezeit. Die Blüte der Herbstanemonen steht für den Frühherbst, was uns daran erinnert, dass normalerweise jetzt die Jagdsaison auf Brombeeren, Berberitzen, vor allem aber auf Pilze eröffnet würde.

Angesichts der seit geraumer Zeit schon blühenden Herbstanemonen und der sich schwarz färbenden Holunderbeeren halten wir derzeit phänologisch betrachtet erst irgendwo zwischen Spätsommer und Frühherbst, auch wenn bereits auf Straßen und Wegen das trockene Laub halbverdursteter Bäume zu treiben begonnen hat wie im Oktober. Mehrere gerade jetzt in dieser Phase des Jahres zu erwartende Ernten werden wegen ebendieser streckenweise katastrophalen Staubhitze bedauerlicherweise ausbleiben. Es war viel zu trocken für die begehrten Früchte der wilden Brombeeren und auch für die Berberitzen. Beide sind durch kultivierte Sorten nicht zu ersetzen, sie müssen vielmehr alljährlich ab August in der freien Natur gejagt und erbeutet werden.

Hier in dieser auch in normalen Jahren schon sehr trockenen Region wachsen beide am liebsten am Waldrand. Andernorts gibt es Bachufer und ähnliche feucht-fruchtbare Gefilde, was insbesondere die Brombeerernte erheblich verbessert, doch man kann eben nicht alles haben. Heuer sind sie vertrocknet, und zwar komplett.

Jeder Brombeer- und Berberitzenfreund hat sonst seine eigenen, streng geheim gehaltenen Verstecke. Nur hinterrücks und quasi auf Zehenspitzen nähert sich der Profi seinem Hort, um nicht durch Austrampeln verräterischer Pfade auf die Fundorte aufmerksam zu machen. Schließlich können diese über viele Tage hinweg gemolken werden, wenn nicht ein anderer sie entdeckt.


Die Konkurrenz schläft nie. Denn, wie jeder Bewohner ländlicherer Gegenden genau weiß: Die Jagdkonkurrenz schläft nie. Im Gegenteil, sie steht sehr früh auf. Insbesondere um die Brombeerschläge herrscht schon im Morgengrauen ein regelrechtes Gerangel, weil Marmelade von wilden Brombeeren zum Aromatischsten zählt, was die spendable Natur hergibt. Heuer, wie gesagt, hat uns die Witterung um diesen beliebten Sport gebracht. Wir werden mit Dirndln, also Cornelkirschen, Schlehen, den sich ebenfalls bereits stark rötenden Ebereschenbeeren und anderen Massenwaren vorliebnehmen müssen. Allerdings erst in einigen Wochen, denn sie brauchen alle noch, um zu reifen.

Doch eine weitere Hoffnung auf nahe Beute lebt jetzt auf: die auf die Pilze. Die noch unergiebigen Regenfälle der vergangenen Woche locken zumindest hier im Osten der Nation zwar noch keinen Schwamm aus dem Myzel, das, wie der den Pilzen gewöhnlich völlig verfallene Nachbar in pessimistischer Anwandlung meint, heuer sowieso komplett vertrocknet und auf Generationen hinweg unfruchtbar geworden sei. Doch erstens hat er nicht recht, denn vereinzelt wurden bereits bettflüchtige Pensionisten an frühen Morgen aus dem Wald heimkehrend mit nicht ganz leeren Pilzkörben gesichtet. Und zweitens: Was nicht ist, das wird sicher noch. Regnen müsste es nur ein bisschen mehr, denn ich will auch in diesem Jahr unbedingt mit der wahrscheinlich gerissensten lokalen Schwammerlhexe „in die Pilze gehen“, wie man so schön sagt.

Sie schnürt durch die Wälder, zielstrebig wie eine alte Füchsin, und sie kennt sich so gut aus im Forst, dass sie sich an wenig ergiebigen Plätzen, die unsereiner bereits entzücken würden, keine Sekunde aufhält. Sie strebt Orten zu, von denen die meisten von uns nur träumen können, weil es hier Pilze gibt, mehr, als man tragen kann.

Dass die besten Pilzplätze noch viel eifersüchtiger gehütet werden als jeder Brombeerschlag, dürfte allgemein bekannt sein. Deshalb folgt hier nicht einmal eine vage Präzisierung des Ortes, an den sie mich gebracht hat, und an dem das Herumsteigen schwergefallen ist, weil alles voller Schwammerln und Pilzen war, auf die man nicht treten wollte. Nur so viel: Wir waren hoch oben im Wald. In einem Wald, den man zugegebenermaßen nicht ganz einfach erreichen kann, weil er erstens weitab von allem liegt und zweitens von einem unduldsamen Waidmann verteidigt wird, der offenbar selbst gern Schwammerln erntet.

Der Tag in den Pilzen war wie ein Rausch, und wir kehrten dem Gipfel erst dann den Rücken zu, als wir unter der Last der Schwämme zu ächzen begannen. Steinpilze, Birkenröhrlinge, Rotkappen, Maronenröhrlinge – hinter jedem Baum wuchs mindestens einer von ihnen, wir wandelten wie durch einen Zauberwald. Das muss sich bitte heuer wiederholen.

Wir hier unten in den Föhrenwäldern können zumindest auf den ebenfalls nicht zu verachtenden Parasol zurückgreifen, der auch unter dem Begriff Gemeiner Riesenschirmling firmiert. Paniert und in Butter herausgebraten ist er eine echte Delikatesse. So mancher Waldläufer kehrte von seiner Übungsstrecke mit nacktem Oberkörper wieder, weil das Gewand als Korb für die im Vorübereilen entdeckten Pilze herhalten musste. Fazit: Die Saison ist also zwar brombeerfrei, hat aber immer noch viel zu bieten.

Lexikon

Herbstanemonen.
Sie dürfen in keinem Blumengarten fehlen. Sie sind besonders leicht zu ziehen, brauchen kaum Pflege, zählen zu den schönsten Spätblühern und werden uralt.

Phänologie.
Erklärt die Jahreszeiten genau anhand der saisonalen Zyklen von Pflanzen und Tieren, wobei das Jahr nicht in vier, sondern in zehn Jahreszeiten geteilt wird.

Parasol.
Er schaut für Nichtprofis dem giftigen Knollenblätterpilz ähnlich, ein Unterscheidungsmerkmal ist der beim Parasol bewegliche Ring um den Stiel, der beim Knollenblätterpilz angewachsen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)

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