Eine scharfe Angelegenheit

Das Krenblatt hat den Platz in einer alten Zinkbadewanne erobert.
Das Krenblatt hat den Platz in einer alten Zinkbadewanne erobert. Ute Woltron
  • Drucken

Rarität. Das Krenblatt ist eine so gut wie vergessene Gewürzpflanze. Im Mittelalter noch hoch beliebt, wächst es heute nur noch in Spezialgärtnereien. Oder, wenn man Glück hat, in alten Zinkbadewannen.

Zwei voneinander unabhängige Ereignisse fügten sich heuer im Garten zu einer lieblichen Kombination, und das kam so: An einem der vielen schönen Wochenendnachmittage des so gelungenen heurigen Sommers kam Andreas L., der keinen Flohmarkt in der Umgebung auslässt, mit einer alten Zinkwanne im Gepäck des Weges getuckert. Er parkte sich bei mir ein, um stärkenden Kaffee zu tanken und ein wenig in der Sonne zu sitzen.

Den Flohmarktfund hatte er im geräumigen Hinterteil seines Kombis verstaut. Wir betrachteten die alte Wanne wohlgefällig, denn es war eine schön geschwungene Variante, keine eckige, ordinäre. „Was wirst du damit anstellen?“, fragte ich ihn. Er überlegte kurz und sagte dann: „Ich werde sie dir jetzt feierlich schenken.“ So kann es einem ergehen, wenn man gute Freunde hat.

Wir stellten sogleich diverse Überlegungen an, was mit dem guten Stück alles anzufangen wäre. Die erste Idee, sie zu einer Art Grander samt Seerose und anderen Wassergeschöpfen umzufunktionieren, verwarfen wir gleich wieder, denn erstens war ein Bodenfalz aufgegangen und die Wanne damit undicht. Zweitens erschien uns die Vorstellung eines Badewannenteiches dann doch zu kitschig.

Wassermurmeln

Für solche Wassertröge braucht es Gediegeneres, im besten Fall Stein. Waldviertler Granit zum Beispiel, vor ewigen Zeiten behauen, heute nur noch mit Glück und mit fettem Portemonnaie an sich zu bringen. Die schönsten Steingrander sind die lang gestreckten alten Viehtränken. Sie stehen noch vereinzelt in Dörfern herum. Ihr Wassermurmeln klingt wie ein Echo der Vergangenheit. Keine Kuh kommt hier mehr vorbei, auf dem Weg von der Weide in den Stall. Mit behäbig schwankenden Hintern waren die Herden früher in der Abenddämmerung durch die Dorfstraßen gezogen, hatten hier Rast gemacht und Wasser gesogen, bevor sie ihre Ställe aufsuchten, um sich endlich melken zu lassen. Eine Milchkuh trinkt bis zu 80 Liter Wasser täglich und kann innerhalb von zwei, drei Minuten an die 30 Liter runtersaufen. So weit ein kleiner ruraler Exkurs in Viehwirtschaft und Vergangenheit. „Irgendwas wird dir mit dem Ding einfallen“, unterbrach der Andreas L. die Reminiszenz, „wir werden sehen“.

Wenig später unternahm ich selbst einen Wochenendausflug, nicht auf den Flohmarkt, sondern zu einem der besten Gemüse- und Kräuterbauern Niederösterreichs, und zwar zu Michael Bauer nach Stetten. Er hatte gerade ausgesprochen aparte Beete für seine Kräuter gebaut. Keine Hochbeete, sondern lang gestreckte Wannen, mit Schneckenmetallzaun rundherum. Sie grasten wir in der Frühmorgensommersonne langsam und bedächtig dahinschreitend wie zwei Weidekühe ab.

Unter den verkosteten Kräutern waren, wie bei den Bauers nicht anders zu erwarten, wieder diverse unbekannte Geschmäcker und Aromen dabei. Eine Pflanze stach besonders hervor. Sie hatte glatte, längliche, kräftige Blätter. Diese erzeugten im Mund eine überraschend scharf-würzige Geschmacksexplosion, und die Papillen waren unschlüssig zwischen den Aromen von Kren und sehr scharfer Kresse hin- und hergeworfen.

Krenblatt wird die Pflanze denn auch genannt, oder Ausdauernde Gartenkresse. Der botanische Name lautet Lepidium latifolium und weist das Gewächs als echte Kresse aus, sozusagen als Cousine der altbekannten Gartenkresse Lepidium sativum. Letztere stammt aus Asien und erfriert im Winter. Das weitgehend vergessene Krenblatt hingegen ist in Europa heimisch, winterhart und noch einen guten Tick aromatischer und schärfer als die tropische Variante.

Ich besorgte mir sofort eine Pflanze. Sie war so mickrig, dass man um ihr Überleben bangen musste. Um sie einerseits im Auge zu behalten, andererseits, weil ich zu faul war, Michael Bauers Beispiel folgend ein Kräuterbeet zu bauen, funktionierte ich die Zinkwanne zu einem Kräutertrog um. Da kam das gute Krenblatt zwischen normale Kressen, mehrere Sauerampfervarianten und noch so manch anderes hinein. Gute Erde, viel Sonne, regelmäßige Güsse: Sie gedieh und blühte sogar recht unansehnlich. Da das aber für alles in diesem Trog galt, verlor ich in dem Gewuchere den Überblick.

Nun, da der Winter ins Land zog und die Einjährigen unter den Kräutern dahingingen, offenbarte sich, dass die Ausdauernde Kresse ihren idealen Platz in dieser Wanne fand. Denn aus dem einen mickrigen Pflänzchen wurden gar viele. Erstens hat sie Samen ausgestreut. Zweitens vermehrt sie sich rasant über Wurzelausläufer. Niemals sollte man sie also in die freie Wildbahn des Gemüsegartens entlassen, weil sie dort zu einer wuchernden Plage werden dürfte. Doch in der Wanne darf sie sich fürderhin ausbreiten und eine kleine Krenblattherde bilden.

Lexikon

Ausdauernde Kresse.
Sie ist eigentlich eine Küstenpflanze und in den gemäßigten Zonen Europas und Eurasiens beheimatet, wächst hierzulande aber genauso gut. Sie ist als Würzpflanze völlig in Vergessenheit geraten.

Blätter.
Sie sind recht groß, gern über zehn Zentimeter lang und im jugendlichen Zustand am besten. Die Pflanze regelmäßig kräftig abernten, dann wächst sie umso üppiger.

Größe.
Die robuste, langlebige Kresse-Art wird bis zu einem Meter hoch und auch recht breit. Geben Sie ihr genug Platz, viel Dünger, gute Erde
und Sonne bis
Halbschatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.