"Umhüllt von durchsichtiger Eisrinde"

(c) Robert Jaeger / APA
  • Drucken

Insbesondere Gräser verwandeln sich im Winter zu einem Mikrokosmos sensationeller Lichtspiele - wenn es friert in Wasserkristallen, wenn es taut in Wassertropfen. Soll uns alles recht sein.

In einer völlig anderen Zeit, an die es jedoch da und dort noch Erinnerungsfetzen gibt, wurde sogar der Christbaum nach seinem Gebrauch als feierliches Element der Weihnachtszeit wiederverwertet und in Teilen zu einem Haushaltsgerät umfunktioniert. Das ging so: Nachdem er seinen Dienst versehen hatte, wurde der Baum von Glitter und sonstigem Weihnachtsschmuck befreit. Dann schnitt man den obersten Wipfel ab, und zwar dort, wo er eine Art natürlichen Quirl bildet. Die Seitenäste wurden gekürzt, schließlich entfernte man die Rinde und stellte so ein sehr brauchbares Küchenutensil her.

Der Astquirl ist als Vorgänger von Schneebesen und anderen Rührgeräten natürlich völlig aus der Mode gekommen, und es lässt sich tadellos auch ohne ihn leben, obwohl er tatsächlich ein ausgezeichnetes Instrument ist, etwa zur Herstellung von an Geschmeidigkeit unübertroffenem Schlagobers. Irgendwie mag er für manche derjenigen, die sich noch an ihn erinnern, ein Sinnbild weihnachtlicher Feierlichkeit sein, die in den vergangenen Jahrzehnten von meterhohen Geschenkpapierbergen verschüttet und vom Lärm der Einkaufsstraßen verweht wurde.

Möglicherweise waren die besten Weihnachtsgeschenke gar nicht in Papier verpackt, sondern fanden einfach statt. Woran erinnert man sich am ehesten? An das Spielzeug unter dem Baum? An den Duft der Wunderkerzen? Oder an die langen Spaziergänge durch den Wald, an den Nachmittagen vor dem Heiligen Abend, wenn die Kinder aus dem Haus gebracht werden mussten, möglichst weit weg, um die Vorbereitungen nicht zu stören?

Magische Weihnachten. Die besten davon fanden natürlich an verschneiten Weihnachten statt, und der magischste von allen, den ich im persönlichen Schatzkästchen der Erinnerung horte, trug sich an einem klirrend kalten Tag zu, an dem der Wald mit außergewöhnlich dichtem Raureif bedeckt war.

Die Bäume hatten sozusagen ihren eigenen Weihnachtsschmuck angelegt und waren eine einzige glitzernde Pracht. Die Welt hatte sich in ein Märchen verwandelt und glänzte weiß, silber, grau und blau. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob Nebel oder Sonne gewinnen sollte, also stapften wir über die Hügel durch Nebelschwaden immer wieder sonnendurchfluteten Flecken zu, in denen es nur so glitzerte. Ich muss sieben oder acht gewesen sein, und dieser lange Nachmittag bleibt von allen Weihnachtstagen der deutlichste und beste. Also: Sobald der erste Raureif auf uns herniederkommt, egal, ob Weihnachtstag oder nicht, packt eure Kinder warm ein, auch wenn sie protestierend von Playstation oder Fernseher weggerissen werden müssen, und zieht hinaus in Park und Wald.

Manchmal erzeugt die Kombination verschieden temperierter Luftmassen im Winter jedoch auch ein anderes Phänomen, das Adalbert Stifter in seiner Erzählung „Die Mappe meines Urgroßvaters“ ebenfalls unvergesslich beschrieben hat. Die Welt erstarrt, wenn sich um alles eine klare Eisschicht legt. Stifter beschreibt das unter anderem so: „Jeder schwarze Zweig war mit einer durchsichtigen Rinde von Eis umhüllt [. . .], der Reif war heute nicht so weiß wie Zucker, dergleichen er sonst ähnlich zu sein pflegt [. . .], den Waldring, dem wir entgegenfuhren, sahen wir bereift, aber er warf glänzende Funken und stand wie geglättete Metallstellen von dem lichten, ruhigen, matten Grau des Himmels ab.“

Naturschauspiel. Bei Nebel, Nieselregen und Minusgraden vereisen die Bäume, doch zum Glück ist dieses Naturschauspiel nicht allzu oft zu beobachten, denn das Gewicht lässt Äste brechen und im Extremfall ganze Bäume umstürzen. Wer seine Gartenstauden im Herbst nicht radikal abschneidet, kann das Raureifspektakel aber jeden Winter beobachten, denn raureifig wird es immer irgendwann einmal. Im Garten zwar in kleinerer Dimension, doch nicht minder ansehnlich. Insbesondere die Gräser verwandeln sich zu einem Mikrokosmos sensationeller Lichtspiele in Wasserkristallen. Pflanzen Sie unbedingt das eine oder andere Lampenputzergras. Seine flauschig-borstigen Ähren sind der ideale Raureifträger. Wenn dann die Sonne durchkommt und die Eiskristalle schmelzen, hängen tausende Wassertropfen im Gefieder dieses Grases, und am liebsten würde man sich auf den Bauch legen, um das Spektakel noch eingehender betrachten zu können.

Gräser lassen sich auch in Töpfen auf Stadtterrassen und Balkonen ziehen. Am besten, Sie verschenken gleich ein paar davon, schließlich ist Weihnachten, und die dauerhaften Gaben sind die schönsten.

Lexikon

Adalbert Stifter.Niemals soll man ihn gering schätzen, und er ist auch nicht langweilig. Nur kontemplativ. Gärtner sollten den „Nachsommer“ auf jeden Fall gelesen haben.

Lampenputzergras.Die Gattung Pennisetum kann süchtig machen. Dichte Horste, schnelles Wachstum, sensationelle Blütenstände zu jeder Jahreszeit, jede Menge an großen und kleinen Sorten.

Astquirl. Tatsächlich hat diese Bezeichnung der Wuchsform der in gleicher Höhe gebildeten Äste dem Küchengerät den Namen gegeben – und nicht umgekehrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.